7036333-1989_50_03.jpg
Digital In Arbeit

Schlacht um die Absolute

19451960198020002020

Heute, 14. Dezember, ist Wahltag in Chile. Nach 16 Jahren endet das Pinochet-Regime. Der Diktator hat aber vorgesorgt und der heißerwarteten Demokratie viele Fußangeln gelegt.

19451960198020002020

Heute, 14. Dezember, ist Wahltag in Chile. Nach 16 Jahren endet das Pinochet-Regime. Der Diktator hat aber vorgesorgt und der heißerwarteten Demokratie viele Fußangeln gelegt.

Werbung
Werbung
Werbung

Chiles Politik folgte bis 1964 gemächlich patriarchalischen Spielregeln. Dann explodierte die „Revolution in Freiheit“ des Christdemokraten Eduardo Frei (1964 -1970), der mit der Agrarreform vor allem den ländlichen Bereich dynamisierte. Ihm folgte der Sozialist Salvador Allende (1970 -1973), der Chile gesellschaftlich durcheinanderwirbelte, aber am Putsch der

schroff antikommunistischen Offiziere scheiterte. Seit September 1973 regiert General Augusto Pinochet mit strenger Hand.

Politisch blieb das Land infolge obsoleter Muster in einer Sackgasse stecken. Jedoch die Technokraten, die im militärischen Korsett rücksichtslos durchgreifen konnten, mobilisierten alle industriellen Ressourcen. Chile hat eine bemerkenswerte Infrastrukturmodernisierung durchgemacht, funktioniert inzwischen mit europäischem Profil und wächst auf der Basis einer exportorientierten Agroindustrie zwischen fünf und acht Prozent im Jahr.

Trotzdem kommt jetzt wieder die Politik zum Zug, denn die demokratische Opposition nimmt sich der ungelösten Verteilungsfrage an, dem großen sozialen Manko der Pinochet-Ära. Während die Pinochet-Regierung stolz auf die Arbeitslosenquote von nur 6,4 Prozent verweist, schätzt das christdemokratische CED-Entwicklungsin-stitut den Anteil der Haushalte, die an der Armutsgrenze halten, auf 49 Prozent. Chiles demokratische Opposition will das exportorientierte Wachstumsmodell beibehalten, aber dessen Gewinne vornehmlich für die Bekämpfung der absoluten Armut einsetzen. Diese Formel verspricht am Wahltag, dem 14. Dezember, einen sicheren Sieg.

Der „Capitan General“ Pinochet, der noch lange nicht abtreten wollte, hat sich in seinem eigenen System gefangen: Seit der von ihm oktroyierten Verfassung von 1980 bemühte er sich um die Legitimierung seiner Herrschaft. Das Plebiszit im Oktober 1988 sollte ihm eine verfassungsmäßige Präsidentschaft bis 1998 sichern. Doch der Volksentscheid ging für Pinochet, den seine Meinungsforscher falsch informierten, negativ aus. Demzufolge muß heute eine Präsidentschaftswahl ohne Pinochet stattfinden.

Der Zug der chilenischen Politik fährt derzeit auf Gleisen, die noch von Pinochet gelegt wurden, deren Weichen aber bereits in Richtung demokratische Opposition gestellt wurden. Im Juli dieses Jahres konnte noch eine für die Opposition wichtige Verfassungsreform approbiert werden. Für die erste Präsidentschaftswahl seit 1970 giltder Christdemokrat Patrick) Aylwin als sicherer Sieger. Schafft er den absoluten Wahlsieg, entfällt die Stichwahl, und die kommende Übergangsphase kann viel leichter bewältigt werden.

Trotz 16 Jahren Pinochet gilt die alte Faustregel chilenischer Politik: Ein Drittel der Stimmen für die Rechte, ein Drittel für die Christdemokraten, ein Drittel für Sozialisten und Marxisten. Mit Ausnahme der - suspendierten - Kommunistischen Partei beteiligen sich alle sozialistischen und christdemokratischen Fraktionen, insgesamt 17 Gruppierungen, an einer großen oppositionellen „Concertaciön“, der Patricio Aylwin von den Christdemokraten vorsteht. Theoretisch müßte er zwei Drittel der Stimmen kriegen. Bürokratische Schikanen, Restriktionen jeder Art, Verzerrungen im Wahlgesetz, Einschüchterungen und Denunziationen, Warnungen vordem „kommunistischen Chaos“ sollten seine Prozentzahl herunterdrücken. Ob er trotzdem die Absolute schafft, ist die aufregende Frage dieses Wahlkampfes, in dem die Chilenen ihre Angst vor Pinochets Polizeistaat abzulegen lernten.

Die Rechte machte Viele taktische Fehler und konnte sich auf keinen Einheitskandidaten einigen. Hernan Büchi, Pinochets einstiger

Finanzminister, 40 Jahre jung, sportlich, unbekümmert, Modell-Technokrat, bringt es nicht wirklich fertig, die Massen zu mobilisieren. So nimmt er seine Zuflucht zu vagen Andeutungen eines baldigen Zusammenbruchs des erfolgreichen Wirtschaftsweges, sollte der 70jäh-rige Aylwin gewinnen.

Der „Concertaciön“ ist der absolute Wahlsieg sehr wichtig. Präsident Pinochet versuchte nämlich, alle möglichen .Strategieentscheidungen für die nächsten vier Jahre vorwegzunehmen. Außerdem will er sich selbst unantastbar machen. Ein Nationaler Sicherheitsrat sowie ein Sondergesetz für die Streitkräfte („Ley Orgänica Constitucio-naldelasFuerzasArmadas“), stellt die Armee - der Pinochet weiter vorstehen wird - autonom neben die Regierung. Natürlich darf es keine Anklage wegen Menschenrechtsverletzungen geben.

Auf solcherart vermintem Terrain wird die Aylwin-Regierung in der Tat nur kleine Schritte tun können. Aber j e höher der Wahlsieg ausfällt, desto kühner kann Aylwin nach Regierungsantritt im März 1990 ausschreiten. Die wirkliche Demontage der Pinochet-Ordnung kann erst nach den Wahlen 1994 beginnen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung