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Digital In Arbeit

„Singing waum, waum...

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Diese Zeitung hat nie ein Hehl daraus gemacht, daß sie von den ethischen, politischen und auch standespolitischen Aktivitäten des DDr. Günther Nenning nicht allzu viel hält. Nicht deshalb, weil wir etwas gegen den privat durchaus sympathischen Nenning haben — sondern wegen der offensichtlich neurotischen Art eines Journalisten, der zwischen Linkskatholizismus und Kommunismus wie ein Schmetterling flattert, und weil ihm stets nur eines das Wichtigste war: schick zu schillern.

Nenning war lange Zeit in dem kleinbürgerlich-spießigen, den Intellektuellen skeptisch gegenüberstehenden Österreich so etwas wie ein Sauerteig, den man in der geistigen Landschaft nicht vermissen wollte, auch wenn man mit ihm nicht einer Meinung war. Damals war Nenning auch noch Chef des alten „Neuen Forum“, dessen Meinung am Ende der Koalitionszeit wesentlich zur Neuformierung der Innenpolitik geführt hat. Nennings Verdienst ist es

auch, im Katholizismus eine Periode der Neubesinnung zumindest beschrieben zu haben.

Nachrufe sind melancholisch.

Dies ist ein Nachruf auf einen Günther Nenning, mit dem Auseinandersetzungen noch sinnvoll, nützlich, vor allem aber amüsant waren.

Diesen Günther Nenning gibt es nicht mehr.

Nachdem er bereits das „Forum“ in eine gehobene Postille für Lustverstärkung und sexuelle Emanzipation umfunktioniert hatte und Unappetitlichkeiten als gesellschaftspolitische Funktion etikettierte, ist er nun auf die „Neue Freie Presse“ gefallen, selbst nackt unter Nackten, zwischen „Jasmin“ und „St. Pauli-Nachrichten“, mit einem Auge auf die kapitalistischen Inserenten schielend (die gibt's tatsächlich), mit dem anderen auf jene Art von Lebenshilfe, die auch bundesdeutsche Illustrierte füllt: Knister, knister, sun is going down, and I'm singing waum, waum, waum...

Nun wäre solcher Verfall kein

Grund zum langatmigen Lamento, wäre der Herausgeber und Verantwortliche solcher trüber, dummer Schmockerei mit Sinn für den jugendlichen Voyeurismus nicht zugleich Präsident der Journalistengewerkschaft — und damit Repräsentant eines Berufsstandes, der sich soeben vor Öffentlichkeit und Politikern

fordernd aufstellt und der mehr Freiheit für seine verantwortungsvolle Arbeit verlangt, weil diese eine öffentliche Aufgabe darstelle und sogar von der Verfassung geschützt werden sollte.

Wer solche Forderungen an die Gesellschaft heranträgt — und das tun mit Recht die Journalisten — muß sich auch gefallen lassen, kritischer unter die Lupe genommen zu werden. Diesen Stand nun repräsentiert Günther Nenning. Gewählt zu einer Zeit, als man sich noch darum riß, im „Forum“ zu schreiben; wiedergewählt zu einem Zeitpunkt, da Nenning als „Wurstel“ im Sperrfeuer politischer Kritik stand.

Aber nun?

Nenning als Repräsentant der österreichischen Journalisten; das ist, seit es die „Neue Freie Presse“ an den Standein zu kaufen gibt, so gut wie ein Fußtritt für alle jene in diesem Berufsstand, die sich noch tatsächlich so etwas wie ein Ethos bewahrt haben.

Redakteure einer Salzburger Zeitung haben ein Telegramm an Präsident Benya gerichtet; Chefredakteure wie Fritz Czoklich in der „Kleinen Zeitung“ sprechen von einem Wegwerfheft für progressive Analphabeten; die „Presse“ — nament-

lich durch das Nenning-Blatt mißbraucht — spricht kryptisch von „Konsequenzen“.

Tatsächlich: diese sind nötig.

Aber da braucht es gar nicht eines Telegramms an den ÖGB-Präsiden-ten. Die Statuten sind ganz klar. Eine Mehrheit von Journalisten kann jederzeit eine Vollversammlung einberufen, und eine qualifizierte Mehrheit kann einen neuen Präsidenten der Journalistengewerkschaft wählen.

Seit nämlich Nenning leichtfertig im Zusammenhang mit der Mehrwertsteuerregelung (offensichtlich uninformiert) die finanziellen Interessen zahlloser Journalisten nicht wahrte, fällt schließlich auch der letzte Grund weg, Nenning noch als Repräsentanten zu halten.

Wie gesagt, dies ist ein Nachruf.

Den alten Nenning gibt es nicht mehr. Dem neuen Nenning wünschen wir viel Erfolg mit seinem angeblich unabhängigen Blattl für Abhängige.

Aber wie beginnt Nenning — prophetisch? — seinen Leitartikel in der ersten „Neuen Freien Presse“?:

„Viele Leute sind tot, obwohl sie noch herumgehen.“ Es stimmt.

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