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„Klägliche Gesellschaft“

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Zwischen Links, Extrem-Links und Halblinks sind unmittelbar vor dieser Wahl scharfe Meinungsverschiedenheiten ausgebrochen. Die KPÖ hofft erstmals wieder auf ein Grundmandat; dafür aber hat sich eine Aktion „Offensiv-Links“ aus ehemaligen KP-Funktionären und FÖJ-Mitgliedern (der kommunistischen Parteijugend) wahlwerbend konstituiert. Und zwischen all dem steht die Gruppe um Günther Nenning, der noch immer zur SPÖ gehört. In der theoretischen Zeitschrift der KPÖ, „Weg und Ziel“, geht KPÖ-Publizist Ernst Wimmer mit Nenning und seinen Thesen zum 10, Oktober ins Gericht:

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Zwischen Links, Extrem-Links und Halblinks sind unmittelbar vor dieser Wahl scharfe Meinungsverschiedenheiten ausgebrochen. Die KPÖ hofft erstmals wieder auf ein Grundmandat; dafür aber hat sich eine Aktion „Offensiv-Links“ aus ehemaligen KP-Funktionären und FÖJ-Mitgliedern (der kommunistischen Parteijugend) wahlwerbend konstituiert. Und zwischen all dem steht die Gruppe um Günther Nenning, der noch immer zur SPÖ gehört. In der theoretischen Zeitschrift der KPÖ, „Weg und Ziel“, geht KPÖ-Publizist Ernst Wimmer mit Nenning und seinen Thesen zum 10, Oktober ins Gericht:

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Was theoretisch weniger Beschlagenen als Demagogie erscheinen könnte, bietet Nenning als Problem dialektisker Meisterschaft an. Die Tatsache, daß „Kreisky und sein Team“ den Kapitalismus modernisieren, das unvernünftige Ganze rationalisieren wollen, läßt sich nicht leugnen, weil sie sich dessen selber rühmen. Also produziert Nenning als ersten Beitrag zu einer „linken Strategie“ flink die Theorie, daß just „die Funktion der Sozialdemokratie als Agentur zur Modernisierung des österreichischen Kapitalismus…

derzeit unabweislich wahrgenommen werden“ (muß). Schon 1926 habe sich die Sozialdemokratie in Otto Bauers Wirtschaftsprogramm als „Arzt am Krankenbette des Kapitalismus“ offeriert —, „das heißt als Agentur für die Modernisierung des Kapitalismus“. Und sie hat nach Meinung Nennings daran recht getan, auch wenn es bei dieser Entwicklung immer weiter nach rechts, bis zum Austrofaschismus ging. „Denn erst auf der Stufe einer vollen Entwicklung zunächst der kapitalistischen Produktionskräfte lasse sich demo kratischer Sozialismus erreichen durch nachfolgende Übernahme des solcherart ausgebauten ökonomischen Apparates."

Mit dieser Tehese — meint Nenning —, der sie unter der Hand auch Kreisky zuschreibt, befinde sich dieser „mit seiner .Neuen ökonomischen Politik’ in bester austromarxi- stischer (überhaupt klassisch-marxistischer Gesellschaft).“ Eben mit dieser Argumentation demonstriert Nenning, welche Abgründe des Unverstandes und des Mißverständnisses ihn vom Marxismus, von der Theorie trennen, die wirklich gesellschaftsumwälzend wirken, die in und mit den Massen zur materiellen Gewalt werden kann.

Die Logik, die Nenning zur Verfügung steht, um die „Nützlichkeit und Unentbehrlichkeit“ einer rosa Politik für „Revolutionäre“ zu beweisen, zwingt ihn zu weiteren theoretisch-schöpferischen Leistungen. Wenn die Funktion der Sozialdemokratie „als Agentur zur Modernisierung des österreichischen Kapitalismus“ außer Frage steht, dann genügt es nicht, zu behaupten, daß diese Funktion „derzeit unabweislich wahrgenommen werden muß“. Man muß noch „weiterschreiten“, wie Nenning es versprochen hat. Zu der These: daß mit dieser Funktion der Modernisierung auch „die Funktion sengegensatz sich zwingend ergibt, wird von Nenning bis auf weiteres durch Ignorieren abgeschafft. Indirekt erfährt man von seiner Existenz nur durch die Argumentation, daß Kreisky das Vertrauen der aufgeklärten Industriellen zwar verdient, aber das Vertrauen der Untertanen verlieren könnte.

Im Vorwort Zur „Deutschen Ideologie“ beschäftigten sich Marx und Engels mit Leuten, die man für Geisteskranke hätte halten können, aber nur „wahre Sozialisten“ waren: mit Leuten, die glaubten, daß man die Welt ändert, wenn man Phrasen neue, andere oder gewendete Phrasen entgegengesetzt. Als Muster führten sie einen Philosophen an, der fest davon überzeugt war, daß nur der Begriff der Schwere schuld ist, wenn Leute ertrinken, und man gegen Gefahren des Wassers gefeit ist, gelingt es, sich von ihm zu befreien. Auch für Nenning kommt es in der Politik offenkundig nur auf Benennung, auf die Auslegung an. Seine gesellschaftsändernde Funktion erschöpft sich somit darin, daß er zur kläglichen’ Gesellschaft jener gehört, deren Forderung, radikal das Bewußtsein zu verändern, nur darauf hinausläuft, das Bestehende anders zu interpretieren, es vermittels einer anderen Interpretation brav anzuerkennen.

der Sozialdemokratie als Interessensvertretung der Unteren gegen die Oberen innerhalb des Kapitalismus steht und fällt.“

Nach Nennings Logik folgt die Einmaligkeit, die Nützlichkeit, die Unentbehrlichkeit der Sozialdemokratie just daraus, daß sie den Kapitalismus saniert, ihn besser organisiert als es die Oberen könnten und eben dadurch die Interessen der Unteren wahmimmt! Der Interessensgegensatz, der aus dem Klas-

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