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Welcher Sozialismus?

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Einer der „zr i v;i :nten Partisanen der sozialistischen Bewegung“ — wie er sich selbst nannte — trat am Mittwoch der vergangenen Woche ans Rednerpult, um im Rahmen der Eröffnungsveranstaltung der „Gesellschaft für politische Studien“ „Uber den politischen Stil“ zu sprechen: Ernst Koref, Altbürgermeister von Linz, von Freunden und von Gegnern geachtet und geschätzt, warf das Gewicht seines Ansehens zugunsten der SPÖ-Reformer in die Waagschale. Als das Referat beendet war, als tags darauf die sozialistische Parteipresse lange Auszüge aus Korefs Rede veröffentlichte, hatten auch viele, die bisher die lebhafte interne sozialistische Diskussion nach der Niederlage vom 6. März nur mit Skepsis verfolgt hatten, die Überzeugung gewonnen: Es wird doch ernst mit der Reform der SPÖ; die Konsequenz aus der Wahlniederlage wird nicht nur darin bestehen, daß man vielleicht irgendwelche Funktionäre austauscht; man wird sich nicht damit begnügen, einige Tropfen neuen Weines in die alten Schläuche zu gießen.

Einfach kann es sich die SPÖ nun nicht .mehr machen. Die Diskussion itm eine Neugestaltung der Partei hat solche Dimensionen angenommen, daß man die Reformer nicht mehr auf irgendwelche Nebengeleise abdrängen und dadurch für den innerparteilichen Status quo ungefährlich machen kann.

Damit ist aber die für den österreichischen Sozialismus entscheidende Frage angeschnitten: Für welche Linie soll die SPÖ sich entscheiden, welche Richtung soll an die Stelle der Richtungslosigkeit treten, welchem Sozialismus soll die Zukunft gehören? Gerade zu diesem Zeitpunkt, da die parteiinterne Diskussion einem Höhepunkt zustrebt, wurde der Öffentlichkeit ein bemerkenswerter Versuch einer Selbstdarstellung des österreichischen Sozialismus vorgelegt. In dem Buch „Das Gesellschaftsbild des Sozialismus“ versuchen vier Autoren — Christian Broda, Josef Hindels, Fritz Klenner, Norbert Leser — zu klären, was Sozialismus heute zu bedeuten hat. Zwei der Autoren. Hindels („Der moderne Sozialismus braucht Marx“) und Leser („Sozia lismus jenseits des Marxismus“), machen kein Hehl daraus, daß der Weg, den die SPÖ eingeschlagen hat, in keiner Weise ihren Vorstellungen vom Wesen eines modernen Sozialismus entspricht. In diesen beiden Beiträgen werden zwei Sozialismusmodelle entworfen, die in prinzipieller Konkurrenz sowohl zur Realität in der SPÖ als auch zueinander stehen.

Für Josef Hindels liegt die Zukunft und nicht die Vergangenheit des Sozialismus i,m Marxismus: „Eine sozialistische Partei, die den Marxismus über Bord wirft, gibt früher oder später auch ihre sozialistische Zielsetzung auf.“ Was Hindels der SPÖ empfiehlt, ist letztlich eine Rückführung zum Austromarxismus Bauerscher Prägung, ist der Mut zu rücksichtsloser Analyse und Ablehnung der „kapitalistischen Gesellschaft“, allerdings unter Überwindung der Furcht des Austromarxismus vor einem Handeln, das sich aus dieser Haltung ergibt. Leser hingegen will in letzter Konsequenz eine Weiterentwicklung des Austromarxismus Rennerscher Prägung, der reformistischen Praxis, der Bejahung einer pluralistischen Gesellschaftsform, jedoch unter Verzicht der von Renner noch beibehaltenen, nur allmählich ausgehöhlten marxistischen Phraseologie.

Man würde dem Sozialismus eines Hindels Unrecht tun, würde man ihn nur als den Versuch abstempeln, das Rad der Geschichte zurückzudrehen, ohne Rücksicht auf neue Erkenntnisse und Entwicklungen. Weder wird man bei ihm dogmatische Rechthaberei finden („Der Marxismus ist weit davon entfernt, ein Stein der Weisen zu sein“), noch eine grundsätzlich religionsfeindliche Haltung; die Formel „Religion ist Opium des Volkes“ ist auch bei Hindels überwunden.' Die große Trennlinie zwischen den beiden Sozialismusmodellen, zwischen dem konsequent marxistischen und dem konsequent nichtmarxistischen, ist dort erkennbar, wo es um das Bild der Gegenwartsgesellschaft geht: Für Hindels ist die pluralistische Gesellschaft nur ein Gerede, das einer Verschleierung der Realitäten der Klassengesellschaft dienen soll, Sozialpartnerschaft ist „farbloser Brei“.

In diesem entscheidenden Punkt bleibt Hindels allerdings die vielgerühmte marxistische Empirie schuldig: In Wahrheit gibt es doch heute weniger denn je idealtypische Gesellschaftsformen. Es kann doch nicht darum gehen, eine als absolut verwerflich erkannte Gesellschaftsform durch eine als absolut gut qualifizierte zu ersetzen, sondern es muß doch einem modernen Sozialismus darum gehen, in die moderne Gesellschaft, mit ihren Strukturgegensätzen, mit ihren kapitalistischen und nichtkapitalistischen Elementen, auf demokratischem Weg Mechanismen einzubauen, welche die Gesellschaft langsam verändern, optimalisieren — nicht in Richtung einer perfekten, sondern in Richtung einer besseren Gesellschaft. Nur das kann die Aufgabe eines demokratischen Sozialismus der Gegenwart sein, alles andere wäre Utopie.

Das ist auch das Gesellschaftsbild, das dem . Sozialismusmodell Lesers entspricht: eine Gesellschaft, die schrittweise zu verbessern ist, in der Gegensätze und Interessenverschiedenheiten immer existieren werden, in der eine „klassenlose Gesellschaft“ nur -ein. Leitbild für eine assymptotische Annäherung sein kann, niemals aber wirklich zu erreichen ist.

Das sind die Alternativen, vor der Österreichs Sozialisten stehen. Die Diskussion in ihren Reihen wird an Intensität in nächster Zeit sicher noch zunehmen. Das sollte jedoch für Außenstehende kein Anlaß zur Schadenfreude und zu hämischen Kommentaren sein; nicht nur, weil die Zukunft der SPÖ ein Stück Zukunft unserer Demokratie ist, sondern weil eine freie Diskussion auch ein Zeichen von demokratischer Reife ist. Aber auch die sozialistische Parteispitze muß das bedenken, und die deutlich sichtbar gewordenen Versuche, die Kritik schulmeisterlich „von oben“ abzukanzeln und im obrigkeitsstaatlichen Stil zu ersticken, besser unterlassen. Wie die Zukunft des österreichischen Sozialismus auch aus- sehen mag — es wird nur dann eina wirkliche Zukunft sein, wenn die Partei weiterhin und noch mehr als bisher Mut zu Offenheit, Gespräch und Besinnung aufbringt.

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