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„Carlos“ im Pfarrhof

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Das Asylrecht gehörte seit dem frühen Mittelalter zu den sorgsam gehüteten Privilegien der Kirchen und Klöster in Mittel-und Westeuropa. Selbst in unseren Tagen zögern die Behörden, ehe sie in kirchliche Gebäude eindringen, um dort politische Rädelsführer oder nach dem Strafgesetz Verdächtige aufzustöbern. Im Frankreich der V. Republik wurden nun immer häufiger Gotteshäuser dazu verwendet, um Hungerstreikenden aller Schattierungen eine Zufluchtsstätte zu gewähren.

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Das Asylrecht gehörte seit dem frühen Mittelalter zu den sorgsam gehüteten Privilegien der Kirchen und Klöster in Mittel-und Westeuropa. Selbst in unseren Tagen zögern die Behörden, ehe sie in kirchliche Gebäude eindringen, um dort politische Rädelsführer oder nach dem Strafgesetz Verdächtige aufzustöbern. Im Frankreich der V. Republik wurden nun immer häufiger Gotteshäuser dazu verwendet, um Hungerstreikenden aller Schattierungen eine Zufluchtsstätte zu gewähren.

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Es steht noch immer nicht aktenkundig fest, wie viele verfolgte Juden während der Kriegsjahre dank der Unterstützung katholischer und evangelischer Geistlicher ihr Leben retten konnten. Um nur ein Beispiel zu nennen, wurde 1941 in Lyon vom Jesuiten Chaillet, dem späteren Botschafter Soutaou und dem bekannten Publizisten Joseph Rovan eine vorzüglich funktionierende Organisation aufgebaut, die Juden mit falschen Identitätspapieren ausstattete, ihnen einen Weg von Dorfkirche au Dorfkirche, von Kloster zu Kloster schuf, um sie schließlich auf verschlungenen Pfaden über die Grenze nach Spanien zu schleusen. Ähnliche Einrichtungen gab es natürlich auch für die Mitglieder der französischen Widerstandsbewegung und für alliierte Fallschirmjäger, die oft auf die raffinierteste Weise Wochen und Monate lang versteckt wurden. Nach der Terminologie der Behörden von Viohy und der Besatzungsarmee handelte es sich, bei den Widerstandskämpfern um „gemeine Terroristen“. Während des algerischen Krieges fanden es zahlreiche Katholiken durchaus in Ordnung, arabischen Fellachen im Mutterland Unterstützung zu gewähren, sie zu verbergen und ihnen mit Geld und falschen Papieren auszuhelfen. Das“ bekannteste Unternehmen dieser Art lief für die später berühmt gewordene Organisation „Jeanson“. Nun kann allerdings nicht bestritten werden, daß die Kämpfer der algerischen FLM einen subversiven Krieg entfesselt hatten, der zumindest auf französischem Boden fast ausschließlich mit Bombenattentaten geführt wurde.

Seit zehn Jähren hat nun die Methode, politische Ziele -durch Attentate au unterstützen, einen unheimlichen Umfang angenommen. Um hier wieder das Beispiel Frankreichs anzuführen, verzeichneten die Sicherheitskräfte seit einem Jahr 500 Terroranschläge, die Geiselnahmen nicht eingerechnet.

Wie schon seinerzeit die Männer der FLN, verfügen auch die Terroristen unserer Tage über die verschiedensten Formen von Einverständnis und Komplizität, die teilweise aus einer naiven Gesinnung resultieren oder bewußt revolutionäre Ziele in den Mittelpunkt des Denkens und Handelns stellen. Auch jetzt wurde wieder offenkundig, daß Christen, die als aktive Mitglieder ihrer Kirchen bekannt sind, aber auch Ordens- und Weltgeistliche und evangelische Pastoren sich dazu hergaben, die Freunde und Genossen des berüchtigten „Carlos“ aktiv au unterstützen.

Vor kurzem wurden in dem der politischen Mitte zuzuzählenden Nachrichtenmagazin ,yle point“ Enthüllungen publiziert, die sowohl im In- wie im Ausland zu lebhaften Kommentaren und Überlegungen Stoff boten. Wenn auch die Schlußfolgerungen des Berichtes phantastisch klingen und au Skepsis Anlaß geben, bleibt doch manche Tatsache bestehen, die, in die richtigen Zusammenhänge gebracht, Überraschung und Sorge bereitet. Es ist bekannt, daß die Jugendorganisationen der Katholischen Aktion im wesentlichen in das linke Fahrwasser eingeschwenkt sind. Nachdem =ie zeitweise der Splitterpartei PSU angehörten, sammeln sie sich jetzt in den Reihen der Partei Mitterrands. Einige wenige wanderten zu den Kommunisten ab, aber es gibt auch solche unter ihnen, die sich der Extremen Linken, den Trotzkisten und Maoisten, angeschlossen haben. Wie viele 'dieser jungen Leute glauben in ihrer naiven Begeisterung, man könne das „verfaulende kapitalistisch-liberale System“ nur durch die Anwendung radikaler

