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Kein zweiter Allende

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Hermann Gebhardt, Montevideo, über Perons Eiertanz zwischen Links und Rechts

Als Ende Oktober in der Bonaerenser Rechtsfakultät eine Gedächtnisfeier für den (rechtsperoni-istischen) Gewerkschaftsführer Jose Rucci, einen engen Freund Peröns, stattfand, kam es zu einer Schießerei.

Mißbrauch der Universitätsräume für. politische Kundgebungen und die Konfrontation bewaffneter Studenten werden in der argentinischen Presse als typisch für die „revolutionären Kräfte“ bezeichnet.

Bei einer Rede, die der Präsident Juan D. Perön Ende Oktober in der Zentrale des (gemäßigten) Gewerk-schaftsdachverbandes „CGT“ hielt, sprach er von den „Böswilligen oder Dummen“, die von ihm sine Revolution verlangten und erklärte, er werde ihnen nicht den Gefallen tun, das Schicksal Allendes herauszufordern. Perön, der sich stets als Freund Allendes bezeichnete und früher davon sprach, wie dieser ideologisch einen „nationalen Sozialismus“ zu vertreten, hat die entgegengesetzte politische Taktik gewählt. Wenige Tage vor Allendes Sturz sagte Perön einer Delegation der Links-Peronistischen Jugend, Allende erleide Schiffbruch, weil er seinen, Peröns Ratschlägen nicht gefolgt sei. Nach ihnen hätte sich Allende, der höchstens 44 Prozent der Stimmen gewinnen kannte, nicht auf die Arbeitergruppe der „Union Populär“ allein stützen, sondern sich mit der christdemokratischen Mit-telstandspartei Dr. Freis einigen und die Strukturveränderungen, besonders die Nationalisierungen, auf jenen Grad beschränken müssen, in dem diese zu ihnen bereit waren. Nach Ansicht Peröns hat die völlig einseitige Wirtschaftspolitik, wie sie Allende zu alleinigen Gunsten der Arbeiter betrieben hat, die Sabotagewelle der Oberschicht und des Mittelstandes ausgelöst.

Perön sucht deshalb auf parteipolitischer und wirtschaftlicher Ebene die Zusammenarbeit aller Kräfte zu erreichen und jede Zuspitzung zu vermeiden. So hat er zum Sekretär der Präsidentschaft, dem wichtigsten Amt der Verwaltung, den Leader der kleinen „Volkskonservativen Partei“ Dr. Solano Lima bestellt, der noch vor 20 Jahren als antiperonistischer Emigrant in Montevideo lebte und vor drei Monaten Vizepräsident der abgetretenen Cämpora-Regierung war. Ihm hat er allerdings als politischen

Sekretär Julian Licastro unterstellt, der seinerzeit wegen „peronistisch-marxistischer Propaganda“ aus dem Heer ausgestoßen worden war.

Dr. Hector J. Cämpora, der kurzfristige Statthalter Peröns, hatte bei seinem Amtsantritt am 25. Mai 1973 linksrevolutionäre Elemente der Partei in Schlüsselstellungen eingeschleust. Dies war nicht zuletzt der Grund seines schnell erzwungenen Rücktritts. Damals nannten die peronistischen Parlamentarier Doktor Cämpora „den hervorragendsten Repräsentanten der peronistischen Treue und des revolutionären Kämpfertums“. Nach wenigen Wochen hatte sich das Bild gewandelt. Cämpora und der Gouverneur von Cördoba, Ricardo Obregön, hatten Solidaritätsbotschaften zu einer Kundgebung der „Peronistischen Jugend“ in Cördoba gesandt. Dort sollen die Führer der peronistischen „Montoneros“, Mario Firmenich und Roberto Quieto, erklärt haben, daß „der General das Band und den Kommandostab des Präsidenten, aber nicht die politische, wirtschaftliche und militärische Macht“ besitze. Die peronistischen Führungsgremien sprachfn von einer „Beleidigung des Präsidenten“ und forderten Cämpora zur Stellungnahme auf. Dieser antwortete mit einer vagen Huldigungserklä-

rung für Perön. Damit begann die „ideologische Reinigungsaktion“. Der „Oberste Justizialistische Rat“, das Spitzengremium der Partei, klagte Cämpora und prominente Linksperonisten an, „das zerstörerische Chaos und die Anarchie im Rahmen einer angeblichen Revolution“ gesät zu haben. Aber Cämpora fiel nur halb in Ungnade. Er wird als Botschafter in Mexiko kaltgestellt.

Dieser Konflikt zwischen Reformern und Revolutionären beschränkt sich keineswegs auf parteiinterne Auseinandersetzungen. Ihr Reflex ist ein alarmierendes Anwachsen des politischen Rowdytums. Innerhalb eines Monats sind sechs Peronistenführer, meist der linken Richtung, ermordet worden. Überfälle und Attentate jeder Form gehören zum Alltag dieser inner-peronistischen Auseinandersetzungen. Dagegen ist die Entführungsserie, bei der Lösegeld bis zu einer Million Dollar erpreßt wird, vor allem auf das Konto des trotzki-stisch-leninistischen „ERP“ („linksrevolutionäres Heer“) zu buchen. Während die peronistischen Gueril-leros — von Perön euphemistisch „Sonderformationen“ genannt — sich ihm zur Zeit untergeordnet haben, setzt das „ERP“ den revolutionären Kampf auf eigene Rechnung fort.

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