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SPÖ in der Opposition

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„ÖSTERREICHS SOZIALISTEN IN DER OPPOSITION.“ Von Josef Kindels. 79 Seiten. 8 18.40. — UMDENKEN TUT NOT! Von Fritz K 1 e n n e r. 67 Seiten, S 14.80. - DIE VERÄNDERTE GESELLSCHAFT UND DIE NEUEN AUFGABEN DER SOZIALISTEN. Von Christian Broda, 63 Selten. S 14.80. — AUSBLICK IN DIE ZUKUNFT. Von Hermann Morl h. 72 Seiten. S 18.40. - ÖFFNUNG ODER UNTERGANG. Von Günther Keinlm. 174 Selten. S 38.—. Alle Europa-Verlag;, Wien, 1966.

Österreichs Sozialisten zwischen der Niederlage des 6. März 1966 und dem Parteitag von Ende Jänner 1967: Eine mächtige demokratische Partei versucht, ihre eigene Rolle in einer sich wandelnden Gesellschaft zu definieren. Fünf sozialistische Publizisten legen ihre Konzepte, ihre Vorstellungen von einer SPÖ in der Opposition, der Öffentlichkeit vor. Leider ist die Auswahl der Autoren nicht repräsentativ für die Gesamtpartei: zwei deklarierten Linkssozialisten (Hindels, Mörth) und einem ebenfalls eher nach links tendierenden Autor (Broda) steht nur ein einziger Sozialist gegenüber, der dem rechten Flügel zuzuordnen wäre (Klenner), während sich der fünfte Autor, Nenning, jeder Etikettierung entzieht.

Hindels führt leidenschaftliche Attacken gegen das „Gift des Opportunismus“ und das „falsche Bewußtsein“ in den eigenen Reihen. Kaum zu verstehen ist Hindels' Berufimg auf den Satz Viktor Adlers: „Ein Sozialist, der vom Gegner gelobt wird, hat sicher etwas falsch gemacht.“ Wer ist heute „Gegner“ für die SPÖ? Ist die „Furche“ ein solcher „Gegner“, ist es der ÖAAB, ist es die KPÖ? Wo sind die Grenzen der Gegnerschaft? Kann also ein Gegner jeden mißliebigen Sozialisten „abschießen“, indem er ihn ganz einfach ununterbrochen lobt, bis die Genossen mißtrauisch werden? Nein, dieses Zitat gehört wohl wie kein zweites als ein von der demokratischen Entwicklung überholtes Fossil in das Museum der sozialistischen Bewegung. In unserer Phase der Demokratie bringt die Anwendung dieses Grundsatzes nur die Gefahr eines „MacCarthyismus“ von links mit sich — siehe „Maulkorbparagraphen“. Hier zeigt Hindels, wie unrealistisch sein Konzept ist. Im Anschluß an seine Berufung auf Viktor Adler fordert er gleichzeitg eine Verstärkung der innerparteilichen Demokratie und der Parteidisziplin — der Hinweis, das sei eben ein „typisches Beispiel eines dialektischen Widerspruches“, hilft wohl kaum aus diesem Dilemma.

Klenner widmet wirtschaftlichen Problemen einen Großteil seiner wie immer unkonventionellen Ausführungen. Was er etwa zum Wohnungsproblem zu sagen hat, könnte für die Bereinigung dieses Krebsübels unserer Sozialstruktur wegweisend sein. Der aussagenstärkste Teil von Kienners Publikation ist alber die kritische Durchleuchtung traditionsreicher marxistischer

Begriffe, wie „Klassenkampf“ und „klassenlose Gesellschaft“. Klenner kommt zu der Schlußfolgerung, daß mit dieser Terminologie die SPÖ kaum attraktiv werden kann, weil die marxistische Terminologie dazu verführt, Teilaspekte der gesellschaftlichen Wirklichkeit überzubewerten. Vor allem aber sei diese Terminologie bei einem Durchbruch zu neuen Wählerschichten nur hinderlich. Nicht die Wählermassen haben ihr „falsches Bewußtsein“ abzulegen und sich der höheren marxistischen Einsicht zu beugen, sondern der Sozialismus muß den Wählermassen folgen — das läßt sich aus Kienners Formulierungen konkludent ablesen.

