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Demnächst mit Frauen

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Unmittelbar vor der Sommerpause hat der Schweizer Nationalrat eine Vorlage des Bundesrats nach eingehender Diskussion gutgeheißen, die für die politische Zukunft der Schweiz von ebenso großer Tragweite ist, wie es das kürzlich vom Volk verworfene Begehren des Herrn Schwarzenbach für die wirtschaftliche Zukunft gewesen wäre. MM 134 Ja-Stimmen und wenigen Enthaltungen wurde damit ohne Opposition auf Bundesebene die Konsequenz einer in Gemeinden und Kantonen längst in Bewegung geratene Entwicklung gezogen: Mehr als 60 Prozent der Frauen dürfen bisher bereits in kantonalen und kommunalen Angelegenheiten abstimmen. Überwiegend in den Welschschweizer Kantonen, aber auch im Kanton Zürich letztes Jahr fast zur gleichen Zeit wie im ansonsten patriarchalischen Kanton Tessin, ist den Frauen der Weg an die Urnen freigegeben worden.

Die Diskussion ergab, daß keine der demokratischen Parteien ernsthafte Vorbehalte mehr anzumelden hatte. Eine einzige war so ehrlich, zuzugeben, daß sie sich zu einem Ja „durchgerungen“ hätte, obwohl man eigentlich eine „behutsamere Entwicklung“ begrüßt hätte. Nun, behutsam genug hat sich die Schweiz ganz sicherlich, schrittweise, gehemmt durch Traditionen wie kantonale Sondergesetze, dem Frauenstimmrecht genähert. So behutsam, daß manche das Zögern falsch auslegten und die Existenz der Demokratie in der Schweiz glattweg verneinten. Ihnen gab Bundesrat von Moos zur Antwort, daß in den meisten Kantonen von altersher das Stimmrecht mit der Wehrpflicht verbunden gewesen sei. Sollte man die harten Verteidigungspflichten — nach einem dreimonatigen Grundkurs wird jeder männliche Schweizer bis zum 55. respektive 60. Lebensjahr alle 12 Monate für mindestens vier Wochen wieder Soldat — etwa auch den Frauen aufbürden?

Der Blick nach draußen habe bei dieser Vorlage des Bundesrates Pate gestanden, meinte ein Diskussionsredner. Das ist sicherlich richtig, aber nicht ehrenrührig. Auch wenn man sich als Ausländer Mühe gab, die kleinen Reservate kantonaler Selbständigkeit zu respektieren, fiel es doch nachgerade schwer, die Verweigerung des Frauen Stimmrechts in Bundesangelegenheiten — um sie allein handelt es sich jetzt — noch zu begreifen. Die Argumente, die man hörte, waren erstaunlich ähnlich jenen, mit denen Schwarzenbach sein Prozedere begründete: sie stammten samt und sonders aus Emotionen und Komplexen. Jetzt ist vor allem der Weg auch für die Unterzeichnung der Menschenrechtskonvention durch die Schweiz freigemacht — die Verweigerung des Frauenstimmrechts blockierte ihn.

Alle Schweizer und Schweizerinnen, die das 20. Lebensjahr vollendet haben, werden, wenn das Volk im Februar nächsten Jahres, wie erwartet mit überwältigender Mehrheit, seine Zustimmung gibt, In Angelegenheiten des Bundes die gleichen politischen Rechte und Pflichten haben. Die Redner in der Parla-mentsdiskussion ließen es sich angelegen sein, vor allem dieses untrennbar mit dem Ersten verbundene Zweite zu betonen: Pflichten. Die Schweizer Demokratie erwartet von ihren Bürgern ein viel regeres Interesse und Sachwissen als jede andere auf dem Kontinent. Die überwiegende Bedeutung von Kanton und Gemeinden, wo die Frauen zunehmend und mit Erfolg am politischen Leben beteiligt sind, schwächt das Interesse an Bundesangelegenheiten keineswegs ab, im Gegenteil. Die Schwarzenbachvorlage hätte niemals auf Bundesebene eine solche Beteiligung erbracht, wenn ihre Argumente nicht zuvor in Kanton und Gemeinde pro und contra erörtert worden wären.

Obwohl damit die Rechtsgleichheit für alle Schweizerinnen gefährdet ist, hat das Parlament, entsprechend der Vorlage des Bundesrates, darauf verzichtet, den Kantonen generell die Einführung des vollen Stimmrechts gleichfalls zur Pflicht zu machen. So unbefriedigend die Lösung ist, so klug ist sie auch, sie verhindert das Aufkommen von Animositäten, die sich wiederum auf die Abstimmung im Februar 1971 negativ auswirken könnten. Bei den Wahlen zum nächsten Nationalrat im Frühjahr 1971 werden, ein positives Ergebnis der Abstimmung vorausgesetzt, zum erstenmal die Schweizer Frauen teilnehmen.

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