Irans Literaten in Todesgefahr

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Unabhängige Schriftsteller geraten zwischen die Mühlsteine der Fraktionen in dem sich verschärfenden Kampf um die Macht im "Gottesstaat".

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Unabhängige Schriftsteller geraten zwischen die Mühlsteine der Fraktionen in dem sich verschärfenden Kampf um die Macht im "Gottesstaat".

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Für sie (Irans erzkonservatives islamisches Establishment) waren wir stets Abschaum, nichts als ein schmutziges Erbe, das sie von der Kaiserzeit übernehmen mußten": Mit diesen Worten umreißt Huschang Golschiri, Satiriker und einer der größten zeitgenössischen Literaten Persiens, in seiner bescheidenen Wohnung im Süden Teherans die Einstellung der wahren Machthaber in der "Islamischen Republik" gegenüber den unabhängig denkenden Schriftstellern des Landes. Dieser lästigen "Vermachenschaft des Schahs" wollen sich radikale Mullah-Kreise seit langem entledigen, damit eines Tages nur "ihre eigene, islamische Literatur" die Szene beherrsche. Der Aufbau dieser "eigenen Literatur" ist bis heute nicht gelungen. Nun versetzt eine neue Terrorwelle Irans säkulare Schriftsteller in Todesangst.

Mordserie Die Bilder gleichen einander und lassen kaum Zweifel, daß die Mordserie von einer Kraft gesteuert ist: Eine Woche lang fehlte von dem Schriftsteller Mohammed Mochtari jede Spur. Am 9. Dezember fand man ihn in der Wüste von Waramin, einige Kilometer von Teheran entfernt, tot auf. Würgespuren am Hals lassen darauf schließen, daß der einstige Sekretär des Schriftstellerverbandes erdrosselt wurde. Mochtari zählte zu den profiliertesten Persönlichkeiten der iranischen Autorengemeinde und setzte sich unerschrocken für Meinungs- und Pressefreiheit ein. Bereits in den achtziger Jahren schmachtete er deshalb mehrere Jahre lang im Gefängnis.

Am 24. November verschwand der Übersetzer und Journalist Majid Sharif. Vier Tage später entdeckte man seine Leiche. Die offizielle Todesursache lautet "Herzversagen". Familie und Freunde aber glauben an Mord. Sharif, der vor wenigen Jahren nach langem Exil in Europa wieder in den Iran zurückgekehrt war, hatte sich in Zeitungsartikeln für die Trennung von Staat und Religion eingesetzt.

Seit August ist der Autor und Kritiker des Regimes Pirou Davani verschollen. Und am 9. Dezember kehrte der 45jährige Kunstkritiker und Übersetzer Mohammed Jafar Pooyandeh von seiner Arbeit nicht mehr heim. Kürzlich wurde seine Leiche in der Nähe von Teheran entdeckt. Verletzungen lassen auf Tod durch Erwürgen schließen. Pooyandeh hatte mit Mochtari eng zusammengearbeitet. Die Mordserie an Irans Literaten fällt zusammen mit einer eskalierenden Verfolgung auch der politischen Opposition.

Präsident Khatami forderte unterdessen Polizei und Geheimdienst auf, die Suche nach den Gewalttätern zu verschärfen. Nach Angaben des unter Khatamis Kontrolle stehenden Innenministeriums wurden einige Verdächtige festgenommen. Der Geheimdienst aber liegt, wie die Führung der Sicherheitskräfte, fest in den Händen der konservativen Gegner des Präsidenten. In Schriftstellerkreisen hegt man keinen Zweifel daran, daß die Täter und deren Hintermänner diesen Kräften angehören, die kein Mittel scheuen, um ihre absolute Kontrolle des Staates gegenüber den Reformern unter Khatami zu verteidigen.

In dem sich verschärfenden Kampf der Fraktionen geraten die unabhängig denkenden Literaten zwischen die Mühlsteine. "Wir werden als Opfer geschlachtet", ruft Golschiri verzweifelt. Kein Zweifel, diese Serie grausiger Attentate gegen Irans liberale Intelligenz verfolgt vor allem den Zweck, die Position des Präsidenten zu untergraben, seinem Bekenntnis zu Freiheit und Toleranz jede Glaubwürdigkeit zu rauben, sein Reform- und Liberalisierungsprogramm zu blockieren, damit in der "Islamischen Republik" auch in Zukunft unabhängiges Denken nicht die Pfründe einer Elite von machtgierigen Mullahs gefährde.