Broda faßt in seinem Beitrag einige seiner bereits in der „Zukunft“ publizierten Aufsätze zusammen. Broda zeigt sich als kluger Analytiker, der vielleicht ein wenig zu sehr mit Begriffen wie „Klasse“ und „Klassenstruktur“ arbeitet, der aber ein sehr objektives, unverzerrtes Bild von der ÖVP und dem seit Frühjahr 1966 veränderten Regierungssystem zeichnet. Die Verbindung von prinzipiellen, theoretischen Überlegungen mit dem Realismus, den die Erfahrungen eines parlamentarischen Routiniers mit sich bringen, zeichnen Brodas Aufsätze aus. Aber gerade weil Broda Theoretiker und Praktiker zugleich ist, vermißt man bei ihm besonders ein weitgespanntes Konzept, ein Modell für die Entwicklung, die Österreichs Demokratie in den nächsten Jahren steuern sollte.

Mörth stellt an den Beginn seines Beitrages eine sehr kluge, sehr fundierte Betrachtung über die wachsende Seilbstentfremdung des Menschen in der zweiten industriellen Revolution. Daß sich Mörth hier auf Karl Marx beruft, erscheint durchaus als legitim — niemand kann Marx die Schärfe eines diagnostischen Blickes absprechen. Erst bei der Therapie müssen sich die Wege von Marxisten und Nichtmarxisten trennen. Mörth befaßt sich dann ausführlich mit den Fehlern der SPÖ, die seiner Meinung nach den 6. März verschuldet hätten. Warum er seine in den meisten Punkten überzeugende Analyse mit einem Angriff auf den Pluralismus schließt, bleibt allerdings unverständlich — nicht an zuviel, sondern an zuwenig Pluralismus leidet die SPÖ.

Nenning setzt seinen in „Anschluß an die Zukunft“, vor allem aber in seiner „Sozialdemokratie“ begonnenen Weg fort. Er ist mutig und originell, elegant und zielsicher wie immer — zweifellos einer der bahnbrechendsten Denker des österreichischen Sozialismus. Er ist glühender Sozialist und Marxist — und dennoch unter den Marxisten isoliert. Er ist glühender Christ — und dennoch unter den Christen ein tapferer Einzelgänger. Beim Marxisten Nenning vermißt man jedoch ein wenig die von Marxisten am Marxismus so gepriesene Empirie. Nur ein Beispiel: Loblieder auf die direkte Demokratie klingen immer gut; aber daß der Marxist Nenning überhaupt nicht erwähnt, warum die empirische politische Wissenschaft um der Demokratie willen der direkten Demokratie gegenüber skeptisch ist, das eben ist das Gegenteil vom Empirie. Nenning überzeugt in seiner kühnen Vision eines Bündnisses von Christentum, Sozialismus und Kommunismus nicht ganz — soll die Kirche, kaum einem Integralismus von rechts entkommen, sich einem solchen von links in die Arme werfen? Und dennoch: Weil Nenning alle Richtungen, Fraktionen, Gruppen und Gettos provoziert, weil er alle zum Überdenken ihrer Positionen herausfordert, möchte man keine seiner Visionen, Utopien, Glaubenssätze und Forderungen missen. Um so skandalöser ist daher das Vorgehen des sonst so verdienstvollen Europa-Verlages, der es für notwendig erachtet hat, Nen-nings Buch (als einzigem Beitrag dieser Serie) ein distanzierendes Vorwort („Der Verlag... identifiziert sich nicht...“) vorauszuschicken. Soweit also ist die Konfusion in der SPÖ schon fortgeschritten, daß zwar Konservative und Kommunisten im SPÖ-nahen Europa-Verlag ohne weiters publizieren können, Sozialisten vom Profil eines Nenning sich jedoch mit einer lächerlichen, diskriminierenden Eintbegleitung abfinden müssen.

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