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Grüne Welle für rote Zukunft?

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Der Kapitalismus kann mit Menschen nur was anfangen, wenn sie Konsumenten, genormte Warenempfänger sind. Der Wohlfahrtsstaat kann mit Menschen nur was anfangen, wenn sie genormte Wohlfabrtsempfänger sind.

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Der Kapitalismus kann mit Menschen nur was anfangen, wenn sie Konsumenten, genormte Warenempfänger sind. Der Wohlfahrtsstaat kann mit Menschen nur was anfangen, wenn sie genormte Wohlfabrtsempfänger sind.

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Der nebenstehende Beitrag von Günther Nenning ist ein Auszug aus den „Roten Markierungen”. Vieles reizt zum Widerspruch, zur Diskussion. Wir haben daher Herbert Krejci, den Generalsekretär der Vereinigung österreichischer Industrieller, eingeladen, dazu Stellung zu nehmen. Denn: Jedes Ding hat zwei Seiten. Das Pro und Kontra aufzuzeigen, sehen wir auch hier als unsere Aufgabe an. In zwangloser Folge werden wir daher auch in Zukunft Gastautoren zur kritischen A useinandersetzung mit ernstzunehmenden Beiträgen aus den ,,Roten Markierungen” einladen.

Von GÜNTHER NENNING

J edem nach seinen Bedürfnissen: das ist eine Maßeinheit für sozialistische Gleichheit, die das Gegenteil von „Gleichmacherei” ist.

„Gleichmacherei” betreibt der Kapitalismus. Er kann gar nicht produzieren, ohne zuvor den Leuten einzureden, was sie alles brauchen - und zwar alle das gleiche, sonst rentiert sich die Pro-, duktion nicht. Ehe er unsinniges Zeug produziert, muß er das Bedürfnis der Leute nach unsinnigem Zeug produzieren - und zwar für alle das gleiche Bedürfnis, sonst rentiert sich die Produktion nicht. Industrie heißt „Gleichmacherei” der Produkte, Werbung heißt „Gleichmacherei” der Menschen.

Für ein solches System haben immer mehr Menschen - vor allem junge, vor allem Kopfarbeiter - nur noch Spott, Hohn, Verweigerung, Widerstand. Gleichheit heißt: gleiche Befriedigung der Bedürfnisse eines jeden, auch und erst recht, wenn sie querliegen zur kapitalistischen „Gleichmacherei” unserer Bedürfnisse.

Sozialistische Gleichheit gegen kapitalistische Gleichmacherei. Immer mehr Menschen sagen: Ich fordere gleiche Befriedigungmeiner Bedürfnisse nach Umwelt, Natur, Stille, hochwertige Nahrung für Körper, Geist, Seele -ich will mich nicht gleichmachen lassen mit jenen, die alle das gleiche Haus, das gleiche Auto, den gleichen Urlaub, den gleichen Lärm, den gleichen Mist wollen, mit dem die Werbefritzen sie zwangsbeglücken.

Nach -zig Jahren sozialdemokratischer Mit- und Alleinregierungen in kapitalistischen Staaten ist die materielle Ungleichheit nicht kleiner, sondern größer. Außer ein paar Jusos scheint das niemand zu stören.

Das ist traurig, aber wohlbegründet. Die Sozialdemokratie bringt Lebensstandard, Gleichheit erst der Sozialismus. Ab einem gewissen allgemeinen materiellen Standard kann's vernünftigen Menschen eigentlich wurst sein, daß es Esel gibt, die immer noch mehr und noch mehr wollen.

Die Fronten im Klassenkampf haben sich verschoben. Was uns oben bei den „gleicheren Tieren” so unheimlich ist, ist nicht so sehr die Ballung von Vermögen und Einkommen - sondern die Ballung von Macht, ökonomischer, politischer, technischer Macht. Heute geht der Klassenkampf zwischen den Mächtigen, die Leben zerstören, Umwelt verwüsten, vernichten, vergiften können, und den Ohnmächtigen, die sich immer zahlreicher dagegen wehren - und dann auch nicht mehr ohnmächtig sind.

