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Randhemerkungen zur woche

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IN DEN LETZTEN TAGEN beschäl tigten sich Zeitungsmeldungen mit einem Personenwechsel, der im Unterrichtsministerium bevorstehe. Die einzige reale Tatsache, die den viellältigen Kombinationen zugrunde lag, geht daraul zurück, daß sich an der Spitze der Landesverwaltung von Vorarlberg in absehbarer Zeit eine Veränderung vollziehen clürtte, da Statthalter Ilg sich schon seit einiger Zeit mit Rücktrittsabsichten trägt, und iür diesen Fall aut dem letzten Parteitag der OeVP Vorarlbergs der Rul an Minister Dr. Kolb erging, die Führerstelle in der Verwaltung seines Heimatlandes zu übernehmen. Gewichtige iachliche Interessen, die in den Händen des Unterrichtsministers Dr. Kolb ihre zuverlässige Betreuung rinden, sprechen jedoch gegenwärtig aut das bestimmteste gegen einen Personenwechsel in diesem heiklen Bereiche der staatlichen Hoheitsverwaltung. — Die Bundesparteileitung, die zur selben Zeit versammelt ist, da diese Zeilen geschrieben werden, wird voraussichtlich in solchem Sinne entscheiden.

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DIE VERSUCHUNGEN EINES GROSSEN SIEGES: so kann man die unmittelbare Epoche nach dem Wahlsieg Dr. Adenauers vom 6. September 7953 bezeichnen, das Empordrängen von Krälten und Persönlichkeiten, die zu einer Art Machtübernahme streben. Nun hat bekanntlich der Führer der Opposition, Ollenhauer, eine solche Tendenz bereits in seiner ersten Erklärung nach den Wahlen den Siegern vorgeworlen. Das ist eine gefährliche Insinuation, soweit es die Persönlichkeit des Kanzlers betrilit, der, wahrhaftig ein Mann des Maßes und der Mitte, eine echte europäische und eine echte innerdeutsche Integration anstrebt. Wie sehr damit aber reale Bestrebungen angezeigt wurden, zeigen einige beunruhigende Nachrichten, die wir der KNA, der ofliziellen katholischen Nachrichtenagentur Deutschlands, die sich hundertprozentig Iür Dr. Adenauer eingesetzt hat, entnehmen. Es sind drei Komplexe, die im Vordergrund stehen: gewisse Totali-

sierungsbestrebungen in der CDUjCSU, das Vordrängen der Interessenverbände der Großindustrie (die den Wahlkampl stark finanzierte) und, nicht zuletzt, der ernst zu nehmende Versuch einer Spaltung der Gewerkschalten. — „Ehard fordert Liquidierung der Bayernpartei“: der CSU-Landesvorsitzende, der bayrische Ministerpräsident Dr. Hans Ehard, hat in einem Appell über den bayrischen Rundfunk die Bayernpartei aufgefordert, sich selbst aut Grund des Ergebnisses der letzten Wahlen zu liquidieren. Worauf, von deutscher Seite, die Frage erhoben wird: Wohin kommen wir, in und mit der Demokratie, wenn jede Wahlniederlage zu einer Liquidation dieser und jener Partei führen soll? Nun ist gerade Doktor Ehard als ein aulrechter Demokrat bekannt — als Symptom verdient deshalb sein Appell besonders starke Beachtung. — Zum zweiten. Es war schon vor den Wahlen lange kein Geheimnis mehr, daß die Vertreter der Großindustrie und des Kapitals, die bereits zur Beeinflussung des alten Bonner Bundestages 280 Agenten in Bonn unterhielten, noch mehr Einlluß auf die deutsche Politik als bisher anstreben und auch in CDU-Kreisen über Verbindungen vertagen. Nun erhebt, kurz nach den Wahlen, der CDU-Abgeordnete Johannes Even als Sprecher des Kartellverbandes westdeutscher katholischer Arbeitervereine (KAB) den Mahnrul, „die CDU dürle nicht ohne die Arbeiter regieren. Die Berücksichtigung der Arbeilerschatt bei der Besetzung von drei bis vier Bundesministerien sei erforderlich, um den Sog der gewerkschaltsieindlichen Schichten in der kommenden Regierungskoalition auszugleichen.“ „Falls die arbeitenden Schichten nicht genügend berücksichtigt würden, werde es der vereinten Opposition von DGB und SPD nicht schwertallen, große Teile der Ar-beiterschalt im Zeitraum weniger Jahre aus dem Getühl des Uebergangenseins in eine staatsfeindliche Haltung zu treiben.“ — In einigem Gegensatz zu dieser klaren Erkennt-I nis stehen nun die Bemühungen eben dieser

