Kopten leben in ständiger Gefahr

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In Ägypten kommt es täglich zu gewaltsamen Ausschreitungen zwischen Muslimen und Angehörigen der Kopten, der christlichen Minderheit im Land. Die Folge ist ein Leben in Angst, wo brennende Kirchen und entführte Minderjährige durch Islamisten die Spitze des Eisberges sind.

Nermeen Mitry, ein 16-jähriges, koptisches Mädchen wird den 21. Mai dieses Jahres vermutlich nie vergessen. Es ist der Tag, an dem die junge Ägypterin entführt wird. Der bärtige Mann, der sie in seiner Wohnung gefangen hält und gewaltsam zu islamisieren versucht, heißt Hossam Hamouda. Sie sei das vierte koptische Mädchen, das durch ihn den „wahren Allah“ kennen lernen würde, erzählt die Minderjährige den Coptic News in einem Radiointerview am 7. Juni. Dabei hatte sie noch Glück, denn es gelang ihrer Familie, sie selbst zu befreien. „Die Staatssicherheit tat nichts, um uns zu helfen“, sagt Nermeens Onkel Sameh Mitry zu den Coptic News. „Nach der Befreiung standen wir fast 150 muslimischen Männern gegenüber, die mit Schwertern und Knüppeln bewaffnet waren und auf uns losgingen. Sie waren wegen der Befreiung unseres Mädchens so wütend, dass sie uns fünf mit den Worten ‚Raus, ihr Anhänger einer Hundereligion‘ aus dem Auto zerrten und verprügelten. Drei mussten dann ins Krankenhaus.“ Mary Abdelmassih von der Assyrischen Nachrichtenagentur berichtet, dass koptische Mädchen bereits seit dreißig Jahren einer systematischen Islamisierung zum Opfer fallen würden. Bereits 1976 hätte das Oberhaupt der Kopten, Papst Schenuda III., während einer Konferenz in Alexandria dagegen protestiert, dass „auf koptische Mädchen Druck ausgeübt wird, um zu konvertieren und zum Islam überzutreten“.

Menschen zweiter Klasse

Dass die koptische Minderheit in Ägypten zahlreichen Repressalien ausgesetzt ist und jährlich zwischen 20 und 30 Minderjährige entführt werden, davon berichtet auch Johann Marte, Präsident der Stiftung Pro Oriente. Die Stiftung für den Dialog mit den Ostkirchen kann durch den direkten Kontakt und den Austausch von Delegationen mit der koptischen Kirche seit dem Jahr 1971 besonders zur aktuellen Lage Stellung beziehen. Die derzeitige Situation der koptischen Christen in Ägypten verdeutliche einmal mehr, dass sie wie die anderen christlichen Minderheiten in den islamisch regierten Ländern des Nahen Ostens seit vielen Jahrhunderten als Menschen zweiter Klasse behandelt würden, so Marte.

Ägypten ist das bevölkerungsreichste arabische Land und wird seit 1981 von Präsident Hosni Mubarak regiert. „Seit Anfang der 70er-Jahre wurden in Ägypten rund 4000 Kopten aufgrund ihres Glaubens ermordet. Trotzdem weiß ich von keinem Fall einer Verurteilung der Täter, obwohl sehr viele von ihnen bekannt waren und immer noch sind“, sagt Marte. Die Diskriminierung und Verfolgung der Kopten geschehe auf drei Ebenen: „Erstens durch staatliche Behörden, zweitens durch Islamisten und drittens durch Mitbürger.“ Erst Mitte des vergangenen Monats wurde eine am 3. Juli offiziell eingeweihte koptische Kirche im oberägyptischen Beni Mazar niedergebrannt.

Marte ist davon überzeugt, dass die Entscheidung der ägyptischen Regierung im Mai, rund 250.000 Schweine des Landes schlachten zu lassen, als Vorwand missbraucht wurde, denn „Schweine sind eine wichtige Einnahmequelle der 60.000 ‚Zabbalin‘, der fast ausschließlich christlichen Müllsammler.“ Selbst die WHO hätte diese Maßnahme als unverhältnismäßig bezeichnet, zumal nicht einmal ein einziger Krankheitsfall dokumentiert sei. Dass der Übertritt zum Christentum einem Todesurteil gleichkommen kann, bekräftigt der Präsident von Pro Oriente: „Der ägyptische Innenminister Habib I. el-Adly hat die Tötung aller ‚abtrünnigen Männer‘, die zum Christentum konvertiert sind und sich so von der ägyptischen Staatsreligion abgekehrt haben, gefordert.“

