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Die Kirche hat Nachholbedarf

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Diözesanbischof Egon Kapellan holte Hans Maier(am 11. Oktober auch in Wien) jüngst zum Thema „Revolution, bürgerliche Welt und Christentum“ zu den St. Georgener Gesprächen.

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Diözesanbischof Egon Kapellan holte Hans Maier(am 11. Oktober auch in Wien) jüngst zum Thema „Revolution, bürgerliche Welt und Christentum“ zu den St. Georgener Gesprächen.

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FURCHE: Herr Professor Maier, kann man es sich so leicht machen und behaupten: Die Revolution ist zu Ende?

PROFESSOR HANS MAIER: Gerade darüber, ob die Revolution zu Ende ist, streiten die Historiker. Man kann sagen, daß in Frankreich die sozialistisch-kommunistische Historikerschaft immer noch dazu neigt, Revolution in Permanenz zu erklären, während der vom Kommunismus bekehrte Historiker Füret heute zu Recht sagt, die Revolution ist zu Ende, sie hat eine neue Basis des Rechts, der Wirtschaft und Politik geschaffen, aber man kann sie nicht in Permanenz erklären. Denn die Revolution ist das eine, eine verfassungsmäßige Wirklichkeit ist das andere. Revolutionen legitimieren sich dadurch, daß sie eine neue Ordnung begründen. Aber sie legitimieren sich nicht dadurch, daß sie sich gewissermaßen selbst verlängern.

FURCHE: Hängt damit auch zusammen, daß in Frankreich die Parteien in die Mitte gerückt sind und die Ideologie nicht mehr im Vordergrund steht?

MAIER: Ganz richtig. Der schon erwähnte Füret hat gemeint, daß in der Zeit von Mitterrand mit der Niederlage des kämpferischen Laizismus, der großen Demonstration für die freien Schulen 1983, auch der ideologische Erziehungsanspruch des Jakobiner-Staates endgültig verschwunden sei. Erst jetzt schließt sich Frankreich verspätet dem Zug

der angelsächsischen Demokratien an, wo immer schon Demokratie und Rechtsstaat eine enge Verbindung gebildet haben, der Staat auf den Anspruch verzichtet hat, den Bürger nach seinem Bild zu formen und zu erziehen.

FURCHE: Man feiert 200 Jahre Französische Revolution. Wirdnicht zu wenig an die Opfer gedacht, und daran, daß es eine blutige Revolution war?

MAIER: Die Lage ist folgende. Im weltlichen Lager der Geschichtsschreibung sieht man inzwischen deutlich beide Seiten der Revolution. Im katholischen Lager ist man ein wenig geteilt. Während die Mehrheit dazu neigt, mehr das Positive der Revolution zu sehen, sind die Verbrechen der französischen Revolution beinahe zu einer Domäne der Gruppe um Lefebvre geworden. Es sollte deutlich werden, daß die Revolution keine Sache ist, die man mit einem Ja oder Nein zur Kenntnis nimmt.

FURCHE: Wagt man den Sprung zur Gegenwart, so ist Bescheidenheit angesagt, da man den Anspruch auf Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit nur noch als Minimalforderung in Teilbereichen stellt. Sind nicht neue Fragen in den Mittelpunkt gerückt • wie Arbeitsplatz, Gesundheit, Umwelt, Frieden, Minderheiten?

MAIER: Ganz ohne Frage. Zur Bescheidenheit gehört auch die Einsicht, daß die Revolution Freiheit und Gleichheit als große Themen der Verfassungspolitik durchgesetzt hat, daß es aber mit der Brüderlichkeit bis heute...

FURCHE: Würden Sie auch den Begriff der Geschwisterlichkeit akzeptieren?

MAIER: Ohne weiteres. Mit der Geschwisterlichkeit ist es nicht so weit her, wobei ich gleich die skeptische Bemerkung anfüge, das kann nicht vom Staat allein ausgehen. Da Sie das Wort Geschwisterlichkeit nennen: Ein weiteres Defizit der Französischen Revolution war ja auch, daß sie ganz und gar unter Männern gemacht wurde. Groteskerweise hat Frankreich als eines der letzten Länder Europas erst nach 1945 das Frauenstimmrecht eingeführt.

FURCHE: Wenn man nun diese Defizite sieht, stellt sich die Frage: Was zeichnet die bürgerliche Gesellschaft aus? Was bedeutet die beabsichtigte Aufhebung der beiden ideologischen Blöcke? Kristallisiert sich nicht unter der Oberfläche etwas

Neues heraus?

MAIER: Diese Gefahr sehe ich wohl. Die Vorgänge in Mittel- und Osteuropa erinnern uns daran, daß zentrale Impulse der bürgerlichen Bewegung von der Französischen Revolution nach wie vor lebendig sind. Kurz, die Menschenrechte, Marktwirtschaft, Freiheit des Rei-sens, Freiheit der Rede und Meinungsäußerung.

FURCHE: Wo steht nun die Kirche in der Auseinandersetzung um die Gegenwart und Zukunft?

MAIER: Die Kirche hat Teile des Krankenhauswesens wie auch der Schulbildung an die Gesellschaft abgetreten. Es wäre eine Überforderung, zu erwarten, daß sie wie die mittelalterliche Kirche Gesellschaft umfaßt und gestaltet. Es wäre, wie ich glaube, eine hierarchische Überforderung für die Kirche. Die Kirche ist Gegengewicht, Korrekturinstanz, Auffanglager, und das sollte man nicht gering sehen in einer

Gesellschaft, die von Zwecken regiert wird und manchmal auch von Opportunismus.