Hauptzielscheibe und Freiwild in dieser erneuten Mordkampagne ist eine kleine Gruppe von Autoren, die nach den Worten Golschiris geglaubt hatte, die Zeit sei reif, um Irans Schriftstellerverband wiederzubeleben. Golschiri zählt zu ihnen. Ebenso gehören ihr Mochtari und Pooyandeh an. Sie hatten im September die Einberufung einer Schriftsteller-Vollversammlung organisiert, die ein provisorisches Sekretariat mit dem Auftrag wählen sollte, sich um die Registrierung der Vereinigung zu bemühen. "Der Schriftstellerverband wäre damit die erste Organisation in der Islamischen Republik, die außerhalb des Systems steht", betont Golschiri. Solche "Freiheit" dulden die Mullahs nicht. Drei Tage vor der Versammlung wurden die sechs Komitee-Mitglieder vor das Revolutionsgericht zitiert. Einer von ihnen, Ali-Ashraf Darwishian, wurde schon damals direkt mit dem Tode bedroht. Die anderen klärte man auf, daß sie wegen "staatsfeindlicher Aktivitäten" vor ein Revolutionsgericht gestellt werden könnten. Diese Gerichte tagen geheim und verhängen Strafen bis hin zur Exekution. "Der Ankläger ist zugleich Richter", erläutert Golschiri. "Ich wollte einen Verteidiger nehmen, doch man empfahl mir, das Wort Anwalt nicht einmal auszusprechen, wollte ich das Schlimmste verhüten."

Ein Gefühl verzweifelter Ohnmacht beherrscht die bedrohten Autoren: "Wir können nichts unternehmen", sagt Golschiri. "Wir können nicht an Khatami schreiben, denn der Brief könnte die andere Fraktion verärgern. Wir können nicht an diese Fraktion schreiben, denn es ist jene, die uns verfolgt. Khatami kennt unsere Situation. Er tut nichts. Wir hatten ihm und seinen Versprechungen von Toleranz und Dialog geglaubt. Wir wollten vergessen, daß vor einiger Zeit fast zwei Dutzend Autoren einen Abhang hinuntergestoßen werden sollten (Golschiri erinnert damit an den Versuch, ihn und eine Gruppe seiner Kollegen während einer Busreise nach Armenien vor eineinhalb Jahren zu töten). Wir wollten vergessen, daß einer unserer Kollegen durch die Injektion von Alkohol getötet wurde; und all die anderen Morde und Einschüchterungsversuche der letzten Jahre. Aber nun müssen wir einsehen, daß die Zeit für den Schriftstellerverband nicht reif ist."

Psychoterror Der Konflikt der unabhängigen Autoren mit dem Regime geht auf den November 1994 zurück, als 134 iranische Schriftsteller in einem offenen Brief an die Behörden die Aufhebung der Zensur, Meinungs- und Publikationsfreiheit forderten. Gemeinsam wollten sie durch Wiederbelebung des vor 30 Jahren gegründeten, doch nie registrierten Schriftstellerverbandes ihren "natürlichen, sozialen und bürgerlichen Rechten" Nachdruck verleihen, damit ihre Werke "die Öffentlichkeit ungehindert und frei erreichen". Die Behörden reagierten mit gnadenloser Verfolgung. Zahlreiche Mitglieder der Kerngruppe wurden entweder ermordet, mit dem Tode bedroht, wiederholt verhört und schikaniert oder flüchteten ins Ausland. "Man raubte uns die Kreativität", klagt Golschiri, dem der konstante psychische Terror, die Unmöglichkeit, im Iran zu publizieren, jahrelang die Schaffenskraft lähmte.

Und nun, da sie um ihr nacktes Leben fürchten müssen, "fühlen wir uns wie Scheherezade", die legendäre Erzählerin aus 1.001 Nacht, die König Schehrijar durch ihre Märchen davon abhielt, sie zu töten. Der Druck der "westlichen Öffentlichkeit und unsere Bekanntheit im Iran" hätten ihn und einige seiner Freunde bisher vor dem Tode bewahrt, denn: "Wenn wir in Vergessenheit geraten, sind wir verloren."

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