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Die neuen Inquisitoren?

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Wir haben in unserem Artikel „Action Franchise ist nicht tot“ („Die Furche“ Nr. 13127, März 1965) die inneren Spannungen des gegenwärtigen .französischen Katholizismus -geschildert und am Schluß der Betrachtung auf einige literarische Erscheinungen hingewiesen, die durch ihren polemischen Charakter gegenüber kirchlichen Neuerungen nicht geringes Aufsehen in der Öffentlichkeit ausgelöst haben. Einige der im vergangenen Jahr erschienenen Bücher — wir nannten vor allem Michel de Saint Pierre: „Les Nou-veaux Pretres“; Roger Besus: „Paris — Le Monde“ und Alexis Curvers: „Pie XII, le pape outrage“ — bleiben weiter in der Diskussion und beeinflussen einen Teil der französischen Presse, die mit unvermindertem Wortschwall gegen Neuerungstendenzen der Kirche ankämpft.

Es scheint uns angezeigt, das Wesen dieser literarischen Polemik etwas näher zu definieren, weil sie von den Kirchenautoritäten des Landes keineswegs auf die leichteSchulter genommen wird und ihrerseits wiederholt angeprangert wurde. Zuletzt hat Kardinal Maurice Feltin, Erzbischof von Paris mit Pierre Veuillot, Erzbischof-Koadjutor von Paris, in einer öffentlichen Erklärung Stellung genommen. „Leider müssen wir feststellen“, heißt es darin, „daß ungeachtet aller Aufrufe bestimmte Pariser Veröffentlichungen, die sich den Anschein geben, den Interessen der Kirche dienen zu wollen, nicht aufhören, Verleumdungen über christliche Priester zu verbreiten... Als Bischöfe und Priester aller können wir derartige Agitationen nicht tolerieren und müssen ihnen mit einem feierlichen und entschiedenen Protest entgegentreten ... Bücher und Zeitschriften maßen sich das Recht an, in der Frage des Priestertums, ja sogar auf dem Gebiet der Doktrin Urteile und Direktiven auszusprechen, die Priester und Laien beeindrucken könnten. Solche Veröffentlichungen gehen sogar so weit, die Konzilsreformen systematisch zu kritisieren. Dadurch verursachen sie eine Verwirrung der Geister. Wir sind verpflichtet, den

Verfassern derartiger Stellen oder Artikel jede Autorität, die Orientierung des Denkens oder der Aktion zu beurteilen, öffentlich abzusprechen ...“

Das Eingreifen hoher Kirchenautoritäten beweist, daß man an maßgebender Stelle den Charakter der Gefahr nicht unterschätzt: Die Publikationen reflektieren nicht allein den Unmut enttäuschter Einzelgänger, sondern eine in verschiedenen europäischen Ländern zu beobachtende Meinungsströmung. Sie wird in Spanien durch „El Espanol“, in Italien durch „Borghese“ und in Frankreich vor allem durch die periodischen Erscheinungen „La Nation frangaise“, „Le Monde et la Vie“, „Rivarol“ und „La Pensee Catho-lique“ vertreten.Vorwürfe gegen Papst Johannes

„Warum hat sich die Kirche mit dem Materialismus, Naturalismus und Atheismus eingelassen — mit diesen am meisten elementaren, egoistischen und irdischen Faktoren im Menschen?“ klagt Roger Besus in seinem Buch „Paris — Le Monde“. Und der Belgier Alexis Curvers beschuldigt die Kirche, sie habe sich der Welt, den Zeitströmungen hingegeben. „Man sagt uns“, schreibt er in „Pie XII, le pape outrage“, „daß es für die Religion notwendig gewesen sei, sich der beweglichen Welt anzupassen. Aber es ist doch gerade die Aufgabe der Religion, das Bewegliche dem Unbeweglichen (Ewigen) zu unterwerfen ...“

Ganz allgemein kann von den Polemikern — gleichgültig, ob sie sich einer direkten oder verschwommenen Ausdrucksweise bedienen — gesagt werden, daß sie Pius XII. gegen Johannes XXIII. auszuspielen versuchen: Während der von Hoch-huth beleidigte Papst bis zu seinem Tode das Christentum und Europa gegen kommunistische Anstürme und Infiltrationen verteidigt habe, seien dem Kommunismus von Johannes XXIII. die Tore weit geöffnet worden. Die Tatsache, daß Chruschtschows Schwiegersohn eine päpstliche Audienz gewährt wurde, wird von ihnen als symbolhaft gewertet. Curvers kann es Johannes XXIII. nicht verzeihen, daß er „die Christen der Ukraine und Algeriens fallen gelassen“ habe.

