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Erzbischof und Fellaghas

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Am Tag nach den Feierlichkeiten anläßlich der algerischen Unabhängigkeit drangen mehrere hundert muselmanische Algerier in die Kathedrale von Algier ein, die im maurischen Stil erbau ist, mit Glockentürmen in Form von Minaretten, und die mitten im alten arabischen Viertel liegt: in der Kasbah. Ohne zu plündern und ohne jegliche beleidigende Geste zogen diese Moslems (von denen die meisten zu den Feierlichkeiten aus dem Landesinneren gekommen waren und die Kathedrale nicht kannten) voll Neugierde durch das Gebäude. Die meisten glaubten zu Unrecht, es handle sich um eine ehemalige Moschee: In Wirklichkeit ist die Kathedrale lediglich auf den Ruinen einer Moschee erbaut. Ein mohammedanischer Geistlicher stieg auf die Kanzel, um die Rückgabe des Gebäudes an den Islam zu fordern. Aber ein Vertreter der FLN folgte ihm und forderte die Moslems zum sofortigen Verlassen der Örtlichkeit auf: „Alle Religionen“, sagte er ihnen, „müssen respektiert werden.“ Die Menge gehorchte ihm und ging hinaus.

Dieser harmlose Vorfall ist bedeut-lam. Schon unmittelbar nach dem Eintritt der Unabhängigkeit wirft er in der Öffentlichkeit das Problem des Platzes der katholischen Kirche im neuen Algerien auf. Allerdings war diese Frage wohlbekannt, und man weiß sogar, daß die Fanatiker der OAS, als sie während der letzten Monate Bauten zerstörten oder Moslems umbrachten, dies fälschlich für die Verteidigung der „Christenheit“ zu tun vorgaben.

Ein europäischer Katholizismus

Die katholische Kirche in Algerien zerfällt in vier Diözesen: Algier mit 3 50.000 Katholiken (1 auf 10 Moslems), Constantine mit 180.000 Katholiken (l auf 17 Moslems), Oran mit 375.000 Katholiken (1 auf 6 Moslems) und die Diözese der Sahara mit 18.900 Katholiken (1 auf 50 Moslems). Die. Katholiken sind praktisch groß-fells^€urc$ier, dfe^ Algerien Seit kurzer Zeit oder - auch seit '-mehreren Generationen ansässig sind. Hinzu kommen jedoch einige tausend Kabylen berberischer (nichtarabischer) Abstammung, die katholischen Glaubens sind. Katholische Araber sind nicht bekannt.

Man nimmt daher sofort eine dei ersten Konsequenzen der Unabhängigkeit für die Kirche wahr: Was immer geschehen mag, eine große Anzahl dei Europäer, die sich noch nicht abschätzen läßt, die aber in einiger Zeit eine halbe Million erreichen könnte, wird dieses Land verlassen haben, um sich in Frankreich oder in Spanier niederzulassen (in der Diözese Orar $ind ein beträchtlicher Teil der Europaer vor nicht langer Zeit ins Land gekommene Spanier). Die Zahl der Katholiken wird also bedeutend abnehmen.

Für diejenigen aber, die bleiben, und für die Kirche, die in diesem Land wie anderswo für ihre missionarische Gegenwart Sorge tragen muß, stellt sich das Problem des Platzes, den sie in Algerien einnehmen werden. Um diese Frage zu beantworten, muß man zuerst einmal wissen, welchen Platz die neuen Führer Algeriens den Christen und der Kirche werden einräumen wollen. Es gibt hierzu eine gewisse Anzahl von Leitern der FLN verfaßter Texte. In erster Linie das grundlegende Dokument, das „Programm der algerischen Revolution“, das am 20. August 1956 bei einem großen geheimen Kongreß der FLN aufgestellt wurde: „Die algerische Revolution“, erklärt dieser Text, „ist kein Bürgerkrieg oder Religionskrieg. Die Demarkationslinie der Revolution verläuft nicht zwischen den Religionsgemeinschaften, die Algerien bevölkern, sondern zwischen den Anhängern der Freiheit, der Gerechtigkeit, der Menschenwürde einerseits und den Kolonialisten und ihren Helfern anderseits, ungeachtet ihrer Religion oder ihres gesellschaftlichen Standes.“ Prinzipiell steht also dem vollen Bürgerrecht der Christen im algerischen Staat nichts im Wege.

