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Die Kanonen von Biserta
Wie ist es dazu gekommen, daß .700 Menschen in Biserta plötzlich ihr tLeben verloren haben? . rtns
Der unmittelbare Anlaß zu den blutigen Ereignissen vorige Woche war eine französische Entscheidung, die Arbeiten auf dem Flugplatz innerhalb des Stützpunktes auszudehnen. Hier fielen die ersten Schüsse. Präsident Bourgiba schrieb sofort an de Gaulle und verlangte die Aufnahme von Verhandlungen über Biserta. Als Antwort erhielt er eine kurze Verbalnote, aus der hervorging, daß die französische Regierung niemals Verhandlungen unter Gewaltandrohung aufnehmen würde. Bourgiba faßte das als eine Zurückweisung auf und rief sein Volk auf, den französischen Stützpunkt zu blockieren. Eine identische Situation hat es schon im Jahre 1958 gegeben. Damals war der unmittelbare Anlaß die Panarabische Konferenz und die
Explosion der ersten französischen Atombombe in der Sahara gewesen, gegen welche die arabischen und afrikanischen Nationalstaaten protestiert hatten. Bourgiba, dem man in arabischen Kreisen seine Politik der Versöhnung heftig vorwarf, legitimierte sich mit der damaligen Aktion wegen Biserta aufs neue als „Gegner des Imperialismus”.
Zum Unterschied von damals jedoch wurde diesmal geschossen. Die diplomatischen Beziehungen wurden abgebrochen, es gibt bereits 700 Tote und es besteht keine Gewähr, daß die Anhänger des „heiligen Krieges” in
Tunesien nicht über den ganz und gar nicht kampffreudigen Bourgiba die Oberhand gewinnen und eine Protestaktion zu einer Ausweitung des Krieges in Algerien fuhrt. Eine Hoffnung ist, daß gerade jetzt die Verhandlungen zwischen Frankreich und der algerischen Regierung wieder aufgenommen wurden. Es scheint sogar, daß Bourgiba zu der Aktion von Biserta geschritten ist, um auf diese Verhandlungen einen gewissen Druck von tunesischer Seite auszuüben. Ein Schlüssel hierfür ist in Bourgibas letzter Rede vor der tunesischen Nationalversammlung zu finden, wo er auf kaum verhüllte Weise die Saharapolitik der Algerier angriff. Zum Unterschied von diesen ist Bourgiba der Auffassung, daß alle an der Sahara interessierten Länder ihre Ressourcen vereinigen und hierbei französische Wirtschaftshilfe akzeptieren sollen. Die Algerier bestehen jedoch darauf, als einzige das Recht über die Sahara zu besitzen. Bourgiba scheint den Glauben verloren zu haben, daß de Gaulle sich gegen die Algerier durchsetzen könne. So dürfte er annehmen, daß die neuerlichen Verhandlungen entweder zur Teilung Algeriens führen und daß der Krieg sich weiterschleppen werde oder daß die
Franzosen den Algeriern praktisch in allem nachgeben werden. So schien dies, der letzte Augenblick für ijm, die Forderungen Tunesiens anzumeldbft. Es war kern Zufill, daß e¥ zügleiöh mit der neuen Blockade in Biserta Freiwillige an die algerisch-tunesische Grenze in der Sahara entsandte, um dort den Anspruch Tunesiens auf einen Streifen bisherigen algerischen Territoriums zu fixieren. Dortselbst befindet sich möglicherweise gar kein Erdöl. Aber es geht hier wieder einmal um Symbole. Deretwegen (vorläufig) siebenhundert Menschen in Biserta sterben mußten. Die ganze Vorgangsweise, ja auch noch die Terminologie („uns ist die Geduld gerissen”, „es ist unvereinbar mit unserer nationalen Ehre und unserer Souveränität” usw.), die Art und Weise, wie etwa nach „Freiwilligen” aus anderen Ländern gerufen wird — all das gemahnt an Zeiten, die wir überwunden glaubten, wir, die wir wissen, wie schnell aus solchen „Aktionen” Weltkriege entstehen. Die jungen Nationen Afrikas besitzen diese Erfahrung noch nicht. Um so nötiger ist es, daß die Vereinten Nationen ihnen helfen, sich diese Erfahrungen auf anderen als auf dem Wege der Gewalt zu erwerben.
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