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Rechte des Volkes

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Das Recht des Volkes und der Kantone, über Verfassungsänderungen das entscheidende Wort zu sprechen, und das Recht des Volkes, in die Gesetzgebung des Parlaments notfalls bremsend einzugreifen, sind Wesensmerkmale der Schweizer Demokratie. Daß sowohl das Initiativrecht wie das Referendumsrecht des Souveräns durch eine Vollmitgliedschaft bei der EWG ausgeschaltet und daß damit die innere Struktur der Eidgenossenschaft zerstört würde, liegt auf der Hand. Ob auch eine Assoziation diese Rechte aushöhlen würde? Das läßt sich heute noch nicht eindeutig ausmachen, da das Maß der schweizerischen Konzessionen Gegenstand der Verhandlungen mit den EWG-Unterhändlern ist. Man geht aber nicht fehl in der Annahme, daß das Volk einen Assoziationsvertrag, der seine Rechte drastisch beschneiden wollte, „bachab schicken“ würde. (Daß ein solcher dem Volksentscheid zu ments. Sowohl die offizielle Schweiz wie das eidgenössische Staatsvolk sind sich vollständig im klaren darüber, daß der europäische Zusammenschluß sowohl wirtschaftlich wie politisch eine Notwendigkeit ist. Ebensowenig verhehlt man jedoch, daß man außer der integrationspolitischen noch eine helvetische Seele in der Brust trägt. Diese helvetische Seele aber fürchtet, daß ein Anschluß der Schweiz an die EWG, auch in der losen Form der Assoziation, vom demokratischen Standpunkt aus keinen Fortschritt brächte, sondern, im Gegenteil, die direkte Demokratie um einige Schritte zurückwürfe.

Man empfindet es als paradox, daß das Beispiel der Einigung und Zusammenarbeit sprachlich, rassisch, kulturell und konfessionell so verschiedener Volksteile, wie des alemannischen, des französischen, des italienischen und des rätoromanischen, in einem gemeinsamen Staat einerseits als Modell und Vorbild für ein künftiges geeintes Europa dienen soll, das aber gleichzeitig der Schweiz das Festhalten an einer Staatsstruktur und -politik, die ihren Zusammenhalt erst ermöglicht, zum Vorwurf gemacht und als Hindernis für ihre Integration diskriminiert werden will. Denn daran gibt es nach schweizerischer Überzeugung und Erfahrung keine Zweifel: so verschieden geartete Völkerschaften, wie die schweizerischen im kleinen und die europäischen im großen, können nicht in einem politischen E i n t o p f, in dem das Mehrheitsprinzip letztlich allein ausschlaggebend ist, in eins verschmolzen werden; sie können vielmehr nur geeinigt und zusammengefaßt werden, wenn man den Teilen ihr Eigenleben läßt. Die Schweiz hat die Erfahrung gemacht, daß dies nur dann mit Erfolg zu bewerkstelligen ist, wenn den Minderheiten mehr zugestanden wird, als ihnen ein rein rechnerisches Kalkül konzedieren muß. Sie hat darüber hinaus erfahren, daß der Föderalismus, das heißt die Aussparung eines möglichst großen Lebensund Entscheidungsbereiches der Kantone und Gemeinden, unerläßlich ist, um die Teile innerlich ans Ganze zu binden. Damit hängen die Volksrechte direkt zusammen.unterstellen ist, wird kaum ernsthaft angezweifelt.) Die Schweizer sind, auch wenn die Stimmbeteiligung bei Abstimmungen in der Nachkriegszeit nachgelassen hat, nach wie vor eifersüchtig darauf bedacht, ihre Rechte gegenüber dem Staat zu behalten — und es ist nicht einzusehen, weshalb sie einem .,Überstaat“ gegenüber nachgiebiger sein sollten als ihrem eigenen Staat gegenüber. Die jüngst in einer stark beachteten Schrift aufgestellten schweizerischen Assoziationsbedingungen werden sicher vom Großteil der Eidgenossen geteilt. Es sind die folgenden: 1. Die Ausführungsgesetzgebung zu einem Assoziationsvertrag hat im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren zu geschehen; 2. das Initiativrecht von Volk und Ständen (Kantonen) muß auch im Bereich der Vertragsmaterien gewahrt werden; 3. Vertragsänderungen unterliegen ebenfalls der Kontrolle der direkten Demokratie.

Dazu kommen die neutralitätspolitischen Hemmungen. Diese decken sich sehr weitgehend mit der neutralitätspolitischen Integrationsproblematik Österreichs, so daß wir hier nicht näher darauf einzutreten brauchen. Die Schweizer, das sei immerhin beigefügt, sind sich darüber im klaren, daß die Neutralität ebenso wie die direkte Demokratie und der Föderalismus zu den Grundmauern ihres Staatsaufbaues zählt, und daß der Verzicht auf das eine wie das andere eine Preisgabe ihrer eigenstaatlichen Existenz bedeuten würde.

Vor die Wahl gestellt, ist die Mehrheit dieses Volkes nicht bereit, die Eigenständigkeit einem Europaideal zu opfern, vor dem man alle Hochachtung, aber noch immer nicht die vollendete Überzeugung hat, daß es sich durchsetzen werde — nicht, weil man die Idee nicht für lebensfähig hielte, sondern weil man feststellt, daß die Konzepte der führenden Europainitianten auseinandergehen. Dazu kommt, daß man der Entwicklung in Deutschland, Frankreich und Italien (also den führenden Nationen Kerneuropas) nicht recht traut. Was, so fragt man, wird aus der deutschen, der französischen und der italienischen Europapolitik und was aus der EWG selber, wenn morgen Adenauer nkht mehr am Ruder ist, wenn auf de Gaulle weiß ich nicht was für ein links- oder rechtsextremen Tendenzen huldigendes Regime folgt? Hinzu kommen im protestantischen Volksteil konfessionspolitische Ängste vor einer katholisierenden EWG, während sich die Sympathien der Sozialisten für den europäischen Zusammenschluß in dem Maße abgekühlt haben, als sich der ursprüngliche bürokratische Zentralismus der EWG verflüchtigte.

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