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Den Terroristen ein nützlicher Wurstel?

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Seit der Verhaftung der mutmaßlich an der Palmers-Entführung beteiligten Studenten Thomas Gratt und Othmar Keplinger lastet der Vorwurf des Sympathisantentums für Terrorismus auf den Mitarbeitern von Günther Nennings achtmal jährlich erscheinender Zeitschrift „Neues Forum“. Wie hieß es doch im Wochenmagazin „profil“, das ÖVP-Sicherheitssprecher Lanner bei einer dringlichen Anfrage an Innenminister Lanc zitierte: „Nennings .Neues Forum' war jedenfalls die Adresse, bei der all die Leute, um die es geht, irgendwann einmal durchgingen. Auch Leute von der RAF.“ Und weiter: „Man kann Nenning als den Nährvater all dieser Maoisten, Trotzkisten oder revolutionären Marxisten sehen, die da in seinem Büro Plakate abzogen und in seiner Zeitschrift ihre Ideen hinstammelten.“

Diese laut Selbstdeklaration „Internationale Zeitschrift links von der Mitte“ (die Mitte dürfte von ihrem Standort kaum mehr wahrnehmbar sein) verlangt danach, einmal unter die Lupe genommen zu werden. Ungeachtet der Tatsache, daß die sich dort austobenden Genossen Freude über jegliche Erwähnung in einem anderen Medium empfinden und in ihrer nächsten Nummer, wie üblich, auszugsweise daraus zitieren mögen. Ungeachtet des Umstandes, daß das „Neue Forum“ eine Analyse insofern erschwert, als schon beim Durchackern nur der beiden letzten Jahrgänge einem mit dem dortigen Jargon nicht Vertrauten wiederholt und in jeder Hinsicht übel werden kann. Ungeachtet jedes möglichen Werbeeffektes für Nenning und sein Team. Ignorieren ist hier nicht am Platz. Gelegentlich ist Schweigen Sü-ber und Reden Gold.

Natürlich wird im „Neuen Forum“ nicht offen zu Gewalt und Umsturz aufgerufen. Aber da wird alles und jedes durch die linksextreme Brille gesehen, der Staat, die Religion, die Polizei, die Kirche, die Sexualität, das Minderheitenproblem, die Erste, Zweite und Dritte Welt. Ohne den geringsten Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben, sei lediglich auf eine Reihe von Beiträgen verwiesen, die zumindest jenes Reizklima förderten, in dem labile junge Menschen zu Terroristen oder deren Sympathisanten werden, können, wenn man diese Beiträge nicht selbst als Sympathiekundgebungen für „Gegengewal't“ (gegen die böse staatliche Gewalt nämlich) interpretieren will.

Da kommentierte etwa Michael Siegert die Verurteilung von Peter Paul Zahl (Drucker der Berliner Linken) und den Tod von Ulrike Meinhof folgendermaßen: „Dieses Urteil markiert einen Sprung im Wachstum des westdeutschen Totalitarismus. Der Tod Ulrike Meinhofs im Gefängnis ist ein Menetekel dieser Atmosphäre der Einschüchterung. Solange das Zahl-Urteil aufrechtist, wird derBRD-Staat am Pranger stehen.“ Im selben Heft (Mai/Juni 1976) steht der Text „Ich träume, daß ich töte“, eine einzige Verherrlichung der Gewalt, von Annie Cohen. Im folgenden Heft (Juli/August 1976) veröffentlichte das „Neue Forum“ nicht nur die letzten Texte von Ulrike Meinhof, sondern auch einen Aufruf zu Geldspenden für die RAF-Angeklagten in einen „Rechtshilfefonds“ (Treuhänder: der nun selbst hinter Gittern sitzende Anwalt Klaus Croissant!).

Im November 1976 präsentierte man den Lesern stolz den beschlagnahmten Text „Normalvollzug“ von Peter Paul Zahl, der laut „Neues Forum“ .jahrelang Polizeiüberfällen (getarnt als .Durchsuchungen') ausgesetzt“ war, ehe ihn ein „Gesinnungsurteü“ für die Linken zum Märtyrer machte. Zwei Hefte später fühlt sich Michael Siegert bemüßigt (Jänner/Februar 1977), eine linksextreme Splittergruppe zu verteidigen, die zu einer Geldstrafe verurteilt worden war, als sie anläßlich des OPEC-Überfalls ein Bulletin mit folgendem Satz herausgab: „Die Geiselnahme einer Handvoll Monopolisten, an deren Händen das Blut von ungezählten Arbeitern und Bauern klebt, ist im Gegensatz zu Anschlägen auf Warenhäuser und Bahnhöfe, bei denen Angehörige der unterdrückten Massen betroffen werden, eine unbedingt zu verteidigende Aktion.“ Siegert scheute sich nicht, Worte wie „Gedankenverbrechen“, „Gesinnungsparagraph“ (nach Paragraph 282 des Strafgesetzbuches ist das Gutheißen bestimmter krimineller Handlungen strafbar) und „Denkzensur“ zu verwenden, und für „einen Beitrag zu den Verteidigungskosten“ eine Kontonummer anzugeben.

