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Balance der Ohnmacht

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jQ. md^tiws •quiBsl iniL' tu,, ,411$ Das neue Jahr hat in Frankreich schlecht angefangen. Die vielfältigen Putschgerüchte sind ein Maßstab der allgemeinen Nervosität; der tendenziöse Optimismus der Regierung verrät nicht viel mehr als die Unsicherheit der politischen Planung. Das Barometer der Prognosen für die Geheimverhandlungen mit dem FLN schwankt hektisch: Nie lag das Ende des algerischen Krieges in dichterem Nebel als heute. Frankreich aber blickt nach Algerien und wartet — teils auf ein Wunder, teils auf einen neuen Putsch.

Der politische Wirrwarr in Algerien ist total, aber er garantiert ein merkwürdiges und zugleich tragisches Gleichgewicht — weniger ein „Gleichgewicht der Kräfte“ freilich als ein Gleichgewicht der Machtlosigkeit und ihrer Schrecken. Sieben Jahre Algerienkrieg haben gezeigt, daß Paris auf militärischem Weg keine politische Lösung nach seinem uneingeschränkten Gutdünken durchsetzen kann. Sie haben aber gleichzeitig offenkundig werden lassen, daß sich die algerische Rebellion ohne französische Hilfe nicht staatsbildend konstituieren kann. Und in die Kluft der Ohnmacht haben sich mit ihrer reaktionären Hysterie die europäischen Siedler eingenistet, deren Terror nicht wenig wirksam ist.

Wer verbündet sich mit wem?

Drei Gruppen stehen sich heute also mit gezogenen Waffen gegenüber. Jede scheint stark genug, eine Entwicklung zu verhindern, die sie für unannehmbar hält, aber dennoch zu schwach, gegen die anderen ihren Willen durchzusetzen.

Daß der Kampf aller gegen alle in eine Sackgasse führt, beweist die gegenwärtige Situation. Aber ist es auch unbedingt richtig, daß die Koalition zweier Partner gegen den dritten in jedem Falle scheitern muß? Eine letzte Chance für Algerien müßte zweifellos in einer derartigen Konstellation liegen — wenigstens in der Theorie.

Unter den drei denkbaren Möglichkeiten ist das Zusammenwirken von OAS und muselmanischer Bevölkerung die unwahrscheinlichste. Zwar war es bis vor relativ kurzer Zeit ein Lieblingsziel der von Mao Tse-tung inspirierten französischen Berufsoffiziere, das Salz der algerischen Erde zu werden. Und tatsächlich hat die OAS bis heute nie zu bestreiten verfehlt, daß der FLN für die muselmanische Bevölkerung repräsentativ sei; sie hat stets auf die Sympathien hingewiesen, die Frankreich und insbesondere die Armee unter den Arabern genössen. Dieser Gedanke ist übrigens auch nie ganz aus der Argumentation der französischen Regierung verschwunden. Die blutigen Zusammenstöße zwischen Europäern und Muselmanen in Algier und Oran stellen jedoch heute selbst das Zusammenleben der beiden Gemeinschaften in Frage und führen fortschreitend sogar zu einer Art Segregation. Außerdem erkennen die algerischen Nationalisten in der OAS den kolonialistischen Erzfeind, mit dem zu paktieren außer Betracht steht.

Diese Erzfeindschaft sichert Paris heute eine starke Verhandlungsposition, denn ihm bleibt die Wahl zwi-

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