Natürlich würde ich wünschen, daß die Kirche da und dort über diese Rolle hinauswächst und Wege in die Zukunft zeigt, daß sie gewissermaßen die Türen offenhält, um über diese Gesellschaft hier und j etzt hinauszusehen, auf die ganze Welt zu, auf die Dritte Welt. Hier müßte noch mehr geschehen. Aber wir müssen realistisch sehen, wir sind keine sehr große Herde.

FURCHE: In Ihren Büchern „Katholizismus und Demokratie“ sowie “Religion und moderne Gesellschaft“ ist die Rede von der Demokratisierung der Kirche...

MAIER: Ein großer Teil meiner politischen wie auch kirchlichen Arbeit war auf die Versöhnung von Kirche und Demokratie gerichtet. Daß die Kirche sich nicht nur äu-

ßerlich mit der modernen Freiheit und Gleichheit ins Vernehmen setzt, in Form diplomatischer Verhandlungen zwischen zwei Partnern, sondern daß sie auch ein Stück dieser demokratischen Kultur in das eigene Innere übernimmt, das ist ein gewaltiges Thema. Ich bin mir bewußt, daß wir hier nicht von heute auf morgen eine grundlegende Änderung erwarten können.

FURCHE: An welche Zeitspanne denken Sie dabei?

MAIER: Man wird sicher fünfzig, hundert Jahre ansetzen müssen. Das ist so der kirchliche Atemrhythmus, der geht also weit über das individuelle Lebensalter hinaus. Es ist aber schon viel, daß die Kirche von den voreiligen Verurteilungen von Gewissensfreiheit, Meinungsfreiheit, Grundrechten abgerückt ist, wie sie im 19. Jahrhundert noch üblich waren. Ich gebe die Hoffnung nicht auf, daß gewisse rechtsstaatliche Einrichtungen in der

Kirche selbst Wurzeln schlagen. Eine kirchliche Verwaltungsgerichtsbarkeit zum Beispiel, dafür trete ich seit dreißig Jahren ein. Die Kirche darf als Institution nicht auf die Dauer hinter dem Menschenrechtsstandard der weltlichen Gesellschaft zurückbleiben.

FURCHE: Der Flüchtlingsstrom und die damit zusammenhängende Ausländerfeindlichkeit ist nicht nur ein Problem für die Bundesrepublik...

MAIER: Wie mit einem Blitzlicht wurde die wirkliche Verfassung der DDR, aber auch ein Stück der wirklichen Verfassung der Bundesrepublik offenbar gemacht. Ich möchte zwei Dinge stark herausstellen. Einmal: Das Zusammengehörigkeitsgefühl der Menschen ist immer noch oder wieder sehr groß, wie immer man über die politischen Realisierungsmöglichkeiten denkt. Zum anderen sind die bei uns im Westen manchmal allzu nachlässig und gedankenlos genossenen Freiheiten immer noch dort, wo sie den

Menschen vorenthalten werden, eine gewaltige dynamische Kraft. Insofern wird man die Vorgänge im September 1989 nicht so rasch vergessen, ohne daß die Folgen im einzelnen schon überschaubar sind.

FURCHE: Würden Sie mit Marion Gräfin Dönhoff übereinstimmen, die meint, die Niederlage des Marxismus im Osten bedeute nicht einen Triumph des Kapitalismus?

MAIER: Ich glaube, daß Gräfin Dönhoff hier gegen ein Gespenst anrennt. Den Kapitalismus in Manchester-liberalen Zügen gibt es gar nicht mehr. Wir haben eine soziale Marktwirtschaft, wir haben eine rechtlich stark gebundene wirtschaftliche Freiheit. In dieser gesetzlich disziplinierten Form ist die Marktwirtschaft nach wie vor etwas, wofür es im Osten keine Alternative gibt. Ich glaube nicht, daß uns Schwärmen über einen dritten Weg weiterführt.

FURCHE: Wird damit der westliche Weg als globale Beglückung, trotz seiner ökologischen und anderen Nebenerscheinungen, ohne Alternative hingestellt?

MAIER: Diese Nebenerscheinungen lasse ich nicht unberücksichtigt. Es war gerade ein Auftrag der christlichen Soziallehre, hier die notwendigen Widerlager zu errichten. Insofern ist der Einspruch der Kirche gegen ein zügelloses Freiheitsverständnis nach wie vor aktuell. Dennoch scheint es mir wichtig, daß der Grundanspruch des Subjektes von der Kirche ernst genommen wird. Daß die Kirche hier noch einen gewissen Nachholbedarf hat, das haben so unterschiedliche Geister wie Karl Rahner, Johann Baptist Metz, Ernst Wolfgang Böckenförde in jüngster Zeit wohl zu Recht festgestellt.

Hans Maier ist Inhaber des (Romano-Guardi-ni-)Lehrstuhls für Christliche Weltanschauung, Religions- und Kulturtheorie an der Universität München und war bayerischer Staatsminister für Unterricht und Kultus sowie Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken. Er referiert am 11. Oktober 1989 zum Thema „Die Französische Revolution und die Katholiken“ im Wiener Katholischen Akademikerverband. Mit ihm sprach Siegmund Kastner.

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