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HABIB BOURGIBA / TRAGÖDIE DES VERMITTLERS

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Frankreich hat in manches der im 19. Jahrhundert besetzten Kolonialgebiete nicht nur Militärgouverneure und Plantagenaufseher, sondern auch Mittelschullehrer und die Prinzipien humanistischer Aufklärung gebracht. Wie mancher andere Führer des nordafrikanischen Unabhängigkeitskampfes ist auch Habib B o u r g i b a ein Produkt dieses paradoxen Sachverhaltes, der sich durch seine ganze persönliche und politische Existenz zieht und sie einerseits ermöglicht und anderseits immer wieder in Frage gestellt und bedroht hat.

Sohn eine Offiziers des Bei von Tunis, erhielt Bourgiba seine Gymnasialerziehung am Licee Carnot in Tunis, erwarb seinen Jurisdoktor an der Sorbonne und sein Wissen um verfassungsmäßiges Regieren und um die Traditionen bürgerlicher Grundrechte gleichfalls in Paris an der Ecole Libre des Sciences Poli- tiques. Französische Toleranz in Rassenfragen ermöglichte ihm, eine Pariserin zu heiraten, die allerdings nach 22jähriger glücklicher Ehe den christlichen Glauben aufgab und dem Islam beitrat. Auch in diesem Verhalten äußert sich etwas von dem seltsamen Widerspruch zwischen Bourgibas Gebundenheit an Frankreich einerseits und an das nationale Schicksal seines Landes anderseits.

So war es nur natürlich, daß er, bald nachdem er sich als Rechtsanwalt in Tunis etabliert hatte, versuchte, in seiner Heimat jenen liberalen und demokratischen Prinzipien zur Anerkennung zu verhelfen, die ihm das geliebte Frankreich eingeflößt hatte. Als Führer der Destourpartei trat er gegen die feudalen Regierungsmethoden des Bei von Tunis auf und verlangte ein verfassungsmäßiges t Regime. Damit geriet er jedoch auch mit den noch viel mächtigeren französischen Kolonialinteressen in Konflikt. So begann auch für ihn, den Freund Frankreichs, der übliche Zyklus in der Existenz eines nordafrikanischen Nationalisten: Politische Arbeit, Verfolgung, langjährige Haft in Festungen und Gefängnissen, gelegentliche Freilassung, weitere politische Arbeit, neue Haft. Die nächste Station hieß dann bei den meisten, insbesondere bei den Algeriern: bewaffneter Aufstand. Nicht so bei Bourgiba. Trotz aller Repressalien durch die Franzosen verlor er niemals den

Glauben an eine gemeinsame Zukunft Nordafrikas und Frankreichs. Daher bemühte er sich jahrzehntelang, die Selbständigkeit Tunesiens durch friedliches Verhandeln zu erreichen und nicht, wie die Algerier, durch Waffengewalt und völligen Bruch mit Frankreich.

Tatsächlich erwies sich diese Methode — wenigstens im Falle Tunesiens — als die erfolgreichere: 1957 gab Frankreich Tunesien die politische Unabhängigkeit; Tunesien wurde Republik und Bourgiba sein erster Staatspräsident — ein Amt, das er mit dem des Regierungschefs verbindet. Doch in Algerien ging der offene Krieg weiter. Bourgiba bemühte sich all die Jahre, zwischen dem ,,Mutterland” und dem Bruderland zu vermitteln. Dennoch konnte er hier niemals die Rolle eines Unparteiischen einnehmen. Kein tunesischer Führer kann sich jemals als Neutraler vom Kampf der algerischen Rebellen distanzieren, ohne von der Flut des arabischen Nationalismus hinweggefegt zu werden. Im ägyptischen Exil wartet schon seit Jahren Bourgibas erbittertster Rivale, Salah b en J u s s ef, Führer des bewaffneten Kampfes in Tunis während Bourgibas Haft, und später Organisator eines Anschlages auf das Leben Bourgibas, auf den Augenblick, da der gehaßte ewige „Unterhändler” eine Blöße zeigen und gestürzt werden könnte. So war Bourgiba gezwungen, der algerischen Exilregierung und einem beträchtlichen Teil ihrer Armee Unterkunft und Ausgangsstellungen in Tunis zu gewähren. Dies beeinträchtigte jedoch gleichzeitig seinen Stand gegenüber den Franzosen, die ihm as Tlottenbasis für die Dauer des Krieges mit Algerien abfordern konnten. Dennoch erhob Bourgiba immer wieder die Forderung nach Rückgabe Bisertas, und besonders immer dann, wenn seine Stellung als Vermittler in der arabischen Welt geschwächt war. Das geschah zuletzt durch das Scheitern der Verhandlungen zwischen Franzosen und Algeriern in Evian, die Bourgiba entriert hatte. Wieder einmal wurde sein Mittlertum von den Vertretern des unversöhnlichen Kampfes verhöhnt, seine Loyalität gegenüber der arabischen Sache in Frage gestellt. Als de Gaulle schließlich gezwungen war, ohne Bourgibas Hinzutun neue Verhandlungen mit den Algeriern einzuleiten, schien Bourgibas Stellung auch als tunesischer Staatsmann erschüttert. Bei den neuen Verhandlungen muß über die Frage des Erdöls in der Sahara entschieden werden, und durch die Ausschaltung Bourgibas, wie es schien, ohne Berücksichtigung des tunesischen Anteils an diesem Erdöl und ohne auch nur eine Geste der Franzosen in bezug auf die so oft geforderte Rückgabe Bisertas.

Als Bourgiba in der vergangenen Woche seine Landsleute auf forderte, die Waffen gegen die Franzosen zu ergreifen, da geschah das, weil er zu der Erkenntnis gekommen war, daß in einer Welt gewaltsamer Entscheidungen jener beiseite geschleudert wird, der nur auf die Macht des Wortes vertraut. Die Lehre, die aber Frankreich — und auch anderen — hier erteilt wurde, heißt: Lern Freundschaft nicht als Schwäche mißachten.

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