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Ärgernis links und rechts

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Bisher erwies sich der „Fall Doktor Nenning” für die interessierte Öffentlichkeit in erster Linie als interne Angelegenheit der SPÖ, in der über den „Progressisten” Nenning, zur Genugtuung gewisser Kreise, be- bekanntlich nicht gerade überall eitel Freude herrscht. Doch das Bekenntnis „Katholik sein in der SPÖ” in der „Furche” läßt es als sicher erwarten, daß das „Ärgernis Nenning” nicht allein auf „links” beschränkt bleibt und die Schadenfreude nicht zur reinen Freude der „Gegenseite” wird. Dafür sorgen schon die diversen Ideologiewächter, die partout nichts merken von „dieser Weltstunde, da die Sozialisten endlich christianisiert und die Christen endlich sozialistisch werden können …”

Verschobene Fronten

Wer die geistige Wirklichkeit hierzulande kennt, weiß nur zu gut, daß „Prophezeiungen” obiger Art immer noch zu den unverzeihlichen „himmelschreienden Sünden” gerechnet werden müssen. Im günstigen Fall gilt jener, der versucht, über den Graben zu springen, als armer „Schizophrener”, der auf Quarantäne gelegt werden muß, um keinen Schaden zu stiften. Man sieht es nicht und will es nicht wahrhaben: die Fronten sind doch längst verschoben, das traditionelle Freund- Feind-Verhältnis verläuft nicht mehr an einer „Verteidigungslinie”, sondern geht vielmehr quer durch die „Fronten” hindurch, wenn dies auch die in Scharmützeln engagierten Propagandakompanien, die die geistigen Parolen für das Fußvolk liefern, in ihrem Eifer noch nicht gewahr werden, weil auch hier gilt: der Wunsch ist der Vater des Gedankens!

Zur konkreten Sachlage: Wer so wie Dr. Nenning mit dem Wagemut des Überzeugten die gewandelten Verhältnisse aufzeigt und sein persönliches politisch-religiöses Handeln darnach ausrichtet, bleibt in dieser „Weltstunde” weithin unverstanden, unbedankt. In der richterlichen Beurteilung des „Palles Nenning” kommen nämlich die „Orthodoxen” beider Lager einander ziemlich nahe. „Wie kann ein Mensch mit solch einer vertrakten Geisteshaitung überhaupt noch aktives Parteimitglied sein?” stellen die einen hinter vorgehaltener Hand — es gilbt ja leider im Parteiprogramm 1958 einschlägige Paragraphen darüber — die Frage. „Wenn er wirklich überzeugter Katholik wäre, müßte er sich doch schon längst von den Roten getrennt haben!” bekräftigen die „Rechtsgläubigen” der anderen Seite und verweisen auf ihr durch die Tradition geheiligtes Privatdogma, das für den Haus- beziehungsweise Parteigebrauch immer noch lautet: „Ein Katholik kann nicht zugleich Sozialist sein!”

Unserer Meinung nach stellt der „Fall Dr. Nenning” am österreichischen Horizont wesentlich mehr dar, als es sich die Kritiker in ihren Ängsten und Komplexen in der Regel selbst einzugestehen wagen. Er darf nicht isoliert von der politischen Wirklichkeit gesehen werden. Er verkörpert nämlich gewissermaßen einen „Präzedenzfall” für einen Prozeß, der in unserem Lande seit Jahren zum Durchbruch drängt. Er geht tief unter die Haut unserer österreichischen Wirklichkeit, mit ihren religiös-weltanschaulichen Problemen im Untergrund. Seine besonderen Konturen erhält er auf dem Hintergrund, wie dieser von der Substanz der beiden großen politischen Parteien bestimmt wird. An den Reaktionen zum „Fall Doktor Nenning” wird man unschwer ablesen können, ob und wie das Verhältnis der Katholiken zum politischen Sozialismus und politischen Konservativismus in Österreich befriedigend „gelöst” werden kann.

Ideologischer Kräfteschwund

Dabei darf eines wohl nicht vergessen werden: Das Problem ist eng verknüpft mit dem unter der Oberfläche schwärenden Dilemma des österreichischen Sozialismus und Konservativismus schlechthin, welche beide an der Krankheit des ideologischen Kräfteschwundes laborieren, als deren Symptome jener seichte „Praktizismus” gewertet werden muß, von dem beide Lager beherrscht werden. Die Verantwortlichen an den Schalthebeln befürchten dabei nicht zu Unrecht, daß diverse progressive „Aufweichiler” und „Abweichler” das Wählerpotential nicht ungefährlich in Mitleidenschaft ziehen könnten, in einer Situation, in der einerseits der dünne Aufguß eines Parteichristentums verbunden mit deklamatorischen Sozialphrasen weithin unglaubwürdig geworden ist und anderseits der sozialistische Humanismus mit seinem Ideal des „neue Menschen” — einst lebendiger Ideenstrom in Richtung eines mythischen Fernzieles — nur mehr in rhetorischem Pathos weiteriebt. Jene beschwörenden Stimmen des eigenen Lagers, die dies selbst konstatieren und dagegen ankämpfen, verhallen ohne Resonanz außerhalb des Gettos sozialistischer Intellektueller. Beide Parteien befinden sich in ideologischer Stagnation.

Unbequeme: hüben und drüben

So ist es verständlich, wenn sich in beiden Lagern Kräfte regen, die den Status quo überwinden wollen, „Vorhuten, die auch in unserem Vaterland von beiden Seiten unterwegs sind — aufeinander zu”. Die einen suchen ihre „sozialistische Seele zu retten”, durch eine Synthese mit dem Christentum, die anderen wünschen einem christlichen Klischee, das sie bedrückt, beengt und das ihrer Ansicht nach lebendiges Christentum paralysiert, zu entrinnen. Sie fühlen sich angesprochen von einem „Sozialismus”, den sie als „angewandte Menschenliebe” umschreiben und den sie „rechts” nicht zu finden vermochten … So machen sich von hüben und drüben Unbequeme auf den Weg, die im Heute ein neues Morgen vorbereiten helfen wollen, denen es weniger darauf ankommt, das Ziel in greifbarer Nähe zu sehen, sondern die auf dem Wege sind, weil sie gegen ihre innersten Überzeugungen verstoßen würden, wenn sie es nicht wären. Sie glauben daran, daß es für die Gesellschaft als Ganzes von Vorteil wäre, wenn diese mehr „Nen- nings” hätte …

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