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Revision des Abkommens von Evian?

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In die westliche Hemisphäre vorstößt, eine Bestätigung ihrer Gültigkeit und Bewährung. Einige Kommentatoren glauben schon jetzt behaupten zu können, daß die Anerkennung von Paris als Prototyp der Politik der Zusammenarbeit bereits sichtbare Früchte getragen habe: Ägypten — so meinen sie — denke nicht mehr an die Rolle Frankreichs beim Suez-Abenteuer; die Brasilianer hätten das Kriegsbeil um die Langusten-Affäre längst begraben; und die Intervention französischer Fallschirmjäger in Gabon sei von der „dritten Welt“ fast unbeachtet geblieben. Man folgert daraus, daß sich de Gaulle auf dem richtigen Weg befinde... und Mexiko würde dafür in diesen Tagen einen weiteren Beweis liefern...

Nun ist das französisch-algerische Verhältnis nicht so ganz einfach, als daß es — abgesehen vom zweckbestimmten propagandistischen Element — durch eine Aussprache auf höchster Ebene schlagartig eine, beide Partner zufriedenstellende, Bereinigung erfahren könnte. Freilich kann dem Chef des neuen nordafrikanischen Staates, der sich seit zwei Jahren mit Wirtschaftskrisen, Arbeitslosigkeit und dem ständigen Druck oppositioneller radikaler Elemente herumschlagen muß, die Bereitschaft de Gaulles zu einer Begegnung sehr gelegen. Sie diente seinem Prestige und gab ihm eine Rückenstärkung gegenüber seinen politischen Widersachern. Darüber hinaus ermöglichte sie ihm — unter Anwendung nicht ungeschickter diplomatischer Schachzüge im Bereich der gaullistischen Prestigeanliegen — konkrete französisch-algerische Streitpunkte, über die sich die beiderseitigen Fachminister seit Monaten vergeblich zu einigen versuchen, im Rahmen eines „Gipfelgesprächs“ aufzuwerfen. Benbellas Erklärung nach der Begegnung von Champs, daß er über die Aussprache „sehr befriedigt“ sei, läßt den Schluß zu, daß er vom französischen Staatschef gewisse Zusicherungen hinsichtlich der von Algier geforderten, „den veränderten Bedingungen angepaßten erneuerten Zusammenarbeit“ erhalten haben dürfte.

Im Vordergrund: Das Sahara-Erdöl

Welches sind nun die wichtigsten Forderungen beziehungsweise Wünsche der algerischen Republik gegenüber Frankreich? Im Vordergrund steht natürlich das Problem des Sahara-Erdöls, dessen Verstaatlichung unter flagrantem Bruch des Evian-Abkommens monatelang wie ein Damoklesschwert als der erwartete nächste Schritt des neuen algerischen Regimes über Frankreich hing. Man kann deshalb als sicher annehmen, daß dieser Komplex weitgehend den Dialog von Champs beherrscht hat. Verantwortliche algerische Kreise hatten zwar kürzlich eine staatliche Annektionsab-sicht dementiert, jedoch sofort die Bedingung der Regierung hinzugefügt, daß die Ölquellen der algerischen Wirtschaft in Zukunft größere Vorteile bringen müßten als bisher. Die algerisch-französische Zusammenarbeit müßte eine bessere Anpassung an die sozialistische Regierungspolitik finden, das heißt eine stärkere Unabhängigkeit gegenüber den Interessen des französischen Privatkapitals. Einer ganzen Reihe offiziöser Verlautbarungen konnte man entnehmen, daß man einen größeren Teil der Kapitalgewinne Im Lande zu behalten wünscht, um eine direktere Verwendung der algerischen Bodenschätze für die industrielle Entwicklung zu sichern.

Aber es stehen nicht allein die Petroleumquellen der Sahara zur Diskussion. So hat der algerische Wirtschaftsminister kürzlich einerseits auf die Gefahren hingewiesen, die der Konkurrent Amerika der französischen Wirtschaft bringen könnte, falls sich die Franzosen nicht zu größeren Investitionen in Algerien bereitfinden würden, er hat aber anderseits in einem anderen Zusammenhang nicht verschwiegen, daß der neue Staat einen „weniger ausschließlichen Charakter des französischen Einflusses“ wünsche. Wie widerspruchsvoll eine derartige Forderung ist, mag das Beispiel illustrieren, daß der französische Steuerzahler bereits jetzt für zwei Drittel des algerischen Budgets aufkommen, muß. Trotzdem spürt man ungeachtet aller Anstrengungen und Opfer kaum eine fühlbare Sanierung: Die französische Presse be-

richtet über die täglich bis zum letzten Platz besetzten Flugzeuge, in denen algerische Facharbeiter das Land in Richtung Frankreich verlassen. Ihr einziger Besitz ist die Karte für den Hinflug. Ein sehr

hoher Prozentsatz dieser Emigranten aus Not bemüht sich um die französische Staatsbürgerschaft. Das bedeutet unersetzliche Verluste für Algerien und seinen wirtschaftlichen Aufbau.

Schließlich strebt die Regierung Benbellas eine Revision der Abkommen von Evian über die Verwendung der militärischen Installationen in der Sahara an (In-Ekker, Colomb-Bechar-Hamaguir und Reggane), die den Franzosen nach dem Abzug ihrer Truppen 1965 vertragsgemäß für fünf weitere Jahre zur Verfügung stehen. Auch der für 15 Jahre geltende Pachtvertrag der Marinebasis Mers-el-Kebir ist vielen Algeriern ein Dorn im Auge. Es ist anzunehmen, daß auch dieser Komplex Gesprächsgegenstand zwischen Benbella und de Gaulle gewesen ist.

Würde Paris auf alle diese Revi-

sionswünsche eingehen, so bliebe nach der bereits erfolgten willkürlichen Aushöhlung des Abkommens durch die algerische Regierung — es sei dahingestellt, ob die demagogischen Maßnahmen Benbellas im Bereich der landwirtschaftlichen Enteignung seinem freien Willen entsprachen oder unter dem Druck der Opposition erfolgten — vom Vertragswerk, das unter äußerstem Müheaufwand nach endlosen Diskussionen vor zwei Jahren unterzeichnet wurde, kaum etwas übrig. Frankreich hätte dann nur noch die Verpflichtung der Fortführung seiner massiven Wirtschafts- und Finanzhilfe. Aber vielleicht liegt es

de Gaulle und seiner Regierung auch daran, im gegenwärtigen Entwicklungsstadium wenigstens das Gesicht zu wahren: Die ohnmächtige Duldung von Willkürakten würde durch eine neue vertragliche Sanktionierung der veränderten Tatbestände abgelöst werden. Benbella ist sich jedenfalls dessen bewußt, daß die Konjunktur zur Loslösung von allen lästigen Bindungen des Evian-Vertrages noch niemals so günstig war wie jetzt, da sich der französische General zu einer Reisenserie durch die „dritte Welt“ anschickt. In diesem Zusammenhang entbehrt die Äußerung einer vom Algerien-Korrespondenten der Zeitung „Le Monde“, Jean-Francpis Kahn, zitierten Persönlichkeit der jungen Republik nicht einer gewissen Ironie: „Die große Chance Frankreichs liegt in der Erbringung des Beweises, daß es möglich ist, mit Algerien etwas zu vollbringen, was den Vereinigten Staaten mit Kuba nicht gelungen ist...“

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