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Angst vor Rekatholisierung?

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„Verfassungsartikel zum Schutze der Unabhängigkeit der Behörden und der Glaubens- und Gewissensfreiheit sind heute mehr denn je eine Notwendigkeit.“ Mit diesem Kernsatz appellierte das eben öffentlich in Erscheinung getretene Anti-Jesuiten-Komitee anläßlich einer Großkundgebung an die Stimmbürger, bei der Volksbefragung vom 20. Mai mit Nein zu stimmen. Auf dieses Datum ist ein Referendum ausgeschrieben, da das Parlament den Antrag gestellt hat, die Artikel 51 und 52 aus der' Verfassung zu streichen, was nach geltendem Recht der Zustimmung durch die Mehrheit des Volkes und der Kantone bedarf.

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„Verfassungsartikel zum Schutze der Unabhängigkeit der Behörden und der Glaubens- und Gewissensfreiheit sind heute mehr denn je eine Notwendigkeit.“ Mit diesem Kernsatz appellierte das eben öffentlich in Erscheinung getretene Anti-Jesuiten-Komitee anläßlich einer Großkundgebung an die Stimmbürger, bei der Volksbefragung vom 20. Mai mit Nein zu stimmen. Auf dieses Datum ist ein Referendum ausgeschrieben, da das Parlament den Antrag gestellt hat, die Artikel 51 und 52 aus der' Verfassung zu streichen, was nach geltendem Recht der Zustimmung durch die Mehrheit des Volkes und der Kantone bedarf.

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Artikel 51 der Bundesverfassung bestimmt, daß der Orden der Jesuiten und die ihm affilierten Gesellschaften „in keinem Teil der Schweiz Aufnahme finden“ dürfen, und daß „ihren Gliedern jede Wirksamkeit in Kirche und Schule untersagt“ sei.

Artikel 52 hingegen erklärt „die Errichtung neuer und die Wiederherstellung aufgehobener Klöster oder religiöser Orden“ als „unzulässig“.

Diese Verfassungsartikel waren die Konsequenz des Religions- und Bürgerkrieges, der in der Mitte des letzten Jahrhunderts die Schweiz in ihrem Bestehen gefährdet hatte. Es ist richtig, daß diese Artikel damals, als 1848 der schweizerische Bundesstaat gegründet worden war, im Sinne des Staatsschutzes gedacht waren. Das erwähnte gegnerische Aktionskomitee kämpft denn seinem Titel nach „für die Wahrung des konfessionellen Friedens durch die Staatsschutzartikel“ und wehrt sich energisch dagegen, die Artikel 51 52 als „konfessionelle Ausnahme-artikel“ bezeichnet zu hören. Es sei sein Anliegen, „die nationale Souveränität und die Glaubens- und Gewissensfreiheit derart gesichert und vom Staate geschützt zu sehen, daß jeder einzelne Einwohner des Landes sich in einer Atmosphäre des Friedens geistig und geistlich unbehindert entfalten kann“.

Die Argumentation geht also von einem doppelten Aspekt aus: einerseits von der Behauptung, diese Freiheit wäre durch die Zulassung der Jesuiten gefährdet, und anderseits von Interpretation, das gegen die Jesuiten gerichtete Aufenthaltsund Wirkungsverbot sei keinesfalls eine konfessionelle Diskriminierung. Es sind recht verschlungene Wege, auf denen das Aktionskomitee die besondere Gefährlichkeit der Jesuiten zu beweisen sucht: „Die Jesuiten bilden denjenigen Orden, der sich am besten dazu eignet, das Haupt ihrer Kirche in seinem Anspruch als Gewissensführer der Welt zu unterstützen — und in diesem Sinne haben die Jesuiten auch bisher gewirkt.“ Auch wenn sie sich immer wieder bemühen, nur die Jesuiten anzuschwärzen und nicht den Katholizismus oder gar die katholische Kirche als Ganzes anzugreifen, so zeigt doch gerade dieser zitierte Satz, daß diese Unterscheidung den Gegnern nicht gelungen ist. Wer nämlich jemanden deshalb verurteilt, weil er das Haupt der Kirche unterstützt, der will doch ganz offensichtlich das Haupt an sich treffen. Und damit haben die Jesuiten-Gegner ungewollt eingestanden, daß es ihnen nicht um den Staatsschutz, sondern um die konfessionelle Diskriminierung geht.

Zwar hat einer der Hauptsprecher dieses Aktionskomitees, übrigens ein protestantischer Theologe und akademischer Lehrer, zu einer recht gewagten Unterscheidung aufgerufen. Er sehe zwar ein, sagte er, daß man vielleicht die Jesuiten zulassen sollte, nur müßte man dann gewisse Maßnahmen im Sinne des Staatsschutzes treffen, und zu diesen Maßnahmen zählte er die Leibesvisitation der aus dem Ausland in die Schweiz einreisenden Jesuiten, um sie auf illegalen Waffenbesitz hin zu untersuchen.