Ich weiß schon, daß in den Bürgerinitiativen viele Leute marschieren, denen es materiell recht gut geht, und nicht die materiell Schwachen. Wer zuwenig hat, i will mehr, auch um den Preis, daß ringsum alles hin wird. Gesunde, schöne Umwelt ist, wenn man so will, Luxus. Es ist ungerecht, daß die Sozialdemokratie, Schöpferin des hohen Lebensstandards, damit jetzt Probleme kriegt.

Nur ändert das nichts daran: Großindustrie, Großtechnik, Fortschritt zu

Am grünen Tisch immer mehr Konsumplunder - das sind keine sozialistischen Grundwerte, wohl aber: sinnerfülltes Leben im Einklang mit Natur und Kultur.

Bürgerinitiativen sind keine bloße Mode, weil auch die Ausplünderung unseres Planeten keine bloße Mode ist, sondern recht dauerhaft.

Das Gewimmel der Bürgerinitiativen, widersprüchlich wie es ist, ist der Beginn einer großen, neuen Gleichheitsbewegung. Merk's Sozialdemokratie! ...

Was am Wohlfahrtsstaat zu kritisieren ist, ist die kapitalistische Gleichmacherei aller Waren, die kapitalistische Gleichmacherei aller Konsumenten. Die Entwicklung in Richtung Sozialismus muß „über den Wohlfahrtsstaat hinaus”, wie dies erstmals die österreichischen Sozialdemokraten in ihrem Programm 1978 definierten.

Von jedem die gleiche Leistung, jedem die gleichen Waren - das ist nicht Brüderlichkeit, sondern Gleichmacherei. „Solidarität fordert von jedem Einsatz nach bester Fähigkeit und sichert jedem eine Versorgung, die seinen Bedürfnissen entspricht.”

Dieser Satz des Programms 1975 der schwedischen Sozialdemokratie ist einer der ältesten des Sozialismus überhaupt. Marx: „Von jedem nach seinen Fähigkeiten, an jeden nach seinen Bedürfnissen” - übernommen aus dem französischen Frühsozialismus.

Solidarität, Brüderlichkeit liefert den Maßstab für Unterscheidung zwischen Gleichmacherei und Gleichheit.

Gleichmacherei: lieblos alles über einen Kamm scheren - über den Kamm gleichgemachter Waren, gleichgemachter Konsumemten.

Gleichheit: liebevoll gleiche Rücksicht auf die sehr ungleichen Fähigkeiten der Menschen, liebevoll gleiche Rücksicht auf die sehr ungleichen Bedürfnisse der Menschen.

Solidarität ist lieoevoll gleiche Rücksicht auf die Ungleichheit des Menschen.

Auszugsweise aus „Rote Markierungen ”80” (Europa-Verlag).

Ejines muß man Ihnen, lieber, hochgeschätzter (das ist aus guter, jahrzehntealter Tradition ehrlich gemeint!) Günther Nenning, lassen: Sie machen auch jede Mode mit, springen auf jeden Zug auf!

Rechtzeitig hängen Sie sich nun_an die „Grüne Welle” an: Nenning als Anwalt der Bürgerinitiativen, als Verfechter einer neuen Brüderlichkeit, Solidarität (fehlt nur noch die „Zärtlichkeit” oder die Höchtl'sche „Gemütlichkeit”!).

Dennoch wird's mir unheimlich vor so viel „Gut-gemeint-Sein”. Alexander Riistow hat mit Recht vor den „Do-gooders” gewarnt. Da kämpfen Sozialisten seit Jahrzehnten nicht nur dafür, daß die Völker „ihre Ketten verlieren”, sondern daß sie auch zu materiellem Wohlstand kommen.

Nun, da ein gewisses Maß davon erreicht ist, geht die Miesmacherei an: gegen Werbung, Konsum, natürlich auch gegen die, die das alles erst zuwege bringen, gegen Großindustrie und Großtechnik.

Sie, lieber Günther Nenning, und Ihresgleichen müssen wenig Vertrauen in die Kraft einer sozialistischen Bildung setzen. Wo bleibt da der „mündige Bürger”, der selbst entscheidet, der dank Bildung reif geworden ist?

