Quelle steter Sehnsucht

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Isabel Allende erfindet ihr Heimatland Chile.

Neunjährig muss Isabel Allende das erste Mal Chile verlassen, bekommt als Trost eine Weltkarte und Shakespeares "Gesammelte Werke" in die Hände gedrückt. Diese Kombination öffnet ihr die Augen: der Nabel der Welt ist nicht das Heimatland, Santiago nicht die Krone aller Metropolen. Sämtliche Sicherheiten des Kindes lösen sich auf dieser Reise in die Fremde auf, aber die packenden Königsdramen und Liebesgeschichten Shakespeares schenken dem kleinen Mädchen bleibende Zuversicht: Fantasie und gut erzählte Geschichten können einen tröstlichen Ersatz für Verluste bieten. Diese Erkenntnis wird ihr ein Leben lang hilfreich sein.

Eine Liebesbeziehung

Mit Witz und einer als subjektiv dargestellten und damit recht glaubhaften Wahrnehmung schildert sie die Rolle ihres Landes in ihrer Biografie. Dabei geht es weniger um Voyeurismus bedienende Details, sondern um die Darstellung einer Liebesbeziehung.

Direkt wendet die Autorin sich an ihre Leserschaft, plaudernd entführt Isabel Allende ihre Zuhörer. Schnell wird klar, dass die aufgezählten Fakten aus Wirtschaft und Geschichte, die zärtlich beschriebenen Schönheiten der unterschiedlichen Landstriche, der liebevoll skizzierte Reigen von Sonderlingen, betrogenen Liebenden, Erfindern und Verlierern keine übliche Beschreibung von Land und Leuten ergeben. Trotzdem ist dieses Buch - auch - eine empfehlenswerte Lektüre für jeden Chilereisenden. Aber es ist noch viel mehr: Allende zeigt, wie aus (subjektiv erfahrenen) Tatsachen Geschichten werden, wie Wirklichkeit von Erfundenem überlagert werden kann, welche Auswirkungen das eine auf das andere hat. Und das schafft sie ohne Pathos, ohne Verkitschung.

Das Chile ihrer Jugend ist von gesellschaftlichen Geboten und strikten Normen geprägt. Abweichungen werden drastisch geahndet. Das prägt das kleine Mädchen, das beeinflusst die junge Frau. Anpassung ist ein Thema in ihrer Familie, aber wie man individuelle Freiräume erkämpft, das lernt sie ebenfalls.

Ihre Geradlinigkeit, Neugier und undiplomatische Sturheit verhelfen der jungen Journalistin schnell zu Bekanntheit und nach dem Militärputsch zu schmerzenden Erfahrungen, führen sie vor allem ins Exil. Das ist für Isabel Allende, früh zum Abschiednehmen und Verlassenwerden gezwungen, eine ihr Leben endgültig verändernde Zäsur. Die vermisste Heimat wird zur Quelle steter Sehnsucht. Das Geisterhaus, der Roman, der sie aus finanzieller Bedrängnis rettet, ist auch die Sichtbarmachung dieser Gier nach dem ihr verschlossenen Land.

Verbannt in den "Rest des Universums" erkennt sie mit den Jahren, dass ihre Erinnerungen mehr bieten als die reale Heimat und dass ein wahres Zuhause in Menschen liegt. Das mag banal klingen.

Aber gekonnt weicht die Schriftstellerin Trivialem und Kitschfallen aus, eine gehörige Portion Ironie hilft ihr dabei. Der lockere Plauderton wechselt in sehr zurückgenommene Berichterstattung über die teils grausamen politischen Gegebenheiten, macht neugierig auf weitere Informationen. Auch dies ein gelungener Liebesdienst der Autorin an ihrem Geburtsland.

Zärtlicher Sarkasmus

Der zärtliche Sarkasmus, den Isabel Allende meisterhaft beherrscht, wurde in der deutschen Übertragung erhalten. Außerdem hat sich die Übersetzerin Svenja Becker die Mühe gemacht, nach Chile zu reisen und die wichtigen gesellschaftlichen Änderungen, die seit Erscheinen des spanischen Originals im Jahr 2003 stattgefunden haben, im Anhang zu protokollieren.

Mein erfundenes Land

Von Isabel Allende

Aus d. Span. v. Svenja Becker

Suhrkamp Verlag, Frankfurt 2006

202 Seiten, geb., Euro 17,30

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