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Schneckentempo-Emanzipation

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„Wir Frauen entscheiden den 19. Oktober“ (Landtagswahlen in Niederösterreich); zwei Damen, Mutter und Tochter offenbar, der upper middle-class zugehörig und demgemäß von schlichter Eleganz, auf tiefem Grün, worauf der plakative Appell steht: „Wir wollen keine Experimente.“

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„Wir Frauen entscheiden den 19. Oktober“ (Landtagswahlen in Niederösterreich); zwei Damen, Mutter und Tochter offenbar, der upper middle-class zugehörig und demgemäß von schlichter Eleganz, auf tiefem Grün, worauf der plakative Appell steht: „Wir wollen keine Experimente.“

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Noch konservativer, noch ideenarmer, um Wählerstimmen zu buhlen, scheint auf den ersten Blick zumindest schwierig. Daß die suggestive Wahlwerbebotschaft dennoch nicht die Wirkung auf die niederösterreichischen Frauen verfehlt hat, hängt mit dem Wahlverhalten der Frauen eng zusammen, das, wie die Politologen und Soziologen unisono beurteilen, weniger vom Verstand als vom Gefühl bestimmt wird.

Von einem recht unbestimmten Gefühl für Ordnung, Ruhe und Sicher-

heit. Fortschritt und Veränderungen rangieren in dieser Skala politischer Wünsche weit unten. Widerwillig vielleicht, doch um so gnadenloser spekulieren die politischen Parteien Österreichs auf dieses Frauenwahlverhalten. Die Volkspartei geschickter als die Sozialisten, denen die Frauen hon so -mend es- Wahl- wlféřT bereit t haůéňi “fite “Volks- Partei fr&ilich ä§ch; was

Schmack ihrer Werbeaussagen betrifft, erbarmungsloser:

„Wir haben gesicherte Arbeitsplätze, stabile Währung, inneren Frieden, steigenden Wohlstand.“

„Das Erreichte nicht gefährden.“ „Keine gefährlichen Experimente.“ „Die Sozialisten wollen alles anders machen.“

„Sozialistische Regierung — Unsicherheit und Gefahr.“

Mit diesem Vokabular ausgestattet, will sich die Mundpropaganda der österreichischen Volkspartei in das Herz der „Zielgruppe Frauen" schmuggeln.

Kinder — Küche — Kirche?

Es mag schockieren, daß die Wahlkampfmanager zu ihrer Taktik im wesentlichen die gleichen Grunderkenntnisse benutzen wie die Waschmittelwerbung, um bei den Frauen Erfolg zu haben, aber — ihre Rechnung ist mit dem Wirt, sprich Frauen, gemacht. Denn wiewohl von Vorstellungen über wünschenswerten Zustand des Staates erfüllt, wiewohl fleißigere Wahlurnengänger als die Männer, sind die Frauen Österreichs auch im sechsten Jahrzehnt ihrer Wahlberechtigung politisch eher abstinent geblieben.

Ihre politische Enthaltsamkeit beschränkt sich nicht etwa nur auf Hausfrauen, die den drei K’s, den Kindern, der Küche und der Kirche, ihr Dasein geopfert haben, nein, sie läuft quer durch die Reihen der berufstätigen Frauen, quer durch alle sozialen Gruppen und, nicht zuletzt, quer durch alle Bildungsschichten. Sie äußert sich in einer recht prinzipiellen Abneigung gegen fast alles, was mit Politik auch nur in Verbindung gebracht werden könnte: die Parteien, Wahlkämpfe, Wahlen. Diese Enthaltsamkeit bezieht sich nicht auf Spitzenpolitiker, sofern sie den Ansprüchen des Vertrauens, der Schlichtheit, der Großherzigkeit und der Väterlichkeit genügen.

Bundeskanzler Dr. Klaus, eine „Vatergestalt“ der österreichischen Politik, hat in der Show dieser Vorzüge eine Fertigkeit entwickelt, die am deutlichsten durch seinen Beliebtheitsgrad bei den Frauen — Be liebtheit, wie gesagt, ist hier fast ausschließlich eine Funktion des Gefühls — dokumentiert wird.

Im Wahltagebuch des braven VP- Funktionärs findet sich demnach auch das rhetorische Sesam-Öffne- Dich zum politischen Herz dei Frauen: „Bundeskanzler Dr. Klaus ist bewährt und verläßlich. Er hält, was er verspricht. Man kann bei Bundeskanzler Dr. Klaus ein sicheres Gefühl haben.“

Das Plus für den Regierenden

Mehr als je ein sozialistischer Spitzenpolitiker vor ihm, versucht heute der sozialistische Parteivorsitzende Dr. Kreisky seine Wirkung auf die wahlentscfieidenden Frauen zu steigern. Wo immer er Frauen ’gewahr wird, schiebt er alle aggressiven Töne weg und ist charmant.

