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Das Haus des Maghreb

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Unter den Ländern, die bislang ein mehr oder weniger koloniales Regime aufwiesen, seit einiger Zeit jedoch strukturelle Veränderungen erfuhren, die ihrer starken Dynamik freiere Entfaltung gestatten, tritt Ägypten besonders eindrucksvoll hervor. Verbindende Zentralmacht zwischen den nordafrikanischen und vorderasiatisdien Staaten und Halbstaaten, die es an Volkszahl und Wirtsdiaftskraft weit überflügelt, spielt es die Rolle eines arabischen Piemont. Schon hält es die nur mehr wenig bestrittene Führung der Arabischen Liga in geschickten Händen. Von Kairo aus ist über das riesige Gebiet von Marokkos Atlantikküste bis zur Zilizischen Pforte ein immer dichteres Netz politischer Beziehungen und befreundeter Bewegungen gebreitet. Das Haus des Maghreb in Kairo ist das Zentrum aller nordafrikanischen Unabhängigkeitsbestrebungen. Hier laufen die Fäden jener Bewegungen zusammen, die Azzam-Pascha, der gewandte Generalsekretär der Arabischen Liga, leitet und die Frankreich schwer zu schaffen machen. Prominente arabische Flüchtlinge, der Großmufti von Jerusalem, Hadj Amin Effendi el Husseini, und der zweite Vorsitzende des arabisdien Exekutivkomitees für Palästina, Dsdiemal Husseini, haben sich im Schutze dieses Hauses zusammengefunden. Die Eingabe an die irakische Regierung, um Amnestierung des Führers im Aufstande von 1941, des irakischen Ministerpräsidenten Raachid el Kailani, trägt an prominenter Stelle die Unterschriften des Großmufti und des gleichfalls in Ägypten lebenden Oberhauptes der Senussi, des Scheik Said Mohammed el Idris. Auch Habib Bourguiba, der geschickte und kluge Anführer der tunesischen Nationalisten, und Moncef-Bei, der frühere Bei von Tunis, den die Alliierten durch den willfährigen Sidi Ltmine-Pascha ersetzt haben, zählen zum Kreise des „Haus des Maghreb“. Sie vertreten alle die nationalistischen Bewegungen jener Staaten, die noch nidit ihre Unabhängigkeit gewonnen haben, und sind in Kairo nidit bloß dank der bewundernswerten Asylbereitschaft des Moslems, sondern weil Ägypten heute von allen diesen Ländern als der natürliche Vorkämpfer gegen den „Imperialismus“ der Großmädite betraditet wird.

Der Pakt der Arabischen Liga, der am 22. März 1945 unterzeichnet wurde, hat nach dem Wortlaut den Zweck, „dem gemeinsamen Gut aller arabischen Länder, dem Fortschritt ihres Zustandes, der Sicherheit ihrer Zukunft, der Erfüllung ihrer Bestrebungen und Hoffnungen“ zu dienen. Ein besonderer Anhang unterstreicht diese Wendung und faßt die Zeit ins Auge, wenn andere, jetzt noch nicht unabhängige arabische Staaten in der Lage sein werden, dem Rate der Liga beizutreten. Dies bezieht sich vor allem auf Palästina, aber auch auf Nordafrika: ■ die Cyrenaika, Tunis, Algier und Marokko. Die Araber selbst unterscheiden zwischen der arabischen Welt im engeren Sinne und der „westarabischen Welt“, dem Maghreb. In den Endzielen bestellt aber kein Unterschied. Die Arabische Liga fühlt sich selbst im Spiel um die Zukunft des Maghreb, und Azzam Pascha entstammt diesem Räume.

Das größte Aufsehen in diesem Intrigenspiel hat die Ankunft des marokkanischen Nationalhelden Abd el Krim in Kairo erregt. Er, der den Spaniern im Jahre 1921 die verniditende Niederlage von Annual beigebracht hatte, ist auf der Reise von seinem Exil Reunion nach Südfrankreich in Port Said entflohen, und zwar — wie ein Spreeher des französischen Außenamtes behauptete — auf Drängen seiner ägyptischen Freunde. Der Besuch Abd cl Krims am ägyptischen Hof, der von ihm veranstaltete Presseempfang im „Haus des Maghreb“ haben seine Wiederkehr ins politische •Leben eingeleite:. Inzwischen hat Abd el Krim eine Erklärung erlassen, in der er den Rückzug Frankreichs aus Nordafrika fordert und auf das Beispiel der Aufgabe Syriens durch Frankreich hinwies. Er fügte hinzu, Arabisch-Nordafrika sei integrierender Bestandteil der gesamten arabischen Welt und die Arabische Liga, auf die er seine Floffnungen setzte, sei nidit vollständig, bevor ihr nidit auch Nordafrika angehöre.

Mögen einer Realisierung dieser Pläne noch zahlreiche Hindernisse entgegenstehen, so sind sie doch von einem zielbewußten Willen getragen und entspredien den Wünschen eines gewichtigen Teiles der Bevölkerung. Gewiß bestehen innerhalb der Liga religiöse und dynastische Differenzen, aber der arabische Nationalismus ist eine reale Macht und eine vitale Kraft unter den Völkern, die an den Küsten des Mittelmeeres'wohnen und durch das Bekenntnis zum Islam verbunden sind. Das wissen die führenden Männer Ägyptens: während sie für die eigene nationale und territoriale Expansion ihres Landes bis zu den Nilquellen vor der UNO kämpfen, traditen sie in einem mit Geduld und Ge-sdiick geführten Spiel die westarabischen Völker Afrikas geistig zu erobern.

Die Arabische Liga hat nahe und konkrete Ziele. In den nächsten zwölf Monaten muß der Rat der Außenminister über die Zukunft Lybiens entscheiden. Die Araber erhoffen für den Fall, daß Tripolis und die Cyrenaika nicht unabhängig werden, daß Ägypten und die Arabische Liga wenigstens in die Treuhänderschaft eingeschaltet werden. Die nächsten Anstrengungen richten sich dann, wie aus einer Rede Azzam-Paschas hervorgeht, gegen Frankreich. Algerien und Tunis sind Teile der Union Francaise. Marokko, dessen Sultan sich zur Ideengemeinschaft mit der Arabischen Liga bekannt hat, ist französisches Protektorat. Frankreich hat viel Arbeit und Kapital in Nordafrika investiert, worauf es nicht verziditen und das aus seiner Volkswirtschaft nicht weggedacht werden kann. Die gebildeten arabischen Schichten kennen die Schwierigkeiten dieser Probleme, werden aber vom Nationalismus machtvoll vorwärtsgedrängt Frankreich wird trachten müssen, die Arabische Liga davon' zu überzeugen, daß die französische Politik in Nordafrika im Interesse der arabischen Länder selbst liegt. Jedenfalls scheint Frankreich für jede Eventualität sich zu rüsten. General Juin wurde zum Generalresidenten in Marokko ernannt, das militärische Kommando für Nordafrika in der Hand des tüchtigen Generals Leclerc konzentriert, und Truppen der Rhern-armec in die Atlasländer gesandt. Dieser Hinweis genügt, um den ganzen Ernst der gesamtarabischen Bewegung und die tragischen Möglichkeiten ihrer nahen Zukunft zu beleuditcn.

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