katholischen Arbeitervertreter um eine Gründung christlicher Gewerkschaften. Johannes Even und Prälat Dr. Hermann Josel Schmitt, der Verbandspräses 'der KAB, polemisieren heitig gegen Bundesminister Jakob Kaiser und Ministerpräsident Karl Arnold, die in richtiger Erkenntnis der für die Arbeiterschaft nicht ungefährlichen Lage sofort nach den Wahlen Gespräche mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund begonnen haben. Even und Schmitt plädieren dagegen für die Gründung eigener christlicher Gewerkschaften. „Die KAB hege keine Hoffnung mehr auf eine Aende-rung der reaktionären marxistischen Haltung der Einheitsgewerkschaft und ihrer Führungsgremien, denn 70 Prozent der Funktionäre bis weit hinunter in die mittleren Schichten stünden in politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Fragen auf dem Boden des Sozialismus.“ „Die Demokratie funktioniere im DGB nicht mehr, der Schulz der Minderheiten sei nicht mehr vorhanden“, erklärten Even und Schmitt. Eine Zerschlagung der deutschen Gewerkschaften könnte aber ganz andere Folgen haben, als die, welche jetzt von den Initiatoren einer Spaltung erhofft werden. Man fragt sich, ob die christlichen Arbeiter, als eine Minderheit sowohl der konservativistischen Regierungsmehrheit wie auch den sozialistischen Mehrheitsgewerkschatten gegenüber, imstande wären, ihre im Interesse des Gesamtstaates wichtigen Standesinteressen nachdrücklich zu vertreten. Noch größer ist vielleicht die Hypothek, die der deutsche Katholizismus sich hiermit aufladen würde: die Verantwortung, die er mit dem Wahlsieg vom 6. September übernommen hat, erlordert ein Höchstmaß von sozialem Verständnis und Einsicht in die schwierige seelische Situation des deutschen Volkes. Das rapide Anwachsen des Antiklerikalismus bedeutet eine uitäb&tl'“-bare Mahnung.

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.FARBEN TRAGEN, HEISST FARBE BEKENNEN!“ Unter dieser Schlagzeile, die das Herz jedes aufrechten Oesterreichera höher schlagen läßt, beginnt ein Leitaufsatz des Hauptorgans einer im österreichischen Parlament vertretenen Partei mit den Worten: „Es lag in der Natur der Sache, daß mit dem Zusammenbruch 1945 auch die Träger des Geistes in Oesterreich den politischen Raubtieren zum Fräße vorgeworfen wurden.' Träger des Geistes in Oesterreich: man kann da an Berta von Suttner denken, deren Denkmal als erstes, im März 1938, in Wien dem Sturm zum Opfer fiel, es ist erlaubt, an Hans von Hammerstein, an die jungen Männer um Roman Scholz zu denken — eine leuchtende Schar, die sich dem Ungeist entgegenstellten — nun aber hören wir hier, daß die Träger des Geistes nicht 1938, sondern eben 1945 .den politischen Raubtieren zum Fräße vorgeworfen wurden“. Was ist das für ein Geist, der da, 1945, gehindert wurde, Oesterreich, die Freiheit, und den Geist zu repräsentieren? Es ist, man lese und staune: die Burschenschaltl .Gegenwärtig stellt mit rund 10.000 Mitgliedern dieser größte Akademikerverband Oesterreichs, dem sämtliche freiheitlichen Burschenschaften, Korps, Landsmannschaften, Sängerschalten usw. angehören, die machtvollste Sammlungsbewegung des unabhängigen, geistigen Oesterreich dar.“ Dieser Akademikerverband hat sein Zentrum in der grünen Steiermark, in jenem Graz (das einst) als „Hauptstadt der Bewegung' seinen Namen erwarb. „Denn, die steirischen Hochschulen waren immer ein Hort der Freiheit, ein Zentrum geistiger Sammlung und Keimzelle höchster nationaler Ideen und sie werden es — so Gott will! — auch Immer bleiben!' — Freiheit? Die Burschenschalten hatten eine freiheitliche Tradition: um 1815 und um 1848. Jeder demokratische Oesterreicher wird sich freuen, wenn sie diese aus einem hundertjährigen Schlafe wiedererwecken: 1953. In der Zwischenzeit nämlich geriet diese arg in Vergessenheit. Noch unvergessen aber ist bei allen freiheitlichen Oesterreichern das, was diese Verbände in den letzten Jahrzehnten getan haben: gegen die Freiheit, gegen die Unabhängigkeit Oesterreichs, und auch sehr gegen den Geist. Dieser ist — und Gott will es so — an keine Grenzen gebunden, an keine Nation. Wenn wir nun also hören, daß besagter Akademikerverband „sein Wirken im Zeichen der Wiedererstarkung des nationalen Gedankens“ ausbreitet, erinnern wir uns an das Wort des Oesterreichcs Franz Grillparzer vom Weg seines Jahrhunderts von der Humanität über die Nationalität zur Bestialität. Ein ernstes Wort, das heute noch gilt. Ist zu hoffen, daß diese „Träger des Geistes“ aus ihrer Tradition gelernt haben? Wir wissen es nicht. Die Oeffentlichkeit aber wird es an ihren Worten, Taten und geistigen Leistungen bald genug erfahren

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