Noch vor Schleyer und Mogadischu verkündete Reinhold Oberlercher im „Neuen Forum“ (August/September 1977): „In Stammheim hat die deutsche Anarchie einen international beachteten ideologischen Erfolg errungen.“ Gleichzeitig ist Deutschland für Friedrich Geyrhofer aus einem Sozialstaat zu einem Polizeistaat geworden. Er meint zynisch: „Tränen für Bu-back? Im Polizeistaat hat der Staatsbürger seinem obersten Staatsanwalt aus tiefstem Herzensgrunde nachzuweinen.“ Nach der Schleyer-Entführung ließ man sogar Jean Genet mit seinem Aufsatz „Die RAF hat recht“ zu Wort kommen, noch dazu „ohne das gehobene Bein einer Distanzierungs-formel“, wie Michael Siegert in der Einleitung d,azu betonte (Oktober 1977).

Und was sagte der für den Inhalt der Zeitschrift Verantwortliche, der Chefredakteur und Herausgeber DDr. Günther Nenning, der den ihm von Bruno Kreisky verliehenen Titel „Wurstel“ noch immer nicht angebracht hat, dessen „Neue Freie Presse“ Schiffbruch erlitt, der sich neben dem „Neuen Forum“ noch um linksla-stige Club-2-Sendungen im Fernsehen und um die Journalistengewerkschaft kümmern muß, zum Terror und zur Position des „Neuen Forums“? Für ihn ist der Terror „eine bürgerliche Familienaffäre“ (Oktober 1977), und „Genet ist ein alter Tepp“ (November 1977). Der Terrorismus wird nach Nenning schließlich bankrott machen, wozu das „Neue Forum“ natürlich beigetragen hat: „... nicht bloß durch Dokumentation ultralinker Texte, die in der BRD nicht mehr erscheinen können (insoweit waren die Anstrengungen der Anarcho-Terroristen. erfolgreich, sondern durch saubere Analyse vom Standpunkt einer rigorosen Parteinahme für die wirkliche Bewegung zum Sozialismus.“

Nachdem bei der Redaktionskonferenz am 14. September 1977 die anwesenden Mitarbeiter „jede wie immer geartete Verbindung mit anarchistisch-terroristischen Gruppen für unzulässig und falsch“ erklärt haben, meldet der nicht anwesende Gerhard Oberschlick später folgenden Vorbehalt an: „Verbindung ist wichtig aus journalistischen und politischen Gründen. Abzulehnen ist die Teilnahme oder auch nur Ermutigung.“ Und Josef Dvorak zieht nachträglich sogar seine Unterschrift zurück, um im Dezember-Heft 1977 unter dem Titel „Big Reinlege“ Nennings Genet-Artikel zu zerpflücken. Dieser schließt im selben Heft seinen Kommentar Baaders Bankrott“ mit den Sätzen: „Die Neue Linke ist die einzige Chance, in geeigneter Verdünnung, zur geistigen Wiederbelebung der Sozialdemokratie. Wer Neue Linke und Terrorismus als identisch denunziert, ist Sympathisant der Strauß-Dregger-Bande.“

Die Terror-Sympathisanten im „Neuen Forum“, die „aus journalistischen und politischen Gründen“ Verbindung zu Anarchisten- halten, können sich jedenfalls weiter austoben, denn Nenning läßt seinen Mitarbeitern Narrenfreiheit, Querelen der diversen Mitarbeiter untereinander werden jede Nummer in aller Offenheit ausgetragen. Welch schöner un-zensurierter Pluralismus! Skandalös wird das Ganze aber, wenn sich außenstehende Autoren laufend beklaeine bürgerliche Familienaffäre.“ Günther Nenning (gestern) gen, daß sich die „Forum“-Redakteure für ihre Manuskripte nicht selten sinnstörende Änderungen und irreführende Zwischentitel einfallen lassen, wenn dieses Blatt, das unseren Staat und sein Gesellschaftssystem ständig in Frage stellt, neben der üblichen Presseförderung noch erkleckliche Sondersubventionen erhält!

Der Chefredakteur, der sich bemüht, hier alles Linke auf einen Nenning zu bringen, scheint seit einiger Zeit die einzelnen Beiträge wenigstens wieder vor der Drucklegung zu lesen. Immerhin wurde im letzten Jahr die Pornoflut in dieser Zeitschrift eingedämmt, nachdem Nenning wegen harter Pornographie wieder einmal zu einer Geldstrafe verurteilt worden war. Ansonsten hat das „Neue Forum“ die Blattlinie, die Nenning ein wenig nach rechts korrigieren wollte, noch nicht verlassen. Die Redakteure sind noch immer aus dem Holz, aus dem man Sympathisanten schnitzt, die Berichterstattung über Kirche, Religion und österreichische Geschichte noch immer aus dem Stoff, aus dem „Staatsoperetten“ sind.

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