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Action Francaise ist nicht tot

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Als der Verfasser kurz vor dem zweiten Weltkrieg den Herausgeber der demokratisch orientierten Tageszeitung „L'Aube“, Francisque Gay, fragte, ob sein Organ im Gegensatz zur konservativen Zeitung „La Croix“ einen fortschrittlichen Linkskatholizismus verkörpere, sagte der spätere Staatsminister mit Vehemenz: „Es gibt weder in Frankreich noch sonst irgendwo in der Welt .Links- oder Rechtskatholizismus'; es gibt nur einen Katholizismus, der freilich Abweichtendenzen nicht verhindern kann. Die Häretiker, stellen sich aber außerhalb der Sirene. Weder wir noch ,La Croix' sind Abtrünnige, und die ,Action Frangaise' ist seit 1926 ausgeschlossen.“

Heute, mehr als ein Vierteljahr-hundert nach diesem Gespräch, ist der Geist der „Action Francaise“ in Frankreich noch immer nicht begraben. Die modernen „Ultras“, die jetzt zu seinen Trägern zählen, denken weniger daran, Straßenkrawalle und Prügeleien mit Andersdenkenden zu organisieren, sondern versuchen über die von ihnen angewandten Radaumethoden radikaler Opponenten hinaus so etwas wie eine Rettung der alten „Tradition“ angesichts der in ihren Augen unweigerlich zum Kommunismus und zum Ohaos führenden Tendenzen des „Modernismus“ und des im Konzil zutage getretenen Reformgeistes der Kirche durchzuführen.

Noch vor einem Jahr schienen die Auseinandersetzungen zwischen der überragenden katholischen Mehrheit und einem verschwindend geringen Sektor der „Algerie francaise“ und poujadistischer Überreste wenig Bedeutung zu haben. Spannungen hat es im französischen Katholizismus zu allen Zeiten gegeben: Es entspricht dem Temperament des Volkes, Streitfragen echter oder vermeintlicher Natur möglichst heftig in der Öffentlichkeit auszutragen und sich doktrinären Bindungen, soweit sie sich mit gewissen nationalistischen

Vorstellungen und Zielsetzungen nicht zu vereinbaren scheinen, auf eigenwillige Weise zu widersetzen.

In den letzten Jahren hat die Enttäuschung über die Preisgabe Algeriens bei einem Teil der unmittelbar Betroffenen — vor allem nach der Niederwerfung des OAS-Aufstandes — einen regelrechten Komplex ausgelöst, dessen Auswirkungen vielfach einen verhängnisvollen Charakter hatten. Sie sahen

in allen Vertretern des öffentlichen Lebens, deren Vorstellungen und Ziele ihrem eigenen Weltbild entgegenstanden, Feinde. Verräter und Agenten des Kommunismus. Die Tatsache, daß sich der Erzbischof von Algier, Monsignore Leon-Etienne Duval, gegen den OAS-Terror wandte und für die Unabhängigkeit Algeriens eintrat, stempelte ihn in den Augen nicht weniger Pieds-noirs zu einem „unversöhnlichen Verräter an der französischen Sache“. Der kollektive Komplex richtete sich gegen den französischen Episkopat schlechthin, wobei man in der Polemik vielfach eine Kluft zwischen dem Heiligen Stuhl und der hohen französischen Geistlichkeit konstruierte. Papst Paul VI. hat auf diese Verirrung durch eine unmißverständliche Geste reagiert: Erzbischof Duval wurde im Februar der Kardinalshut verliehen. Es bleibt nun abzuwarten, wie sich dieser demonstrative Akt der höchsten kirchlichen Autorität auswirkt. Doch ist zu vermuten, daß am Ende dieser Entwicklung wirklich gläubige Katholiken des Landes aus der Geste des Heiligen Vaters die einzig mögliche Folgerung ziehen, zumal der Papst kürzlich dem neuen Kardinal von Lyon, Vülot, eine für die Veröffentlichung autorisierte Erklärung abgab: Er sei mit den französischen Bischöfen solidarisch, und niemand könne die Ansicht vertreten — weder Gläubige noch Priester —, sie seien mit dem Papst, wenn sie gegen die Bischöfe seien.Fachkreisen wird angenommen, daß diese rechtsoppositionelle katholische Presse insgesamt nur ein Prozent der Gesamtauflage der großen katholischen Publikationen aufzuweisen hat, die zum großen Teil — wie beispielsweise „Temoignage Ohretien“ — ihre Wurzeln im aktiven Widerstandskampf gegen die deutsche Besatzung hatte und heute in der Tendenz durchweg den sozialen Katholizismus repräsentiert.

Die oppositionelle Minderheit kann sich wegen ihrer geringen Mittel, aber auch mangels Organisation und Koordination und schließlich angesichts des Fehlens maßgebender Theologen auf ihrer Seite auf normale Weise nur schwer Gehör verschaffen. Also entschloß sie sich, zum bewährten Mittel des Terrors, des stimmlauten Protests, des Sprengens religiöser Versammlungen Zuflucht zu nehmen. Die „Protestaktionen“ begannen im Februar 1964. Ihre Träger waren in erster Linie die „Fatima-France“Bewegung, deren Leiter und Inspirator der exkommunizierte Abbe Boyer ist, und andere Gruppen, die mehr oder weniger mit Fatima liiert sind — wie etwa „Promotion du haicat“. Obwohl sich die Auflehnung in Wirklichkeit gegen den im Konzil zum Ausdruck gebrachten reformistischen Geist der Kirche richtete, wurde im Anfangsstadium der Aktion noch vermieden, den Episkopat frontal anzugreifen, obwohl man den Kardinälen und Bischöfen Frankreichs in Handzetteln, die vor den Kirchenportalen verteilt wurden, „stillschweigende oder eingestandene Komplizität“ vorwarf. Das eigentliche Opfer der konzentrierten Angriffe waren die große katholische Presse Frankreichs und einige ihrer maßgebenden Repräsentanten. Unter ihnen wiederum die beiden Direktoren der Halbmonatszeitschrift „In-formations Catholiques Internationales“ (Auflage 50.000) Hourdin und Dubois-Dumee. Bei mehreren Gelegenheiten — „Notre-Dame-de-Gräce“ (Paris), „Notre-Dame-de-Liesse“ (Aisne-Departement), Studientage der ICI (Lyon), Salle Pleyel (Paris) — wurden die beiden Redner durch Geschrei wie „Kommunisten!“ oder „Moskau!“ oder durch lautes Beten des Rosenkranzes daran gehindert, das Wort zu ergreifen.

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