Der Aufstand und Europa

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Die Herstellung demokratischer Verhältnisse in Tunesien ist eine schwierige Aufgabe, der die EU mit massiven Finanzhilfen nachzukommen versucht.

Rund 67 Millionen Dollar sind im Moment eineinhalb Tonnen Gold wert. Damit ausgestattet soll Tunesiens Ex-Präsident, den man jetzt auch als "Diktator“ bezeichnen darf, nach Saudi-Arabien geflohen sein. Ein Gebäude im Banken- und Geschäftsviertel von Genf, eine Falcon des französischen Flugzeugherstellers Dassault für Geschäftsreisen - das, was die Familie Ben Alis in der Schweiz ihr Eigen nannte, hat Bern inzwischen beschlagnahmt. Dem angerafften Reichtum des Clans standen bisher offizielle 31 Prozent arbeitslose Jugendliche gegenüber sowie Korruption und politische Repression. Im Gegenzug galt die ehemalige französische Kolonie als moderates islamisches Land. Wobei Plakate von barbusigen Frauen nicht unbedingt alleiniger Gradmesser für westliche Standards sind.

Liberale Vorbilder

Immerhin hat Tunesien mit der islamisch-arabischen Scheidung aufgeräumt und als erster islamischer Staat eingeführt, dass Eheleute nur mehr per Gericht geschieden werden können. Schließlich lebte Ben Ali (74), der erst zweite Präsident, den das Land hatte, seinen zehn Millionen Landsleuten ein liberales Leben zumindest in dieser Hinsicht vor: Nach 24 Jahren ließ er sich 1988 von seiner ersten Ehefrau scheiden, um 1992 die ehemalige Friseurin Leïla Trabelsi zu heiraten. Leïla Ben Ali (53) sagte man auch gute Chancen nach, das Präsidentenamt von ihrem Mann nahtlos zu übernehmen. Gemeinsam sollen sie ein Privatvermögen von fünf Milliarden Euro angehäuft haben. Weit weniger sind die finanziellen Zuwendungen, mit dem internationale Organisationen und die EU dem touristisch, aber auch landwirtschaftlich geprägten Wüstenstaat und Erdgasexporteur bisher unter die Arme griffen.

Tunesien war das erste arabische Land, das mit der EU ein Assoziationsabkommen schloss. Das war Ergebnis des "Barcelona-Prozesses“, mit dem die Europäer die Kooperation mit den Mittelmeer-Anrainerstaaten stärken wollen. Zwischen 1995, der Unterzeichnung des Handelsabkommens mit Brüssel, und 2009 erhielt Tunis 1,7 Milliarden Euro Hilfsgelder von der EU und von der Europäischen Investitionsbank Darlehen von 2,8 Milliarden Euro. Damit ist bereits einiges erreicht worden, wie auch Stefan Schennach im Interview mit der FURCHE bestätigt. Ehemals Grüner Politiker und nunmehr Abgeordneter der SPÖ, ist Schennach Delegationsleiter der österreichischen Abgeordneten in der "Parlamentarischen Versammlung der Union für das Mittelmeer“, kurz: EMP. Die Versammlung (insgesamt 280 Mitglieder aus den EU-Mitgliedsländern und den Mittelmeeranrainerstaaten) soll im Rahmen des Barcelona-Prozesses und der Mittelmeerunion die EU und die Regierungen beraten.

Dass das EU-Engagement in Nordafrika postkoloniale Bestrebungen seien, um von Investitionen etwa selbst zu profitieren, weist Schennach zurück (siehe Interview unten). Zur Umsetzung der Partnerschaft sieht die Europäische Nachbarschaftspolitik bis 2013 für Tunesien alleine 240 Millionen Euro Hilfsmittel vor.

Ruhe kann im Moment in der Tunesiens Hauptstadt noch nicht aufziehen am Hauptverkehrsknotenpunkt Place de Barcelone und an der Avenue Habib Bourguiba, die in Anlehnung an Paris gerne als "Champs-Élysées von Tunis“ bezeichnet wird. Überrascht von der "Jasmin-Revolution“ üben sich die EU und an vorderster Stelle der einstige koloniale Machthaber Frankreich weiterhin in nobler Zurückhaltung, während sich der Aufstand gegen autoritäre Regime bis nach Ägypten fortpflanzt, wo es am Dienstag zu Unruhen mit Toten und Verletzten kam.

Demokratische Wege

Was Tunesien betrifft besteht diesseits wie jenseits des Mittelmeeres Interesse daran, bald stabile demokratische Verhältnisse herzustellen. Und Sicherheit. Andernfalls könnten radikale Kräfte entstehen. Sichere Verhältnisse sind für Europa auch mit handfesten wirtschaftlichen Interessen verbunden. Nicht zuletzt deshalb, weil eine Pipeline, die Erdgas aus Algerien nach Europa pumpt, durch Tunesien verläuft. Erst zu Monatsbeginn hat die OMV tunesische Gas- und Ölfelder für 650 Millionen Euro erworben - als der Autokrat Zine el-Abidine Ben Ali noch in Amt und Würden war. Dass in den kommenden Jahren die Demokratie in Tunesien Fuß fassen wird, davon ist Stefan Schennach überzeugt. Nur so könne sich das Land vor einer Islamisierung schützen, wo Jugendliche mafiaähnlichen Strukturen verfallen. "Die Jugendlichen revoltieren jetzt auch gegen alte Männer.“

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