Dennoch ist die Volkspartei die Nutznießerin politischer Frauenwünsche ebenso wie der sachpolitischen Enthaltsamkeit der österreichischen Frauen: von hundert stetigen ÖVP- Wählern sind mehr als sechzig Prozent Frauen.

Da die Sozialistische Partei zumindest in zwei Belangen (sie hat ein ausgeprägt „soziales“ Image und stellt für die Politik wesentlich mehr Frauen) eher den Bedürfnissen der Frau als Wählerin entspricht, schiebt die Vulgär-Politologie die ÖVP- Attraktivdtät auf Frauen fast ausschließlich der christlichen Ausrichtung ihres politischen Handelns zu.

Ob das in dieser Ausschließlichkeit zutrifft, ist allerdings sehr zu bezweifeln. Schon viel eher ist anzunehmen, daß die seit den Urzeiten des Frauenwahlrechtes feststellbare Neigung der Frauen, einer konservativen Partei den Vorzug zu geben, weniger mit der ideologischen Ausrichtung einer politischen Gruppe als mit der Tendenz der Frauen, eine regierende Partei, so oder so, zu bestätigen, eng verknüpft ist. Frauen

’wählen also nicht aus ideologischen Gründen stärker die ÖVP als etwa Männer, sondern deshalb, weil die ÖVP immer schon Regierungspartei war. Ein solches Wahlverhalten der Frauen, nun einmal nicht vom Instinkt gelenkt, drückt vielmehr die Autoritätshörigkeit und einen Hang zur nahezu kritiklosen Übernähme vorhandener politischer Sachverhalte aus.

Zu Recht muß angesichts einer solchen Situation etwa die SPÖ ihr Schicksal, aus der Regierungsbahn 1966 geworfen zu sein, beklagen. Anderseits muß sie berücksichtigen, daß ihr dieses Frauenwahlverhalten dort zugute kommt, wo sie regiert. In Wien, beispielsweise, zählen dieselben Frauen, die auf Bundesebene die Volkspartei wählen, zu treuen SPÖ-Wählerinnen. Im übrigen rückt eine historische Tatsache die Neigung der Frauen, Verhältnisse zu akzeptieren, also eher zu bestätigen denn zu wählen, ins rechte Licht; im Deutschland der dreißiger Jahre waren es die Frauen, die vorerst fast nicht, dann zögernd der NSDAP ihre Stimmen gaben.

Parlamentarische Feigenblätter

Ein weiterer Grund, warum Frauen zögern, sozialistisch zu wählen, mag eine gewisse Abneigung gegen das Suffragetten-Image der sozialistischen Politikerinnen in Österreich sein. Was immer sozialistische Politikerinnen ausstrahlen, ob Intelligenz wie die stellvertretende SPÖ- Vorsitzende Dr. Hertha Firnberg, augenfällige Weiblichkeit wie die sozialpolitische Sprecherin Gertrude Wondrack oder das Bildungsapostolat wie die nun aus dem Nationalrat ausscheidende Dr. Stella Klein-Löw, es verfehlt die Wirkung auf die österreichische Frau als Wählerin.

Ob nun freilich die Volkspartei gut beraten ist, etwa aus diesem Grund den Frauen ein Vertretungsrecht in der Politik zu bestreiten, ist eine Frage, die auf dem jüngsten VP-Par- teitag die oberste VP-Frauenreferen- tin Vorarlbergs;, Elfriede Blaikner, in einem Debattenbeitrag energisch verneinte. Wiewohl die österreichischen Hausfrauen 70 Prozent der privaten Einkommen verwalten, wiewohl jede dritte Frau berufstätig ist und wiewohl sie auf das geistige und soziale Milieu der Familien einen großen Einfluß üben, „wurde im Zuge der Kandidatenaufstellüng für den Nationalrat nur eine Frau bisher an sicherer Stelle nominiert“. Damit wird man, fuhr die streitbare Alemannin die männliche VP-Dele- gierten scharf an, „der Frau in Österreich in keiner Weise gerecht“. In der Tat: bedingt durch das Ausscheiden von Sozialminister Grete Rehor und ÖFP-Obfrau Lola Solar aus dem Nationalrat, verbleiben der parlamentarischen VP-Equipe mit der bewährten Dr. Johanna Bayer und dem Neuzugang Dr. Marga Hubi- nek ein spärlicher 2-Damen-Flor im Nationalrat. Schon der Optik wegen dürften die VP-Kandidatenmacher also damit keine glückliche Hand gehabt haben. Überdies zeigt sich daran die noch immer fehlende volle politische Emanzipation der Frauen am drastischsten. Anderseits widerspiegelt dieses offensichtliche Mißverhältnis der Geschlechter in der Volkspartei am deutlichsten das Gefühl der VP-Sicherheit, die Frauenstimmen in die Tasche zu bekommen. Doch Gefühle sind wandelbar. Warum nicht auch dieses Gefühl?

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