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Fauler denn je...

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Der begeisterte Widerhall, den Fidel Castro und „Che“ Guevara vor einem Jahrzehnt bei der linken Jugend der ganzen Welt fanden, beruht darauf, daß sie die „Befreiung unterentwickelter Völker auf weltweiter Ebene“ versprachen.

Auf den Einwand, daß Desorganisation, Korruption und die Abneigung gegen intensive Arbeit nicht das Ergebnis der Unterdrückung, sondern von charakteristischen Eigenschaften ganzer Völker sei, antworteten die Fidelistas, daß die Revolution einen „neuen Menschen“ schaffen werde. Diese Generation werde den kapitalistischen Egoismus aufgeben und bereit sein, für das Allgemeinwohl bis zum Maximum zu arbeiten. Castro träumte davon, das Geld abzuschaffen. Freie Schulen für alle, freies Gesundheitswesen für alle, freies Theater für alle.

Nun läßt sich gewiß nicht bestreiten, daß er das Schul- und Gesundheitssystem in spektakulärem Ausmaß umgewandelt hat. Aber wie wenig der revolutionäre Impuls in der Masse des Volkes ein Echo findet, zeigt sich zunächst in dem Kampf, den er gegen die Arbeitsun-willigen zu führen begann. Nach offiziellen kubanischen Ziffern bleiben etwa 20 Prozent der Arbeit fern. Was die Jugend angeht, so ist der „Union Junger Kommunisten“ (UJC), der freilich nur 120.000 unter 2 Millionen Jugendlichen angehören, der Krieg gegen die „Antisozialen“ anvertraut worden. Zu ihnen zählt man vor allem die, die weder arbeiten noch sich ausbilden lassen. In diese Rubrik werden 12 Prozent der Jugendlichen eingereiht. Die Zahl steigt mit dem Alter und soll unter den Sechzehnjährigen fast 60 Prozent erreichen.

In dieselbe Richtung deutet die Tatsache, daß das Ausmaß der sogenannten „Schuldesertion“ — eines der Hauptprobleme des lateinamerikanischen Erziehungswesens — in Kuba maximale Ziffern erreicht. Von den Kindern, die 1965 in die Grundschule eintraten, haben 79 Prozent nicht die sechsjährige Volksschulausbildung beendet! Bei den höheren Schulen erreicht der Prozentsatz sogar 86 Prozent.

Die Begeisterung der Künstler und Linksintellektuellen der ganzen Welt für die „Freiheit der Kunst“ in Kuba wurde stark gedämpft, als 1971 der bis dahin als castristischer Dichter gefeierte Roberto Padilla wegen „oppositioneller Haltung“ gefangengesetzt und zur „Selbstanklage“ gezwungen wurde. („Kunst ohne revolutionären Inhalt“ ist „imperialistisch“.)

Nun entspricht freilich die Haltung zur Kunst, wie die wirtschaftliche und politische Organisation, dem Konzept der „Volksdemokratien“. Aber die lateinamerikanischen Völker sind weder so diszipliniert noch so organisationsfähig wie die osteuropäischen oder asiatischen.

Der „neue Mensch“ läßt sich in Lateinamerika noch schlechter züchten als anderswo. Abgesehen davon beruht die Begeisterung für Castro zum großen Teil auf der Vorstellung linker Intellektueller, daß er einen „Mittelweg“ zwischen Kapitalismus und Kommunismus finden werde. Tatsächlich hat er ideologisch und machtpolitisch nur Washington gegen Moskau getauscht

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