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Gelbe & rote Rote

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Die angekündigte „Normalisierung“ zwischen Washington und Peking wirft die Frage nach der Rolle Chinas in Lateinamerika und der Machtkonkurrenz mit der Sowjetunion auf.

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Die angekündigte „Normalisierung“ zwischen Washington und Peking wirft die Frage nach der Rolle Chinas in Lateinamerika und der Machtkonkurrenz mit der Sowjetunion auf.

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Bolivien ist das Land, in dem Moskau — außer in Kuba — am meisten Einfluß erlangt hat. Dadurch, daß ein „praktizierender Marxist" in Chile an die Macht gekommen ist, ergibt sich die Möglichkeit, daß auch dieses Land sich bei seiner Gleichgewichtspolitik mehr Moskau als Washington nähert, obwohl Allende dies vorläufig vermeidet und auch das marxistische Revolutionsmodell, die „Diktatur des Proletariats" und den „Arbeiter- und Bauernstaat“ ablehnt. Zu den Ländern, die Fidel Castro in dem von ihm erträumten „Block revolutionärer Staaten Lateinamerikas“ sieht, gehört auch Peru, dessen nationalrevolutionäres Regime aber ideologisch den Marxismus zurückweist und machtpolitisch nur durch Repressalien der USA gegen Perus Nationalisierungsmaßnahmen an die Seite des Kreml geführt werden könnte.

Die Sowjetunion hat im letzten Jahrzehnt mit 16 lateinamerikanischen Staaten diplomatische Beziehungen hergestellt, von denen elf auch Botschaften in Moskau unterhalten. Obwohl sie sich im wesentlichen auf den Handelsaustausch beschränken, gibt es nicht selten Zwischenfälle. So wies kürzlich Mexiko fünf sowjetische Diplomaten aus; man machte sie dafür verantwortlich, daß Studenten, von der sowjetischen Botschaft als Stipendiaten nach Moskau gebracht, später aus Nordkorea als Freischärler zurückkehrten.

Ebenso erklärte Ekuador kürzlich zwei Mitglieder der Sowjetbotschaft zu „personae non gratae“ wegen ihrer angeblichen Anstiftung eines Generalstreiks.

Mittelamerika war bis vor kurzem der sowjetischen Diplomatie weitgehend verschlossen. Als kürzlich der Präsident Kostarikas José Figueres, einer der großen Bewunderer Kennedys, die diplomatischen Beziehungen zur Sowjetunion aufnahm, verlangte er die Abberufung des nordamerikanischen Botschaftsrates Earl Williamson, weil dieser wegen der Aufnahme der Beziehungen mit der Sowjetunion Umsturzpläne gefördert haben soll.

Die Sowjetunion konnte den Handelsaustausch mit Lateinamerika in zehn Jahren verdoppeln. In letzter Zeit sind neue Handelsverträge mit Argentinien (Wolle, Häute, Pflanzenöl) und Brasilien (jährlich 15.000 Tonnen Kaffee) abgeschlossen worden. Man verbraucht jetzt in der Sowjetunion — neben dem früher alleinherrschenden Tee — jährlich 50.000 Tonnen Kaffee, die Hälfte aus Lateinamerika. Die Russen liefern dafür Industrieanlagen und Maschinen. China treibt in kleinem Um? fang Handel mit Chile, Peru und Kolumbien jetzt auch Mexiko.

Die Rivalität zwischen Moskau und Peking zeigt sich in Lateinamerika vor allem in den kommunistischen Parteien und in der Revolutionsbewegung. In Chile ist die KP Regierungspartei, in Brasilien ist sie verboten, in Argentinien soll sie wieder zugelassen werden. In Uruguay ist sie erlaubt, doch bereitet die Regierung ein Anti-Kommunisten- Gesetz vor. Trotz starker Abweichungen im kleinen darf man als Richtlinie der moskautreuen kommunistischen Parteien feststellen, daß sie die „bewaffnete Aktion“ als „abenteuerlich“ ablehnen, zumal sie in Lateinamerika hauptsächlich von Intellektuellen und nicht — entsprechend der marxistischen Lehre — von Arbeitern und Bauern getragen wird. Dagegen sehen sie ihre Aufgabe in der klassenkämpferischen Organisation der Massen.

In vielen Staaten spielen sie deshalb in den Gewerkschaftsorganisationen und Streikbewegungen eine führende Rolle. In Übereinstimmung der Moskauer These der friedlichen Koexistenz sind sie durch Einhaltung der demokratischen Spielregeln bemüht, ihre Legalität zu erhalten oder zu erreichen.

Im Gegensatz zu ihnen stehen die nach Peking orientierten kommunistischen Splittergruppen. Sie sehen in den Guerillas ihren „Militärischen Arm“.

Dieser unglaubliche Zersplitterung der Peking-Kommunisten und der anderen „Sekten“ im Gegensatz zu der stabilen Organisation der Moskau-Kommunisten zeigt, daß der politische Einfluß des Peking-Kommunismus, wenn man von ihrer Terrortätigkeit in der Stadt-Guerilla absieht, gering ist. Während die Moskau-Kommunisten „weisungsgebunden“ sind, sind die Mao-Kommunisten nationalistisch und unabhängig, können also durch einen Richtungswechsel in Peking keinesfalls zur Aufgabe ihres bewaffneten Kampfes gezwungen werden. Pekings Einladung an Nixon schwächt zwar die Revolutionsbewegung ideologisch, entzieht ihr aber nicht — organisatorisch — den Boden unter den Füßen.

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