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Koordinierungsgespräche

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Die Konsequenzen berühren auch das Politische. Es ist deutlich, daß eine einseitige, auf bestimmte größere Agglomerationen und auf bestimmte Bevölkerungsschichten ausgerichtete Bildungspolitik zu einer einseitigen Auslese geführt hat. Reformvorschläge werden heute in den meisten Kantonen diskutiert, zum Teil wurde bereite Wichtiges verwirklicht. Mittelschulen entstehen auf dem Lande, die Berufsberatung wird ausgebaut, die Beratung der Eltern intensiviert. Allerdings zeichnen sich bereits Schattenseiten ab. Es zeigt sich nämlich, daß die finanzstarken Kantone eher imstande und vielleicht auch eher gewillt sind, kostspielige institutionelle Neuerungen durchzuführen als die ärmeren Kantone, vor allem die Bergkantone. Damit besteht alber die Gefahr, daß das Bildungsdefizit dieser wirtschaftlich schwächeren Gegenden sozusagen automatisch wächst. Neue Formen der Zusammenarbeit zwischen den Kantonen müssen deshalb gesucht werden. Dies ist auch deshalb notwendig, weil die Vielfalt unserer Schulsysteme, die vorhin kurz geschildert wurde, zu einem Kräfteverschleiß geführt hat, der heute nicht mehr zu verantworten ist. Man rechnet, daß 10 Prozent der Schweizer Bevölkerung im Jahr den Kanton wechseln. Andere Arbeitsund Verdienstmöglichkeiten werden gesucht. Die Leidtragenden sind die Kinder. Sie haben Schwierigkeiten, bei der völlig anderen Schulorganisation des neuen Kantons den Anschluß zu finden. Sie fallen unter Umständen um Klassen zurück oder müssen einen anderen Schultyp wählen, der sie vielleicht nicht zu ihrem ursprünglich gefaßten Ausbildungsziel führt.

Die Kantone sind auch auf kulturellem Gebiet zu winzigen Staatsgebilden geschrumpft. Dies wird noch deutlicher, wenn wir die Verhältnisse auf dem Gebiet der Hochschulen betrachten. Auch das Hochschulwesen ist Sache der Kantone, eine äußerst kostspielige Sache, die indes eifersüchtig von den Kantonen gehütet wird. Nun hat ein sorgfältiger Bericht ergeben, daß in den nächsten Jahren ein Ausbau unserer Hochschulen von nie gekanntem

Ausmaß notwendig wird. Die Hochschulkantone werden nicht mehr in der Lage sein, die daraus resultierende finanzielle Belastung aus eigener Kraft zu tragen. Auch da sind neue Formen der Zusammenarbeit zwischen den Kantonen und zwischen den Kantonen und dem Bund zu suchen. Ähnliches gilt für die Forschung.

„Kooperativer Föderalismus“ als Programm

Der kulturelle Föderalismus steht im Examen. Er wird von verschiedenen Kreisen und auf verschiedenen Ebenen geprüft. Die Tragweite der nötigen kulturpolitischen Neuorientierung kann etwa ermessen werden im Blick auf die Ablehnung des eidgenössischen Erziehungssekretärs, von der eingangs die Rede war. Die Kantone hüten und pflegen ihre Eigenständigkeit, und alles, was nach Zentralisierung oder nach Abbau der kantonalen Rechte aussieht, ist verdächtig. Dafür bestehen gute Gründe. Der Föderalismus, wie er hier gewachsen ist, hat die Schweiz vor den Nachteilen einer einseitigen und aufgeblähten Zentralgewalt bewahrt, er hat die Kompetenzen der Regierung und Verwaltung in überblickbaren Grenzen gehalten. Die Alternative zum traditionellen kulturellen Föderalismus kann deshalb nicht der kulturelle Zentralismus sein. Aber eine vermehrte Abstimmung, eine Kooperation unter den Kantonen, eine Zusammenfassung der Kräfte, welche die Eigenständigkeit bewahrt und zugleich sammelt und auf gemeinsame Ziele richtet, ist nötig. Die Initiative der Neuen Helvetischen Gesellschaft, die auf einen „Kooperativen Föderalismus“ zielt, weist in diese hier anvisierte Richtung. Es wird wöhl einige Zeit vergehen, bis sich herausstellt, was sich von diesem — für die schweizerischen Verhältnisse — hochgesteckten Ziel verwirklichen läßt. Die Anzeichen dafür, daß die Aufgabe erkannt wird, sind günstig. So haben die Kantone der Zentralschweiz die Initiative für regelmäßige Konferenzen ihrer Regierungen ergriffen. Auf gesamtschweizerischer Ebene hat der Wissenschaftsrat die Aufgabe übernommen, beratend, anregend, koordinierend unter den schweizerischen Hochschulen zu wirken, sozusagen als Katalysator im gegenwärtigen Umwandlungsprozeß. Wenn solche Ansätze entwickelt und auf weitere Gebiete ausgedehnt werden, besteht einige Chance, daß der kulturelle Föderalismus sein Examen besteht.

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