Eine 1961 von der FLN veröffentlichte Broschüre mit dem Titel „Alle sind sie Algerier“ erläutert von neuem die Einstellung der nationalistischen Bewegung zu diesem Punkt: „Der Algerier europäischer Abstammung wird dieselben Rechte und dieselben Pflichten haben wie der eingeborene Algerier ... Die legitimen Besonderheiten und Unterschiede werden anerkannt und respektiert werden. Insbesondere die kulturelle Herkunft, die Freiheit des Gewissens und der Religionsausübung sowie alle individuellen Freiheiten ...“ Und schließlich haben die' algerischen Nationalisten'immer wieder “betont; daß sie ni3it eilten islamischen Staat aufbauen wollten, sondern einen von der mohammedanischen Religion getrennten weltlichen Staat, in dem sämtliche Religionen frei ausgeübt werden könnten. Es besteht kein Zweifel, daß die künftige Verfassung diesen Grundsätzen treu sein wird, um so mehr, als die Abkommen von Evian, an die der neue algerische Staat gebunden ist, sie erneut feierlich bekräftigen: „Algerien garantiert die Gewissensfreiheit und die Freiheit der katholischen, protestantischen und israelitischen Religion.“ Die Abkommen sehen sogar für die katholischen Algerier das Recht vor, ihre eigenen Schulen zu eröffnen.zosischen Kirche schart kritisiert, so glaubte es im März 1958 schreiben zu können: „Die französische Kirche zeigt gewissen Aspekten der Kolonialpolitik Frankreichs gegenüber eine vage Zurückhaltung. Man kann nicht sagen, daß sie sie verdammt.“ Und drei Jahre später, anläßlich der an Moslems verübten Lynchmorde in Oran, schrieb die Presseagentur der FLN, „Algerie-Presse-Service“: „Die Algerier in Oran sind erstaunt über das von den moralischen und religiösen Autoritäten der christlichen Gemeinde sorgsam eingehaltene Schweigen... In Oran wird dieses Stillschweigen als aktive Mittäterschaft der christlichen Kreise (Katholiken und Protestanten) bei den Taten der OAS und der Lynchmörder ausgelegt.“

Soweit die rechtliche Seite. Wie steht es mit den Tatsachen? Das unabhängige Algerien wird wahrscheinlich eine Rückkehr zu den Quellen, zu seiner eigenen Kultur bewerkstelligen wollen, die 132 Jahre Kolonialisation einigermaßen verschüttet haben. Diese Kultur aber ist zutiefst vom Islam geprägt. „El Moudjahid“, die Zeitung der FLN, schrieb am 21. Jänner 1961: „Das algerische Volk als Nation besitzt ihm eigentümliche Kennzeichen, die sich als eine nationale Kultur arabisch-islamischer Form definieren lassen.“ Eine gewisse Rückkehr — zum mindesten äußerlich — zum Islam könnte sich also vollziehen. Es ist auch möglich, daß die politischen Führer in schwierigen Augenblicken versucht sein könnten, die religiösen Empfindungen der muselmanischen Massen als Hebel zu gebrauchen. Und es bleibt eine dornige Frage: die der kleinen Zahl ehemaliger Moscheen, die in Kirchen umgewandelt wurden — ursprünglich oftmals gegen den Willen der örtlichen Geistlichkeit — und auf die der Islam sicherlich Anspruch erheben wird.

Probleme dieser Art lassen sich verhältnismäßig leicht lösen — vielleicht, aber das ist nur eine Mutmaßung, durch den Abschluß eines Konkordats zwischen Algerien und dem Heiligen Stuhl. Ein solches Konkordat wird, wie es scheint, von mehreren Angehörigen der gegenwärtigen algerischen Regierung gewünscht. Diese Fragen werden sich um so leichter lösen lassen, als die katholische Kirche sich von Anbeginn eines gewissen Kapitals an Sympathie in den algerischen nationalistischen Kreisen erfreut. Sie verdankt es der Haltung der französischen und algerischen Bischöfe während der Kriegsjahre — namentlich Msgr. Du-vals, des Erzbischofs von Algier — sowie der Haltung einer gewissen Anzahl Christen in Frankreich und Algerien. Ohne jemals in der politischen Auseinandersetzung Stellung zu nehmen, hat Msgr. Duval den Christen Algeriens immer wieder ins Gedächtnis gerufen, daß sie zuallererst das „Gemeinwohl“ Algeriens anstreben sollten und nicht die Verteidigung ihrer eigenen Interessen, daß sie sich mit der muselmanischen Bevölkerung ver-söhnen, ihr gegenüber eine brüderliche Haltung einnehmen sollten, und schließlich, daß gewisse Kampfmittel moralisch und christlich unzulässig seien. Wie geschrieben wurde, „hat die Haltung Msgr. Duvals die Moslems zu der Ansicht geführt, daß eine algerische Kirche in Algerien vorstellbar sei“.

