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Endlich Gleichberechtigung

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Seit Jahren gingen in den größeren Schweizer Städten Frauen militant, aber nicht allzu zahlreich, am 1. Februar auf die Straße. Völlig unmodern stumm manifestierten sie für die Einführung des Frauenstimmrechtes, also für die politische Gleichberechtigung. Sie schlugen keine Fenster ein, veranstalteten keine Sit-ins und gerieten auch nicht mit der Polizei in ein Handgemenge. Trotzdem wirkten ihre Kundgebungen auf viele Männer eher negativ. „Diese zum Teil griesgrämigen und tierisch ernsten Hausfrauen”, so beklagte sich ein junger Ehemann, „widersprachen meinen Vorstellungen vom weiblichen Geschlecht.” Das böse Wort „Suffragetten” wurde in diesem Zusammenhang immer wieder laut.

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Seit Jahren gingen in den größeren Schweizer Städten Frauen militant, aber nicht allzu zahlreich, am 1. Februar auf die Straße. Völlig unmodern stumm manifestierten sie für die Einführung des Frauenstimmrechtes, also für die politische Gleichberechtigung. Sie schlugen keine Fenster ein, veranstalteten keine Sit-ins und gerieten auch nicht mit der Polizei in ein Handgemenge. Trotzdem wirkten ihre Kundgebungen auf viele Männer eher negativ. „Diese zum Teil griesgrämigen und tierisch ernsten Hausfrauen”, so beklagte sich ein junger Ehemann, „widersprachen meinen Vorstellungen vom weiblichen Geschlecht.” Das böse Wort „Suffragetten” wurde in diesem Zusammenhang immer wieder laut.

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Nun scheint sich in den letzten Jahren die Lage grundlegend gewandelt zu haben. Noch im Jahre 1959, als letztmals „das Schweizervolk”, das heißt nach geltendem Recht also die stimmberechtigten Männer, befragt wurden, ob sie das Frauenstimmrecht einführen wollten oder nicht, endete das Referendum mit einem überwältigenden Nein, einem Nein allerdings, das auch die Männerpolitik etwas in Frage stellte, opponierte es doch der Mehrzahl der Parteiparolen, die — zögernd zwar — für das Ja eingetreten waren. Nun wird man in Kürze wissen, ob sich die Meinung der „zuständigen” Männer wirklich geändert hat, denn am 7. Februar werden sie wiederum ihre Stimm-

zettel für oder gegen das Frauen-stimmredit abgeben müssen. Der zunehmende Optimismus, mit dem man allgemein dieser neuen Abstimmung entgegensieht, ist begründet: 1959 gab es nämlich noch in keinem einzigen Kanton — auch nicht für kantonale oder kommunale Probleme — volle politische Frauenrechte; heute aber sind die Frauen in neun von 22 Kantonen sowohl in den Gemeinden wie im Kanton voll stimmberechtigt. Außerdem sind in vier weiteren Kantonen die Gemeinden ermächtigt, das Frauenstinmi-recht für kommunale Angelegenheiten einzuführen. Schon diese wenigen Zahlen beweisen, daß es seit der letzten Absitlimmung mit dem Ftauen-

stiimmiPecht vorwärts gegangien ist. Vor allem hat die Tatsache, daß sich in jenen Kantonen, die seither das Frauenstimmrecht kennen, die Politik auf der Basis der Gleichberechtigung ausgezeichnet eingependelt hat, positiv gewirkt. Das Schreckgespenst der Mitte, daß die Frauen die Politik entweder in Richtung übertriebaner Kooservaitivnismiis oder famatiischier Sozialismus beeinflussen werden, ist aus der Welt geschafft. Die Frauen selbst haben übrigens noch die andere Behauptung Lügen gestraft, wonach ihre politischen Entscheidungen rein sentimental ausgerichtet sein würden. Die Zürcher Frauen, die seit ein paar Jahren in städtischen und kantonalen Angelegenheiten stimmberechtigt sind, haben — wie eindeutig nachgewiesen werden kann — entscheidend dazu beigetragen, daß der Kredit für die Olympischen Spiele 1976, um die sich Zürich hätte bewerben wollen, verweigert wurde.