Unterschiedliche Motive

Aber die Verfolgung sei nicht immer nur religiös, sondern auch politisch motiviert. Trotz eines Bevölkerungsanteils von rund zehn Prozent gibt es in ganz Ägypten nur einen einzigen Kopten als Bürgermeister. „Ein Aufstieg in leitende Funktionen des Staates bleibt der Minderheit, zumal das Zeugnis eines Christen vor Gericht nichts gilt, meistens verwehrt“, weiß Marte. Denn Richter würden ihre Entscheidungen mit Artikel zwei der ägyptischen Verfassung begründen, der die Scharia, das islamische Recht, als Quelle des Rechts in Ägypten festlegt. Prominenteste Ausnahme war der ehemalige Vizepremier Boutrous Boutrous-Ghali, der von 1992 bis 1996 zum UNO-Generalsekretär aufstieg.

Die Christen des Ostens müssten auch für die Politik des Westens büßen, meint Marte. „Ich glaube, dass die Globalisierung vieles zu dieser Atmosphäre des Hasses beiträgt. Diese erzeugt Neid und Missgunst. Christsein war schon immer gefährlich, aber für die Kopten wird es in Ägypten täglich schlimmer!“

Herzstück der Menschenrechte

Darauf, dass sich die Situation der Christen weltweit verschlechtert, weisen nicht nur christliche Organisationen hin. Auch die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte schreibt in zahlreichen Presseaussendungen, dass christliche Minderheiten vor allem in kommunistisch und islamisch geprägten Staaten vermehrt politischer Willkür und Misshandlungen ausgesetzt sind. In Artikel 18 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte ist das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit definiert. „Dieses Herzstück der Menschenrechte wird aber zunehmend missachtet, obwohl die ägyptische Verfassung die Religionsfreiheit garantiert“, warnt Marte. Es sei durch zahlreiche Vorfälle belegbar, dass den dort lebenden Christen nicht der gleiche Zugang zu ihrer Religion erlaubt werde.

Kopten in Österreich

Hierzulande leben rund 6000 koptisch-orthodoxe Christen. Spiritueller Treffpunkt der koptischen Gemeinde ist neben den sieben koptischen Kirchen das 2001 gegründete Antonius-Kloster im niederösterreichischen Obersiebenbrunn. Dort lebt Diakon Victor S. Elkharat, der die Situation in Ägypten so schildert: „Zu Hause ist die Hölle los. Man kann sich kaum vorstellen, was unsere Leute dort mitmachen müssen.“ Er beschreibt, dass die jüngste Rede des amerikanischen Präsidenten bei seinem Ägyptenbesuch die bestehenden Spannungen zwischen Christen und Muslimen nur noch weiter verschärft hätte: „Obama hat im Juni die aktuelle Situation der Kopten angesprochen. Das war leider gar nicht hilfreich, im Gegenteil: Es hat die Muslime nur noch mehr verärgert.“ Das sei auch der Grund, weswegen die Mitglieder der koptischen Gemeinde sich in Österreich wenig bis gar nicht über die herrschenden Zustände in ihrer Heimat äußerten: „Das geht bei ihnen bei einem Ohr hinein und beim anderen wieder hinaus. Sie wollen daheim kein Einreiseverbot riskieren und auch sonst nicht unangenehm auffallen. Sie können sich das einfach nicht leisten. Denn auch in Wien gibt es genug Muslime, die sie genau beobachten.“

Elkharat selbst hält Vorträge und schreibt über die Lage der Kopten. Ihm seien noch weitere vier oder fünf andere Kopten bekannt, die es ebenso machen und in der Öffentlichkeit über die prekäre Situation ihrer Landsleute berichten würden. Bischof Gabriel ist Leiter der koptischen Gemeinde in Österreich. Dieser würde sein Verhalten höchstens dulden, aber im Falle einer Eskalation könne er sich keine Unterstützung von ihm erwarten: „Der Bischof würde dann so tun, als hätte er nichts davon gewusst.“ Doch Elkharat zeigt dafür Verständnis und fügt hinzu: “Aber ich würde es genau so machen.“

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