Der lange Weg der Lehren vom Tahrirplatz

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Die Ergebnisse des Referendums vom 19. März, in dem die Ägypter zu 77 Prozent für eine Änderung ihrer Staatsverfassung stimmten, um möglichst bald Wahlen zu ermöglichen, bringen nichts Neues für Charles Leben. Charles ist Lehrer an einer Privatschule in Kairo und Christ. "Die Kopten und andere Nicht-Muslime sind in diesem Land Bürger zweiter Klasse. Die beiden ersten Artikel der Verfassung widersprechen einander. Im ersten wird die Glaubensfreiheit garantiert und im zweiten steht es, Ägypten sei ein muslimisches Land, mit Scharia als Grundlage und Quelle des Rechts.“

Als in einem Kairoer Vorort der Mob in Folge einer Familienfehde zwischen koptischen Christen und Muslimen eine Kirche niederbrannte, kam es landesweit zu Protesten und Ausschreitungen mit zahlreichen Toten.

Die steigende Gewalt gegen die Christen wird oft als Werk von Anhängern des alten Regimes und Provokation der alten Sicherheitsdienstgarde gesehen, die den Glauben schüren will, dass früher alles sicherer war. Kritische Beobachter wollen bei der Verfassungsabstimmung auch eine sonderbare Allianz zwischen den Anhängern der aufgehobenen NDP (Nationaldemokratische Partei) Mubaraks und der Muslim-Bruderschaft beobachtet haben. Beide verfügen über funktionierende Organisationsstrukturen.

Die Kopten finden ihre Verbündeten vor allem im entstehenden linken Lager, in Gewerkschaftsstrukturen und bei den Anhängern der zivilen, laizistischen Gesellschaftsordnung. Doch viele gemäßigte Intellektuelle und Politiker, darunter auch die Gallionsfigur der Opposition, Ex-IAEO Direktor, Nobelpreisträger und potenzieller Präsidentschaftskandidat Mohammed El Baradei, halten die Zeit für einen konfessionsfreien ägyptischen Staat noch nicht für reif. El Baradei kritisierte offen, die angestrebte Verfassungsbestimmung über die rein ägyptische Herkunft der Präsidentschaftskandidaten und deren Ehefrauen erinnere an Hitlers Nürnberger Gesetze. Die stärkste Ablehnung eines ägyptischen Gottesstaates äußern die Frauen und die Jugend des Landes.

Eine Frau am Tahrir-Platz riss vor westlichen Fotografen ihren Gesichtsschleier herunter und rief: "Den Schleier trage ich, wenn ich will!“ Jugendliche bemalten ihre Gesichter mit Kreuz und Halbmond und riefen "Kopten und Muslime Hand in Hand!“ Doch diese Lehren haben noch einen weiten Weg in die Gassen und Suks Ägyptens, von der Landbevölkerung ganz zu schweigen.

Schon vom Wahrzeichen Kairos, dem Cairo-Tower aus gesehen, nehmen sich auch die größten Demonstrationen auf dem Platz im Zentrum der Stadt, wie eine Vogelschar vor der überwältigenden Kulisse der 20-Millionen-Metropole aus.

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