Kampf maßnahmen zum endgültigen Einsturz bringen? Bei dem einen oder dem anderen spielte die Überlegung eine Rolle, man müsse den verfolgten Brüdern helfen und die Aufgabe der Zeit erkennen, den noch in: der' ' Sklaverei des Neokolonialismus befindlichen Nationen der dritten und der vierten Welt zu Hilfe zu kommen. Wenn nicht alles täuscht, gibt es sogar so etwas. wie eine Theologie der Revolution, und mancher Pariser Jugendliche aus guter Familie sieht sich bereits als Guerillakämpfer in Bolivien oder Guatemala. Bei manchem jüngeren Geistlichen spielt wieder die Überlegung eine Rolle, man müsse politischen Flüchtlingen helfen und die heute als Terroristen Verschrieenen — siehe Widerstandskämpfer und (algerische FLN — seien vielleicht morgen schon die Helden eines edlen nationalen Befreiungskampfes.

Aber kommen wir noch einmal auf das zurück, was „le point“ zu erzählen weiß und was sogar durch eigenes Wissen untermauert weiden kann. Da gibt es in Paris eine Organisation, die sich „Solidarität“ nennt und sich zum Ziele gesetzt hat, alle jene politischen Gruppen zu

unterstützen, die für die Befreiung der unterentwickelten Länder kämpfen. Es handelt sich dabei um eine ganz erkleckliche Anzahl von Bewegungen, meistens in Afrika und Südamerika. Die Versammlungen dieser Organisation finden in einem bekannten Pariser Dominikanerkloster und am Sitz der „Mission de France“ statt, welche die Oberaufsicht über die „Arbeiterpriester“ führt. Aber auch ein Büro der französischen evangelischen Kirche nimmt aktiv an den Arbeiten der „Solidarität“ teil. Hier werden Fremdarbeiter unterstützt, ausländische Jugendliche beherbergt und es gehört zum guten Ton, weder nach Identität noch nach den Absichten zu forschen. Selbstverständlich finden, dank der „Solidarität“, politische Aussprachen statt, bei denen Jene Teilnehmer ausgeforscht werden, die bereit zu sein scheinen,

aktiver vorzugehen und Verpflichtungen zu übernehmen. Jedes Jahr wird ein Kongreß im Halbdunkel abgehalten. Die meisten der Tagungsteilnehmer werden vorerst im unklaren darüber gehalten, wo eigentlich die Zusammenkunft stattfinden soll. Dort, an Ort und Stelle, werden dann jene Elemente ausgesondert, die bereit sind, es nicht bei Parolen zu belassen. Eins sei jedoch, um jedes Mißverständnis auszuschalten, festgehalten. Die Mitglieder dieser Organisation beteiligen sich im allgemeinen nicht an Terroraktionen, wie sie von den Palästinensern oder japanischen Banden, beziehungsweise von den Mitgliedern 'der Baader-Meinhofgruppe auf französischem Territorium durchgeführt wurden. Sie bieten lediglich den verfolgten Gesinnungsgenossen und Freunden Unterschlupf, helfen ihnen weiter und erfüllen eine ähnliche Funktion wie dies während des

Krieges der Fall war, wenn man Mitgliedern der Resistance half.

Als die eigentliche Seele dieser Gruppe wird ein Ägypter namens Curiel genannt, dessen undurchsichtiger Lebenslauf aussagt, daß er sowohl mit kommunistischen Parteien, wie auch mit extremen Linkskreisen in engem Kontakt stand. Schwer zu überprüfen ist die Vermutung, daß er sich zugunsten östlicher Geheimdienste mit diplomatischer Spionage beschäftigt habe. Sicher -ist, daß er seit seiner Niederlassung in Paris als bekannter Vorkämpfer aller antikolonialen Bestrebungen gilt. Nach allen vorhandenen Unterlagen war der mysteriöse Ägypter nie direkt an einem Attentat in Frankreich oder Europa beteiligt. Glaubt man dem Verfasser der Studie, so zielt Curiels Wirksamkeit darauf hin, sich möglichst genau über die Aktivität der

verschiedenen Terrorgruppen zu informieren. Zugunsten welches Geheimdienstes? Hier kann man der Phantasie freien Lauf lassen. Die Geistlichen und Pastoren, die von „le point“ namentlich genannt werden, bestreiten die ihnen vorgeworfenen Tatbestände auf das Entschiedenste. Es handelt sich nach ihrer Darstellung um eine politische Aktion, dazu bestimmt, das endgültige Abwandern weiterer Teile des französischen Katholizismus in das linke Lager zu stoppen. Trotzdem scheint es angebracht zu sein, eine strenge Scheidung zwischen christlicher Nächstenliebe und aktiver Unterstützung von Gewalttätern vorzunehmen, die sinnlos zuschlagen, der Zerstörung wegen zerstören und das an sich begrüßenswerte Programm zur Emanzipation der dritten Welt mit unzähligen Schandtaten beflecken.

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