Man darf sich jedoch über den Umfang des so erworbenen Kapitals an Sympathie keinen Illusionen hingeben. Das Blatt der FLN, „EI Moudjahid“, hat mehrmals die Haltung der fran-

Die muselmanische Bevölkerung Algeriens, die seit acht Jahren so viel gelitten hat, ist allerdings auch sehr empfänglich für die Tatsache gewesen, daß Christen — allerdings nur in recht geringer Zahl — ihnen zur Hilfe gekommen sind. So haben christliche Geistliche und Laien während der schwierigen Monate nach der Feuereinstellung am 19. März 1962, zu einer Zeit, da die muselmanischen Viertel Algiers praktisch im Belagerungszustand lebten, da kein Moslem diese Viertel verlassen konnte, ohne von der OAS umgebracht zu werden, sich an der Organisierung der Verteilung von Lebensmitteln an die ausgehungerte Bevölkerung beteiligt. Andere Organisationen, politische beispielsweise, sind den Algeriern ebenfalls zu verschiedenen Zeiten zu Hilfe gekommen. Aber die Algerier sind sehr empfänglich für die Tatsache, daß die Hilfe der Christen uneigennütziger schien.

Die Stellung der Kirche hängt ebensosehr von ihrer künftigen wie von ihrer vergangenen Haltung ab. Sie hängt davon ab, was die Christen aus ihr machen wollen. Was wollen diese Christen? Wir haben im vorangehenden viel über die Haltung gewisser Laien gesprochen, die den muselmanischen Algeriern nahestanden. Man darf aber nicht vergessen, daß diese Laien nur eine sehr kleine Minderheit darstellten. Die meisten Katholiken Algeriens nahmen mangels eines wohlbegründeten Glaubens und einer vertieften religiösen Bildung — da es in Algerien an Priestern mangelte — nicht dieselbe Haltung ein. Für sie : schienen das Kreuz Christi und die französische Fahne, die über Algerien wehte, untrennbar verbunden. „In den Ländern, die Frankreich aufgibt“, sag-• ten sie, „weicht die Kirche jeden Tag weiter zurück.“ Viele gelangten : schließlich dahin, die Verbundenheil mit ihrem französischen Vaterland und den christlichen Glauben zu ver wechseln. Sie weigerten sich, auf die i Appelle ihres Erzbischofs Msgr. Duval zu hören. Nicht selten riefen seine i Hirtenbriefe in gewissen Kirchen feind-: selige Demonstrationen hervor; manche Gläubige gefielen sich darin, ihrer Erzbischof „Mohammed Duval“ zu nennen,, womit sie zeigen wollten, daß , sie ihn als Muselmanen und nicht als Katholiken betrachteten. Sie ignorierten absichtlich die zustimmenden Telegramme, die Msgr. Duval von Papst Johannes XXIII. geschickt wurden. Und die wenigen von uns erwähnten Christen, die den Moslems gegenüber eine brüderliche Haltung einnehmen wollten, wurden aus diesem Grund manches Mal von den übrigen verdächtigt, mit den algerischen Nationalisten in geheimem Einvernehmen zu stehen. Manche wurden bedroht und mußten das Land verlassen; manche wurden ermordet. Diese Masse von Katholiken, die sich in dieser Weis getäuscht hatte, geht heute zwei verschiedene Wege. Die einen haben Algerien verlassen, um nach Frankreich oder Spanien zu gehen. Dianderen, diejenigen, die bleiben, werden ihre Mentalität vollständig revidieren müssen, wenn sie voll an den neuen Aufgaben teilnehmen wollen, die sich der Kirche in Algerien künftig stellen.

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