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Wie gemäßigt sind die Gemäßigten?

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„Zwar ist die Sozialistische Partei nicht eine Interessenpartei, denn sie verficht sozialethische und staatsphilosophische Grundsätze und orientiert sich nach ideellen Zielen, aber ihre Anliegen sind von dieser Welt und stehen nicht im Widerspruch zur Religion, insbesondere nicht zur katholischen Kirche, die Nächstenliebe zu einem Glaubenssatz macht.”

Diese Worte schreibt Fritz Klenner - langjähriger führender Gewerkschaftsfunktionär, Mitglied des Parteivorstands und Abgeordneter der SPÖ sowie Generaldirektor der BA- WAG, heute Pensionist, aber noch immer einer der profiliertesten Ideologen gemäßigter Observanz - in seinen „Denkanstößen zum Überleben”, welche als Ratschläge für das in Ausarbeitung befindliche neue sozialistische Parteiprogramm gemeint sind. «

Klenner gehört zu jenen, die von der SPÖ immer vorgeschickt werden, wenn es darum geht, sich Konzilianz - sei es der Kirche, sei es anderen Institutionen gegenüber - attestieren zu lassen. Dennoch schreibt der gleiche Klenner in seinem Buch „Sozialismus in der Sackgasse”:

„Das Dogma der Unfehlbarkeit marxistischer Lehrsätze ist nichts anderes als ein Glaubenssatz, und der paßt so wenig in eine aufgeklärte Gesellschaft und zu einer sich für wissenschaftlich haltenden Lehre wie die Dogmen der katholischen Kirche.”

Hier zeigt sich die gleiche ambivalente Haltung, welche zwischen jovialer Gönnerhaftigkeit und Diskreditierung schwankt, wie sie seitens der SPÖ - speziell in letzter Zeit - wieder verstärkt praktiziert wird.

Ähnlich ambivalent verhält sich Klenner auch anderen Problemen gegenüber: Da kritisiert er die falsche Modernität der italienischen Sozialisten in der Abtreibungsfrage und vertritt die Ansicht, daß der Kommunist Amendola eher den richtigen Ton findet, wenn er sagt: „Uns schaudert bei der zügellosen Kampagne, die mit dem Ruf arbeitet: ,Der Bauch gehört mir.”

Eine Seite vorher tadelt Klenner aber, daß die Fristenlösung in Österreich in ihrer gegenwärtigen Form nicht allen Frauen Hilfe bringe: „Die Frauen in den Städten finden leicht den richtigen Weg, aber wer gibt den Frauen in den Dörfern, in denen Pfarrer, Lehrer und Arzt dominieren…, den richtigen Rat?

In Fragen der Politik, Wirtschaft, Erziehung und Kultur, ja sogar in puncto der konstanten Expansion des Sozialstaats findet sich bei Klenner eine Unzahl sehr maßvoller Statements, die sogar von den schärfsten Kritikern des Sozialismus durchaus unterschrieben werden könnten. Wer aber dann erwartet, daiß Klenner die Konsequenzen daraus in seinem Maßnahmenkatalog zieht, der wird enttäuscht.

Sicherlich, auch in seiner neuesten Schrift distanziert sich Klenner von radikalen Prozeduren, kanzelt die Scharfmacher der eigenen Partei gehörig ab, aber er gibt die marxistischen Zielsetzungen letzten Endes keineswegs preis, er möchte sie nur mit subtileren, weniger provokatorischen Mathoden erreichen. Er weiß sich in dieser Beziehung in Übereinstimmung mit Kreisky, der in einer Diskussion mit Günther Kenning erklärt hat:

„Denn es gibt eine erschütternde Erfahrung, wenn man sehr progressive Reformen anpeilt, und man stellt sie zur Diskussion - auch nach ganz guter Vorbereitung: Dann ist es halt leider so, daß das Bewußtsein der Menschen so deformiert ist, daß man nur mit großer Mühe Mehrheiten bekommt”

Ist also die ganze Mäßigkeit nur Taktik, werden die sozialistischen Zielsetzungen trotz ihrer in vielen Fällen von Klenner zugegebenen mangelnden Übereinstimmung mit den Erfordernissen der Realität unvermindert, nur mit weniger Brutalität, sondern mit mehr Delikatesse angestrebt, geht es nur darum, Liberale und Christen zu finden, welche ein „Stück Weg” mit den Sozialisten mitgehen, nämlich jenes Stück Weg, für welches sie von diesen noch gebraucht werden? Bei aller Sympathie für die konziliante Form Klenners wird man bei zahlreichen seiner Vorschläge diesen Verdacht nicht los.

Sicherlich, er wäre bereit, der Kirche, den Unternehmern und den Politikern anderer Parteien eine Unmenge von Konzessionen zu machen, aber er macht sie nur dort, wo es nicht um gesellschaftspolitisch und ideologisch „relevante” Probleme geht, um dann in allen jenen essentiellen Fragen, die Strukturveränderungen in Richtung Sozialismus bedeuten, der anderen Seite beinhart bedingungslose Konzessionsbereitschaft abzufordem. Ob es nun um die scheinbar so gemäßigte „Konkordanzdemokratie” geht, die auf den ersten Blick gewissen ÖVP-In- tentionen ähnlich sieht, ob um Mitbestimmung, um Steuern oder um das Schulsystem: Er macht an der Oberfläche Konzessionen, um damit die nichtsozialistische Seite zur Kooperation bei ihrer eigenen Abschaffung zu verpflichten. Hier zeigt sich eine interessante neue Taktik der „gemäßigten” Sozialisten insgesamt - nicht nur Klenners.

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