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Sturm in den Anden

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Der chilenische Christdemokrat und Oppositionsführer Gabriel Valdes hat vor kurzem Wien besucht. Er traf mit ÖVP und SPÖ zusammen und lobte dabei das Österreich-Modell.

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Der chilenische Christdemokrat und Oppositionsführer Gabriel Valdes hat vor kurzem Wien besucht. Er traf mit ÖVP und SPÖ zusammen und lobte dabei das Österreich-Modell.

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Der chilenische Christdemokrat Gabriel Valdes macht nach außen hin auf Optimismus, steckt aber im privaten Gespräch anläßlich seines Wienaufenthaltes zurück: Wenn sich Chiles General-Präsident Augusto Pinochet halten kann, dann bleibt er zumindest bis 1989 (dem nächsten Wahltermin nach der Verfassung von 1980) oder auch darüber hinaus; wenn aber die Dinge ins Rutschen kommen, dann fällt Pinochet möglicherweise bereits im kommenden Jahr.

Was Gabriel Valdes, öffentlichen Optimismus und privaten

Pessimismus außer acht gelassen, angriffslustig stimmt, ist der Zerfall der „monolithischen Geschlossenheit“ der Streitkräfte, auf die Pinochet seit 1973 baut.

Nicht die zahlreichen „Tage der Nationalen Opposition“, die seit fast zwei Jahren für wiederkehrende Unruhe sowie Tote und Verletzte sorgen, sind die Ursache dafür, sondern die Ermordung dreier kommunistischer Oppositioneller im Frühjahr 1985.

Eine richterliche Untersuchung verunsicherte den Geheimdienst und sprach die Carabinero-Poli-zei schuldig. Carabinero-General Cesar Mendoza, einer der Putschisten von 1973, trat deshalb im Sommer zurück.

General Pinochet hat jetzt nur noch die drei Waffengattungen der Streitkräfte, auf die er sich verläßlich stützen kann. Verläßlich? Gabriel Valdes sieht hier eine entscheidende Möglichkeit für seine oppositionelle Sammelbewegung: Ließe sich eine nationalistische Armee-Fraktion als Verbündeter herausfiltern, würde dies den Anfang vom Ende Pinochets bedeuten.

Deshalb ließ Valdes an 600 höhere Offiziere ein persönliches Memorandum verschicken, um die ersten Fäden einer möglichen Zusammenarbeit zu knüpfen.

Unterstützung der Kirche

Freilich, gibt Valdes zu, sind auf diesem Weg Hürden zu überwinden, vor allem ist da das Problem einer künftigen Amnestie für Menschenrechtsverletzungen, verübt von den Militärs während der langen Pinochet-Jahre.

Die Offiziere verlangen sie, doch der Sprecher der Opposition kann und will so eine Amnestie im Falle eines Machtwechsels nicht unbegrenzt zugestehen.

Gabriel Valdes, von 1964 bis 1970 Außenminister des christdemokratischen Präsidenten Eduardo Frei, in den siebziger Jahren hoher UN-Beamter, dient seiner Partei seit 1982 als Vorsitzender. .

Eine Aufgabe, die dem Aristokraten Valdes, der jetzt als Volkstribun agieren muß, nicht leicht fällt. Trotz seines vorgerückten Alters widmet er sich dieser Aufgabe mit vollem Einsatz.

Starken Rückhalt findet Valdes neuerdings bei Kardinal Fresno de Larraine als Oberhaupt der katholischen Kirche Chiles: Daß der Kardinal den Chef der christdemokratischen Opposition im September bei den traditionellen Vaterlandsfeiern zum Hochamt in die Kathedrale eingeladen und ihn dort nahe der Regierungsjunta plaziert hat, gehört zu den Sensationen der komplizierten chilenischen Innenpolitik. Und im Gespräch merkt man Valdes sichtlich an, wie stolz er auf diesen symbolischen Sieg ist. (Die Gattin Pinochets blieb aus Empörung über solch neue Rangordnung dem Gottesdienst fern.)

Gabriel Valdes' historische Leistung ist sicherlich die „Nationale Ubereinkunft zur vollen Demokratie“, ein oppositionelles Memorandum, das im August von Kardinal Fresno de Larraine vorgestellt worden ist. Es fordert eine sofortige politische Initiative, um rasch zu einer Normalisierung der chilenischen Politik zu gelangen, und zwar unter Einschluß der gesamten nichtkommunistischen Opposition.

Unterzeichnet wurde das Dokument sowohl von der politischen Rechten wie auch der Mitte, angeschlossen haben sich viele Sozialisten und Linkskatholiken. Zusammen macht das 18 politische Gruppierungen, die drei Viertel des chilenischen Wählerpotentials repräsentieren.

Die Unterschrift verweigerten -und genau das war die Absicht von Valdes - fünf linksradikale Splittergruppen und die chilenischen Kommunisten.

Mit dieser neuen Volksallianz will der Oppositionsführer General Pinochet in seinem 13. Regierungsjahr zum Rücktritt zwingen. Gelingt dies, wird Gabriel Valdes Chiles nächster Präsident sein.

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