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Statt Abhangigkeit — Mundigkeit

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Der Tiroler Diözesaribischof Paul Rusch veröffentlichte dieser Tage ein „Christliches Gesellschaftsmodell für die Zukunft“, das von der Erfahrung ausgeht, daß die Kenntnis christlicher Vorstellungen zu Staat und moderner Welt weitgehend verschüttet ist. Bischof Rusch war bereits in den fünfziger Jahren Autor des Sozial hirtenbriefes der österreichischen Bischöfe.Wir bringen einen Auszug aus diesem Beitrag.

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Der Tiroler Diözesaribischof Paul Rusch veröffentlichte dieser Tage ein „Christliches Gesellschaftsmodell für die Zukunft“, das von der Erfahrung ausgeht, daß die Kenntnis christlicher Vorstellungen zu Staat und moderner Welt weitgehend verschüttet ist. Bischof Rusch war bereits in den fünfziger Jahren Autor des Sozial hirtenbriefes der österreichischen Bischöfe.Wir bringen einen Auszug aus diesem Beitrag.

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Ist das nicht eine sonderbare Sache: Es ging uns in den letzten Jahren immer besser, und doch wurde bei vielen die Unzufriedenheit immer größer. Wir sind, wie die Wissenschaftler sagen, an eine Grenze gestoßen.

Aber schon bevor klar wurde, daß das Wachstum des Lebensstandards seine Grenzen hat, machten viele die Erfahrung, daß der Lebensstandard allein zuwenig ist, um dem Leben Sinn und Bedeutung zu geben. Gerade in reichen Nationen wurde das deutlich.

In dieser Verunsicherung des Westens — um diesen handelt es sich besonders — ist nun eine eigentümliche Unruhe erwacht. Man glaubt, der Westen habe überhaupt kein gesellschaftliches Modell für die Zukunft. Und also neigen sich viele den marxistischen Ideen zu. Ein Spätmarxismus ist in Europa erwacht. Trotz aller Erfahrung von Ungerechtigkeit und Zwang, wie sie im Osten herrschen, greift er immer weiter um sich.

Stimmt nun diese Behauptung, daß wir kein gesllschaftliches Modell für die Zukunft haben?

Sittlichen Gebrauch der menschlichen Fähigkeiten und Kräfte zu lehren, war schon immer notwendig. Schon beim Naturmenschen. Wir denken, an Kain. Erst recht beim Kulturmenschen. Wir denken an die Menschenausnützung durch die Sklaverei, in voller oder abgeschwächter Form. Am allermeisten aber ist dies notwendig beim Machtmenschen. Die früheren Gefahren bleiben, die große neue gesellt sich hinzu: Vernichtung des Lebens und der Menschheit.

Der Mensch stieg also in seiner Geschichte auf vom abhängigen Menschen — das war er in seiner Naturstufe — zum mündigen Mensehen. Das wurde er, freilich vor allem in der Führungsschichte, in der Kulturstufe. Jeder soll jetzt weiter aufsteigen zum verantwortungsbewußten Menschen.

Als der österreichische Episkopat sich vor 20 Jahren zur Partnerschaftsidee bekannte, erregte er viel Widerspruch. Der Partnerschaftsgedanke hat sich aber weithin durchgesetzt;. Man hat aber zu sehr vergessen, daß der Partnerschaftsgedanke aus dem christlichen Baum kam.

Das neue gesellschaftliche Leitbild ist also die Partnerschaftsgesell-schaft. Danach ist die Gesellschaft nicht mehr vertikal gegliedert wie früher. Früher war immer einer dem andern untergeordnet. Das galt auch für einen ganzen Stand. Das wirkt sich entsprechend im Wirtschaftsbereich aus. Es geht also darum, die Betriebe zu Partnerschaftsbetrieben organisch umzugestalten. In einem Partnerschaftsbetrieb sind alle Arbeitnehmer nicht nur Befehlsempfänger, sondern sie sind Mitträger des Betriebes. Es gibt also eine Betriebsverfassung, jeder ist nicht einfach Arbeiter, sondern Mitarbeiter, er hat in der Betriebsversammlung ein Mitspracherecht. Dieses Mitspracherecht weitet sich bei entsprechender fachlicher Zuständigkeit aus zu einem Mitbe stimmungsrecht. Dies alles hat auch eine Änderung der Betriebsrechnung zu bewirken: Der Arbeiter wird nioh^^nieh^'als'^nkosterrfaktor der' Erzeugung eingesetzt. Es gibt vielmehr durch die gemeinsame Arbeit aller, also von Arbeitgeber und Arbeitnehmer, einen Betriebsertrag, der verteilt wird: durch Lohn, durch Gehalt, durch Investition und durch Steuern. Der Staat ist der ungenannte, aber sehr kräftig Mitbeteiligte an jedem Ertrag). Bleibt noch ein Gewinn, so möge auch dem Arbeitnehmer ein Anteil daran zukommen.