Auch wenn Sie's nicht gerne hören: Ich glaube, daß uns im Augenblick nur die „Macher” helfen können, gewiß, „Macher” mit Herz und Verantwortung, nicht nur mit kalter Rationalität. Aber die vielen pragmatisierten „grünen” Unglücksboten, die, wie Helmut Schmidt sagte, von der Dienstpragmatik abgesicherten Lehrer, die für eine „heile Welt” kämpfen, die werden's bestimmt nicht richten.

Denn jetzt gibt es nur ein Uberlebensrezept in diesem eben angebrochenen neuen Hochspannungsjahrzehnt, bei krisenhafter Weltlage, einer mit Sicherheit zu erwartenden verschärften Nord-Süd-Spannung, einer vermehrten Aggressivität von Industriestaaten wie Japan: top-fit sein, was Ausrüstung und Mobilisierung der Humanreserven betrifft, eben besser, flexibler als die anderen, vor allem härter zugreifend.

Erkundigen Sie sich bei den von Ihnen gewiß nicht geschätzten sozialistischen Managern wie Heribert Apfalter, Walter Fremuth oder Franz Vranitzky, die werden Ihnen sagen, was in der Welt gespielt wird, daß man mit der parasitären „Gemütlichkeit” kaum mehr durchkommt.

Das ist das eine.

Aber nun zum zweiten Ihrer Gleichheitsthese: Sie, verehrter Günther Nenning, plädieren offensichtlich für das verordnete, von oben befohlene Glück. Das kann mir, auf gut Wienerisch, „gestohlen bleiben”. Ich möchte mir von niemand vorschreiben lassen, ob ich als „Konsumtrottel” zu meinen X Krawatten noch fünf neue dazukaufe oder statt dessen „Natur, Stille, hochwertige Nahrung für Körper, Geist, Seele” verlange.

Von Ihnen nicht, verehrter Herr Nenning, ebensowenig wie von Herrn Josef Höchtl und seiner Gemütlich-keits-Schickeria. Für die „hochwertige Nahrung für Geist und Seele” lassen Sie mich gefälligst selbst sorgen.

Mir kommen nämlich Erinnerungen, wie da immer wieder in der Geschichte die Naturapostel, Asketen und vorgeblichen Glücksbringer Vorreiter des To-talitarismus waren: von den Wandervögeln und den Zupfgeigenhanseln führt ein folgerichtiger ,Weg zu sehr „geordneten” Lebensformen („Im Gleichschritt marsch!”).

Noch etwas kommt mir in diesem Zusammenhang in den Sinn, was das -von Ihnen vielleicht nicht gewünschte -Ergebnis der „Gleichheit” ist: der Ausspruch eines schwedischen Bildungspolitikers: „Wirwollen ein Schulwesen, das wie eine wohlgemähte Grasfläche aussehen soll, wir wollen nicht, daß Blumen da und dort blühen, sondern eben eine wohlgemähte Grasfläche.”

Auch ich bin kein Wachstumsfanatiker um jeden Preis, kein Umweltzerstörer. Auch ich will eine schöne, gesunde Umwelt. Aber dafür muß man jetzt in erster Linie arbeiten, produktiv tätig sein, ja - horribile dictu - auch und vor allem in den Schaltzentralen des Industriesystems, in den vielgelästerten Chefetagen der Großtechnik und Großindustrie. Ohne die wird's nämlich nicht gehen! Auch im Interesse der „Dritten Welt” nicht!

Und was die viergepriesene „Gleichheit” betrifft, die Sie, Günther Nenning, in dankenswerter Weise von der „Gleichmacherei” absetzen, so denken Sie bitte an den Schlußsatz von Tocque-villes „Uber die Demokratie in Amerika”: „Die Nationen unserer Zeit können die Gleichheit in ihrer Mitte nicht verhindern; aber es hängt von ihnen ab, ob die Gleichheit sie zur Knechtschaft oder zur Freiheit, zur Bildung oder zur Barbarei, zum Wohlstand oder zum Elend führt.”

Ich fürchte sehr, daß nicht nur die „Gleichmacherei”, sondern auch Ihre-idealisierte - „Gleichheit” eher zur Barbarei und ins Elend führt. Das wollen wir doch beide nicht?

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