Diese Argumentation verdient höchstens um ihrer Skurrilität willen erwähnt zu werden, aber sie deutet an, daß die Anti-Jesuiten-Kampagne auf einem recht niedrigen und deshalb um so gefährlicheren Niveau vor sich geht. Man operiert mit dem Katholikenschreck, wie man ihn längst überwunden hoffte, aber niemand wagt vorauszusagen, ob und wieweit diese Vogelscheuchepropaganda da nicht doch zu verfangen vermag. „Der Leser möge sich ständig“, so heißt es in der Einleitung zu einem von diesem Aktionskomitee herausgegebenen „Tatsachenkatalog“, „vor Augen halten, daß die Kritik an römischen Institutionen und Praktiken keineswegs den katholischen Glauben als solchen anvisiert, sondern nur politisch bedeutungsvolle Auswüchse und Übergriffe des römisch-katholischen politischen Systems.“

Zu einem Beweis für diese „Ubergriffe des römisch-katholischen politischen Systems“ wird denn von den Jesuitengegnern der „Fall Pfürtner“ hochstilisiert. Bekanntlich hat der an der katholischen Universität von Fribourg lehrende Moraltheologe, Dominikaner Stefan-Pfürtner, 'in sei-' nem Fach Theorien entwickelt, die nach geltender kirchlicher Auffassung eine Irrlehre darstellen. Auf Befehl des römischen Ordensoberen wurde Pfürtner beurlaubt. Daß der Freiburger Bischof diese Angelegenheit nicht im Sinne der von der Kirche propagierten Demokratisierung im Schöße der nationalen Bischofskonferenz behandeln ließ, sondern sie nach Rom weiterzog, war zweifellos ein taktischer Fehler, der jetzt schwer auf dem Abstimmungskampf für oder gegen die Jesuiten — mit dem er zwar direkt gar nichts zu tun hat — lastet. In diesem Zusammenhang müßte man denn wohl auch die Frage stellen, wer besser befugt sei, über die Einstellung eines Theologielehrers zu befinden: eine oberste kirchliche Stelle oder eine politische und staatliche Exekutive? Die Frage drängt sich auf, wenn man weiß, daß der Berner Regierungsrat einem pazifistischen protestantischen Theologen die Lehrtätigkeit an der Universität verwehrte, was bei weitem weniger Staub aufgewirbelt hat als der Entscheid der katholischen kirchlichen Behörde gegen den katholischen Theologen Pfürtner. Offenbar wird mit zweierlei Maß gemessen, doch beweist dies nur, mit welchen Emotionen in diesem Abstimmungskampf gerechnet werden muß.

Emotionen werden ebenfalls aufgeputscht, wenn das irritierende Schlagwort von der „Rekatholisie-rung der Schweiz“ in die Diskussion geworfen wird. Im 16. Jahrhundert, so wird argumentiert, hätten die Gründungen von Jesuitenkollegien in der Schweiz eindeutig im Dienste der Gegenreformation gestanden. Diese „belastende Vergangenheit des Jesuitenordens“ wird vor einer Kulisse hochgespielt, die Zugkraft verspricht: Die Rekatholisierung der Schweiz sei heute deshalb eine akute „Gefahr“, weil erstmals seit der Reformation die schweizerische Wohnbevölkerung mehrheitlich katholisch sei. Rechnerisch stimmt diese Statistik, doch politisch ist die Überlegung nicht haltbar, weil sie ganz einfach die weder stimm- noch wahlberechtigten in der Schweiz wohnenden Ausländer einbezieht. Die neuste Erhebung weist mehr als eine Million Ausländer auf, wovon 544.903 Italiener und 114.896 Spanier, was das Übergewicht des „katholischen Elementes“ erklärt. Gefährlich ist diese Argumentation, weil sie unterschwellig genau jene Kreise anspricht, die vor drei Jahren zugunsten der fremdenfeindlichen Schwarzenbach-Initiative gestimmt haben, und das war damals bekanntlich knapp die Hälfte des Stimmvolkes.

Trotzdem geht die Rechnung nicht ohne weiteres auf. Zwiespältig werden diese Überlegungen vor allem durch die Person von Schwarzenbach selbst. James Schwarzenbach, Sohn einer protestantischen Industriellenfamilie, hat im Jahre 1953 unter dem Eindruck der katholischen ständestaatlichen Ideen und unter dem Einfluß des berühmten Jesuiten-Paters Richard Gutzwiller zum Katholizismus konvertiert. Als weite Kreise seiner „Schweizerischen Republikanischen Bewegung“ und der damit in Fraktionsgemeinschaft operierenden „Nationalen Aktion“ sich jetzt mit Spruchbändern und Kampfparolen für die Beibehaltung des Jesuitenverbotes aussprachen, distanzierte sich Schwarzenbach sofort energisch von diesem Tun. Wieweit es ihm damit gelingt, den Nein-Überhang zu stoppen, ist gegenwärtig eine offene Frage. Ebenso offen ist die andere Frage: Wie wird Schwarzenbach sich entscheiden, wenn er sich einer eventuellen Spaltungsgefahr seiner Anhängerschaft gegenübersieht?

Eine repräsentative Umfrage im Schweizer Volk hat vor einem Jahr noch eine Mehrheit für die Jesuitengegner ergeben. Eine neuerliche Umfrage, die Ende Februar dieses Jahres durchgeführt wurde, zeigte eine grundlegende Verschiebung auf: Mehr als die Hälfte der Befragten waren für Abschaffung des Jesuiten-und Klosterverbotes, eine kleine Minderheit sprach sich für die Beibehaltung aus, während etwa ein Drittel noch keine festgefaßte Meinung hatte. Es wäre aber zu gefährlich, würde man jetzt schon von einer geschlagenen oder gar gewonnenen Schlacht sprechen wollen. Wieder einmal dürfte ausschlaggebend seinj wie groß die Stimmbeteiligung sein wird.. In letzter Zeit haben allzuoft nur 25 bis 30 Prozent der Stimmbürger mitgewirkt, und damit wäre natürlich theoretisch einer fanatischen Minderheit die Möglichkeit gegeben, den Entscheid grundlegend umzubiegen. In der größten Schweizer Stadt, in Zürich, wird allerdings die Stimmbeteiligung relativ groß sein: am gleichen 20. Mai wird über den Bau einer Untergrundbahn abzustimmen sein, und diese Frage ruft — wenigstens in der Stadt — wohl mehr Leute an die Urnen als das Jesuitenproblem dies erreichen könnte.

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