Irans Internet-Revolutionäre in der Defensive

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Das iranische Regime hat Journalisten und Internetaktivisten als Erzfeinde ausgemacht. Einschüchterungen, Verhaftungen, Flucht sind die Folge. Die Ayatollahs wissen selbst nur zu gut über die subversive Kraft der Medien Bescheid: Tausende in Moscheen verteilte Khomeini-Tonbänder haben einst den Boden für den Sturz des Schahs bereitet.

Wer hat das größte Sakrileg im Gottesstaat gewagt? Irans staatliches Fernsehen enthielt dem Volk die Ungeheuerlichkeit nicht vor: Ein zerrissenes Poster Ayatollah Khomeinis, des immer noch unantastbaren Gründers der „Islamischen Republik“, flimmerte über die Bildschirme. An der Identität der Täter hegt das Sprachrohr des „Geistlichen Führers“ ebenso wie dieser selbst nicht die geringsten Zweifel: die grüne Oppositionsbewegung. Diese freilich, unter Führung Mir Hussein Mussawis, weist solche Anschuldigung empört – und glaubhaft – zurück, zählte der langjährige Premier der „Islamischen Republik“ doch zu den engsten Mitstreitern Khomeinis.

Das Foto ist nach Überzeugung der Oppositionsbewegung und unabhängiger Blogger schlecht manipuliert. Als erstes erschien es auf einem der zahllosen Blogs, über die Iraner aller politischen Richtungen nicht nur über die Ereignisse im Lande informieren, sondern zunehmend auch ihre politischen Konflikte austragen. Der Verdacht einer gezielten Provokation durch radikale Vertreter des Regimes drängt sich auf. Wird damit der Boden für eine Verhaftung Mussawis und seines Mitstreiters Kharrubi bereitet?

„Twitter-Revolution“ geht weiter

Dieser Verdacht illustriert die Bedeutung elektronischer Medien im Iran für Opposition wie Regierung. Trotz intensiver Versuche des Regimes, Journalisten und Blogger massiv einzuschüchtern und den Zugang zu den neuen Medien durch ausgeklügelte technische Tricks zu blockieren. Doch das Ventil der Freiheitssuchenden lässt sich nicht zustopfen. Irans Blogger sind Meister in der Umgehung staatlicher Filter und Blockaden. So erreicht immer noch eine Flut von Informationen via Videos, Fotos, Text-Nachrichten per Mobiltelefon, im Facebook, Twitter, in Blogs und auf Websites die Außenwelt. Die „Twitter-Revolution“, die im Anschluss an die manipulierten Präsidentschaftswahlen am 12. Juni erwachte, lebt fort.

„Dieser Bürgerjournalismus“ habe dem iranischen Regime „jede Glaubwürdigkeit“ geraubt, indem er die Diskrepanz zwischen den offiziellen Berichten und dem „Online“ Gezeigten darstelle, analysiert der Blogger Hamid Tehrani. Der über Videoplattformen verbreitete Tod der Studentin Neda Agha-Soltan, die zum Symbol der gesamten Protestbewegung aufgestiegen ist, zeigt: „Die Opfer im Iran sind keine Zahlen mehr, sondern haben Gesichter.“

Khomeinis auf Tonbändern in Tausenden Moscheen verbreitete Botschaften hatten vor gut 30 Jahren den größten Militärherrscher des Orients gestürzt – nun droht dem Regime tödliche Gefahr durch das Nachfolgemedium Internet. Dementsprechend brutal reagieren die Herrscher in Teheran. „Internet-Verbrecher“ sollen mit dem Tod bestraft werden, wenn sie die „mentale Sicherheit der Gesellschaft“ bedrohen – ein schwammiger Begriff, unter den sich jedes publizierte Wort einordnen lässt.

Über zehn Zeitungen geschlossen

Blogger und Journalisten sind damit nun zum internen Erzfeind aufgestiegen. Berichte über Verhaftungen, Folter, über Nervenzusammenbrüche der Opfer, Hungerstreiks, jahrelange Gefängnisstrafen, Bedrohung von Familienangehörigen reißen nicht ab. Wer selbst nicht ins Gefängnis muss wie der prominente Journalist Mashallah Shamsovaezin, steht unter steter Observation und der ununterbrochenen Gefahr, ins berüchtigte Evin-Gefängnis verschleppt zu werden. Ebenso ergeht es allen Bloggern, die oppositionelles Gedankengut verbreiten, in Teheran, in Isfahan, in Tabris, in allen großen Städten des Iran …

Mehr als hundert Journalisten und unzählige Blogger wurden laut „Reporter ohne Grenzen“ seit Juni verhaftet, mehr als zwei Dutzend sind immer noch im Gefängnis. Einige wurden zu Haftstrafen von fünf bis neun Jahren verurteilt, andere gegen gigantische Summen Kaution vorübergehend auf freien Fuß gesetzt. Die seit Juni massiv verschärfte systematische Zensur hat einzigartige Ausmaße erreicht. Mehr als zehn Tageszeitungen, darunter jene von Khameneis (oppositionellen) Bruder Hadi, wurden verboten. Der Iran erlebt den größten Exodus von Journalisten und andere Medienvertreter seit der Revolution, denn sie gelten pauschal als „Gefahr für die nationale Sicherheit“. Nach Schätzungen von Shamsovaezin haben rund 2000 Journalisten seit Juni ihre Arbeit verloren. Etwa 50 Journalisten haben sich den mehr als 4000 Geschäftsleuten, Studenten, Athleten und anderen Angehörigen der Elite angeschlossen, die das Land – oft unter Lebensgefahr – im vergangenen Halbjahr fluchtartig verließen. Dieser Exodus ist den Diktatoren in Teheran willkommen.

Vom Regime infiltrierte Blogs

Immer mehr gelingt es dem Regime, die Blogs der Opposition zu infiltrieren und damit auch die internationale Öffentlichkeit zu verwirren, wie das Beispiel des zerrissenen Khomeini-Fotos zeigt. Zugleich, meint etwa der Journalist Sina Motalebi, wagen sich immer weniger „normale Bürger“ ins Internet, um ihre eigene Sicherheit und die ihrer Familien nicht aufs Spiel zu setzen. „Die Blogs werden deshalb zunehmend von Aktivisten dominiert und die Stimme Extremer auf beiden Seiten wird immer lauter.“ Dennoch bleibt „Cyberspace“ die größte, die vielleicht einzige Hoffnung der sich nach Freiheit sehnenden Iraner.

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