Dieser Frauenentscheid ist um so wichtiger, als die Parteien damals ihre ganze Propaganda bewußt auf „die Frauen” angelegt und sich bemüht hatten, Herz und Gefühl anzusprechen. Die Frauen dachten aber offenbar wesentlich mehr an das Haushaltungsgeld als an das Zürcher Prestige und damit begru-

ben sie die Angst und die Illusion, daß sie leichter zu manipulieren seien.

Nun sind allerdings auch die politisierenden Schweizerinnen keine Übermenschen. Es gibt auch Beweise dafür, daß sie sich — so wenig wie die Männer — nicht immer von Sentiment und Ressentiment befreien können.. Als der damalige Außenminister Willy Spühler am 16. Juni 1969 im Parlament erklärte, „die Aufhebung der religiösen Ausnahmeartikel sei nicht weniger dringlich als die Einführung, des Frauenstimmrechtes”, ging es ihm nämlich einfach darum, jedes Unrecht, das noch in der schweizerischen Verfassung verankert ist, auszumerzen. Zu den religiösen Ausnahmeartikeln gehören das Jesuitenverbot, das Klostergründungsverbot und — für die Israeliten wichtig — das Schächteverbot. Spühler wollte die Gerechtigkeit, wie sie vor allem in der europäischen Menschenrechtskonvention umschrieben ist, voll und ganz zur Geltung bringen. Der schweizerische Frauenstimmrechtsverband schrie sofort Zeter und Mordio. Unter dem Titel „Bundesrat Spühler lobt die Katholiken und tadelt die Frauen” behauptete er schlicht und einfach: „Die Aufhebung des Klosterbauverbots ist nicht dringlich” und „die Beschränkungen, die das Jesuitenverbot mit sich bringt, sind gering.” Ernster sind hingegen die Einwände zu werten, die die Schwierigkelten der Einführung des Frauenstimm-und -walilrechtes in einer direkten Demokratie wie der Schweiz in Rechnung stellen. Der Schweizer Bürger, der alle paar Wochen in eidgenössischen, kantonalen oder kommunalen Angelegenheiten seine Mei-

nung mit dem Stimmzettel zu bekunden hat, ist tatsächlich überfordert. Auch der männliche Stimmbürger! Wie soll er entscheiden, ob diese oder jene Vorlage zum Bau einer Brücice oder zur Erweiterung eines Straßenzuges richtig sei, wenn den Fachleuten der Behörden meistens ein Komitee von Fachleuten der Gegner gegenübersteht? Den Stimmbürger zum Superexperten zu erheben, ist einfach ein Nonsens, der zwar mit dem Frauenstimmrecht an sich nichts zu tun hat, der aber durch die ! Einführung der politistWfen Gleichberechtigung der Frau schlicht und einfach verdoppelt wird.

Auch ist es bezeichnend, daß die Gegnerschaft oder wenenigstens die Zurückhaltung zum Frauenstimmrecht in den sogenannten Landsgemeindekantonen immer noch am größten ist. Sie sehen tatsächlich nicht recht, wie ihre Landsgemeinde, also die offene Kantonsversammlung, in der durch Handerheben gewählt und abgestimmt wird, unter Frauenbeteiligung funktionieren soll. Man denke nur einmal an die Tatsache, daß dann am Landsgemeindesonntag praktisch alle Bauernhäuser des Kantons verwaist und höchstens noch von Kindern und Ausländem bewohnt blieben, wogegen im heutigen frauenlosen Politsystem die Bäuerinnen nicht nur das Herdfeuer, sondern auch das Haus hüten.

Unsinnig aber wäre es, aus diesen Überlegungen heraus das Frauenstimmrecht zu verwerfen. Im Gegenteil: Gerade seine Einführung könnte Anlaß bilden, auch andere Anpassungen an die moderne Zeit vorzunehmen, Anpassungen, die längst überfällig sind.

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