Das Ganze dient der Vermenschlichung des Betriebes. Der Betrieb soll eine humane Leistungsgesellschaft werden. Das Ideal ist: er sei eine an den sittlichen und menschlichen Grundwerten orientierte Leistungsgemeinschaft.

Wenn wir unsere Gedanken auf die Volkswirtschaft ausweiten, so sieht das so aus: ein ganzer Berufszweig, wie etwa Metallindustrie, soll in einen Berufsverband mit Berufsrat zusammengefaßt werden. Dieser Berufsrat sei nun wieder partnerschaftlich zusammengesetzt, etwa aus Unternehmerschaft und Gewerkschaft, um Gesamtentscheidungen zu treffen.

Im Staatsganzen aber werde ein Wirtschaftsrat eingerichtet. In ihm hätten Unternehmer, Gewerkschaften, Kleingewerbe, Landwirtschaft und Konsumenten Sitz und Stimme.

Der Sozialstaat soll Wohlfahrtsstaat sein, aber nicht Versorgungsstaat.

Dieses Verlangen nach dem Versorgungsstaat ist des Menschen unwürdig. Es entmündigt ihn. Der mündige Mensch nimmt sein Geschick in die Hand, plant und trägt Verantwortung.

Nun aber entsteht die Frage: nach welchem Merkmal unterscheidet man den Wohlfahrtsstaat vom Versorgungsstaat? Dazu bedarf es einer Wertordnung. Auch das Personale ist ein Geistwert. Und dieser Wert steht sehr weit oben; er ragt bis in die absoluten Werte hinein. Wer also dem Menschen die persönliche Verantwortung1 labnimmt, der degradiert ihwf.“u>s >nii> iikittH.. .jiiutoai

Wenn es aber um diesen Persönlichkeitswert geht, dann heißt das, die Gesinnungswerte müssen gefördert werden. Und das heißt wieder, die Schulen dürfen nicht nur Lernschulen sein, sie müssen vielmehr Erziehungsschulen sein. Das wertet das Volk nicht ab zu einer Plebs,was aber in jedem Versorgungsstaat geschähe.

Fazit: Wir müssen zu dem Sozialstaat noch ein kennzeichnendes Wort hinzunehmen, nämlich: wertorientierter Sozialstaat.

Es geht aber nicht nur um das Staatswohl, es geht vielmehr um das JVZensc/iheitstüoW. Dieser Begriff muß sich unseren Herzen einprägen. Glaubt nicht, daß uns damit etwas Fremdes oder eigentlich Neues zugemutet wird. Das ist alte christliche Botschaft. Christus kam für das Heil der' Welt, das ist: der Menschheit. Das Heil ist ganzheit-,lich, also für den ganzen Menschen bestimmt. Wenn wir nun sagen, für das MenschheitsMiohl, so liegt das Schwergewicht auf dem körperlich-äußeren Wohl, es ist also nicht das ganze Heil. Beim Dienst der Kirche erst liegt die Dominante auf den inneren Werten, und also auf dem, was ewig ist und im tiefsten Sinn das Heil bedeutet.

Es geht also um das Menschheitswohl und das ist eine christliche Aufgabe. Dann aber geht es um eine Zusammenarbeit der Staaten. Jeder Staat muß den Nationalegoismus sprengen. So weit sind wir noch lange nicht. Das Europajahr der UNO hat keinen Ertrag gebracht. Sobald die Ölkrise kam, versuchte jeder Staat, für sich allein einen Vorteil herauszuschlagen. Wir brauchen eine Gesinnungsänderung der Staaten und ihrer Völker.

Es gebt darum, daß der Vergeudung der Rohstoffe Einhalt geboten werde. Es ist nichts anderes als ein weltweiter Massenegoismus, wenn jetzt die Rohstoffe verbraucht werden, von denen die nachfolgenden Generationen leben sollten. Es muß in den westlichen Völkern ein Sinn für Sparsamkeit geweckt werden: Konsumaskese!

Es geht schließlich um den Weltfrieden. Der aber kann nicht gesichert werden, ohne daß den Entwicklungsvölkern bedeutende menschliche und sachliche Hilfe geleistet wird. Wenn nämlich die Entwicklungsvölker immer am Hungertuch nagen und die Westvölker irh' Überfluß-1 lebew,1' dtfnn werden die Spannungen so groß, daß sich ein neuer Weltkrieg nicht vermeiden läßt. Und hier ist vor allem die junge Generation aufgerufen, diesen Entwicklungshelferdienst zu leisten. Schon haben sich viele der Besten gemeldet. Weitere werden gesucht.

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