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Koptischer Kreuzweg

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Minderheitenprobleme gibt es in allen Teilen der Erde. Auch die christlichen Minoritäten mehrerer arabischer Länder fürchten um ihre Eigenständigkeit, um ihren politischen und wirtschaftlichen Einfluß, um ihre nackte menschliche Existenz. So sehen vor allem die koptischen Christen Ägyptens — rund 6 Millionen Gläubige schwach oder stark — der Zukunft mit Sorge entgegen. Wenn man den Agenturmeldungen Glauben schenkt, so wird es am 1. September mit der Vereinigung von Ägypten und Libyen ernst. Die Lage ist deshalb so bedrohlich, weil

nicht ganz auszuschließen ist, daß es

— wenn auch nicht in diesem Ausmaß und aus den gleichen Motiven

— den koptischen Christen ähnlich ergehen könnte wie den katholischen Italienern und Maltesern in Libyen. Was geschah in Libyen? 1969 wurden

— die Weltöffentlichkeit reagierte damals überhaupt nicht — rund 30.000 Katholiken teils vertrieben, teils ihrer Gotteshäuser und anderer kirchlicher Einrichtungen beraubt und zur Einhaltung islamischer Satzungen gezwungen. Die Schließung der Kirchen, die seit 1970 von der libyschen Revolutionsregierung im

Namen des Islams verfügt wurde, ging nur in Ausnahmefällen nach der alten arabischen Praxis der Umwandlung der christlichen in islamische Kultstätten. Eine Ausnahme stellte die ehemalige Kathedrale von Tripolis dar, die heute als Gamal-Nasser-Moschee dient. Nach der Vertreibung des Klerus kam es zu schweren Ausschreitungen, wie sie übrigens auch gegen die koptische Minorität in den letzten Monaten mehrmals erfolgten. Können die Christen Libyens jetzt wenigstens wiederum zum Gottesdienst gehen, so sind sie in ihrem Privatleben zur Einhaltung zahlreicher islamischer Gebote gezwungen. Zwar ist Ghada-fis Forderung nach Verschleierung aller Christinnen bisher noch nicht durchgedrungen, doch konnte er die Alkohol- und Schweinefleischverbote des Islams, die traditionelle Freitagsruhe sowie islamische Wohlfahrtsabgaben auch für die Christen verbindlich machen.

Diese Vorgänge in Libyen und Ägypten stehen in hundertprozentigem Gegensatz zur islamischen Lehre und Praxis, die Christen und Juden — sie werden als „Leute des Buches“ in Schutz genommen — ausdrücklich erlauben, ihr eigenes Leben zu führen: „Wer einem Juden und Christen Böses tut, gegen den werde ich selber beim Jüngsten Gericht als Ankläger auftreten.“

Trotz dieses Zitates kam es nicht nur in Libyen, sondern auch in Ägypten in den letzten Jahren zu einem gewaltigen Exodus von Juden und Christen verschiedener Konfession. So wird heute die einst große und bedeutende jüdische Gemeinde in ganz Ägypten auf rund 1000 Gläubige geschätzt. Sieht man von der koptischen Kirche ab, die rund 6 Millionen Gläubige zählt und im Kulturellen und Wirtschaftlichen einen bedeutenden Faktor darstellt, so dürfte die Zahl aller übrigen

Christen des Landes derzeit zwischen 50.000 bis 100.000 liegen.

Im wesentlichen geht es also um die koptische Gemeinschaft, von der man versucht ist, festzustellen, daß ihre Schwächung das wirtschaftliche Gefüge schwer beeinträchtigen würde. Die Regierung Ägyptens nimmt' Vorkommnisse — wie die schweren Zwischenfälle des Vorjahres zeigten — durchaus nicht leicht. In der angespannten Situation werden natürlich alle Symptome von Zwietracht als Gefahrenherde und als Politikum erster Ordnung gewertet. Auch versucht die .amtliche Sprachregelung, den schwelenden Konflikt auf das Wirken ausländischer Agitatoren zurückzuführen. Ob es Sadat auch künftig gelingen wird, Ruhe zu bewahren, bleibt abzuwarten. Dies um so mehr, als politische Auguren Libyens Staatschef Ghadafi nachsagen, er fühle sich dazu berufen, Nassers Erbe anzutreten.

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