Der Inhalt der „Neuen Priester“ ist schnell wiedergegeben: In einer Vorstadtpfarre von Paris ermächtigt ein alter müder, aber von besten Absichten geleiteter Pfarrer mit Einwilligung des Episkopats seine zwei Vikare — fortschrittliche Christen —, die neuen Methoden anzuwenden. Sie bestehen darin, nicht mehr zu predigen, so wenig wie möglich von Gott zu reden, den Kult der Heiligen und der Gottesmutter fallenzulassen, im revolutionären Gewerkschaftswesen eine militante Rolle zu spielen, der kommunistischen Gemeindeverwaltung zu dienen und den religiösen Akt vornehmlich durch manuelle Arbeit zu ersetzen. Den beiden marxistischen Priestern steht ein junger Vikar gegenüber, der keine andere priesterliche Aufgabe als die Predigt der Liebe Gottes und des sakramentalen Lebens gelten lassen will. Der Konflikt endet damit, daß der den Neuerungen abholde Vikar den Sieg davonträgt. Es gelingt ihm, den alten Priester und dieser den Bischof zu überzeugen, daß die neuen Methoden einen schädlichen und zersetzenden Charakter haben. Einer der beiden desavouierten Priester sucht Zuflucht bei einer Frau, die er zu einer „Heiligen ohne Gott“ gemacht hat, während der andere isoliert in seiner sterilen Reformleidenschaft freudlos, ohne Liebe und Demut, dahinvegetiert.

Das Buch ist kein Roman, sondern ein zur Karikatur verzerrtes polemisches Plädoyer, in dem sich der Verfasser selbst unbewußt dadurch erniedrigt, daß er seine Gegner herabzerrt. Es geht Michel de Saint Pierre nicht allein um das Methodische, um spirituelle Konzeptionen, um die Gefahr der Verweltlichung der Kirche, sondern auch — und vielleicht sogar: vor allem — um politische Belange. Welche andere Deutung könnte man zwei Stellen seines Buches geben, worin die beiden progressistischen Priester die folgenden Ausführungen machen: „Wer ist es, der zu uns kommt?“ fragt der erste Abbe, „Bigotte, Honoratioren, Kaufleute, pensionierte Offiziere, Intellektuelle und was weiß ich noch: Industrielle, Unternehmer ... Ich habe ihnen nichts zu sagen. Sie sind unheilbar. In den meisten Fällen sind es Leute, die den Rechtsparteien angehören — borniert, hartköpfig und konservativ“. Und sein Partner ergänzt: „Ich habe keine Lust, mich mit alten Weibern mit Hüten, mit Fräuleins, die Seelen-zustände haben, mit Bürgern und Obersten abzugeben! Ich möchte mich um die Ärmsten, Kränksten und Dümmsten kümmern.“

Der Chefredakteur der im Buch „Die neuen Priester“ fast namentlich angegriffenen und verleumdeten Zeitschrift „Informations Catholique Internationales“, Jose de Broucker, hat in einer ausführlichen Erwiderung an Michel de Saint Pierre und seinesgleichen festgestellt: „Es ist nicht wahr, daß die Reform der Liturgie gegen oder auch nur ohne das christliche Volk beschlossen wurde. Das Gleiche gilt von der Katholischen Aktion, der Arbeitermission, dem ökumenischen Gespräch, der katholischen Presse und der Öffnung gegenüber der Welt. Es ist nicht wahr, daß das christliche Volk oder die NichtChristen im Bereich des spirituellen Bedarfs und der Heilsbotschaft zu kurz kommen. Ja, man kann vielleicht sagen, daß die Kirche seit langem niemals in allen ihren Akten mehr und hörbarer von Gott gesprochen hat.“

Unter normalen Voraussetzungen wäre das Buch „Die neuen Priester“ niemals zu einem „Bestseller“ geworden und weder die Publikation von Roger Besus noch die von Alexis Curvers hätten eine öffentliche Beachtung gefunden. Insbesondere in Kreisen gläubiger Katholiken wären literarische Erzeugnisse instinktiv abgelehnt worden, die es ganz offensichtlich an Demut und Nächstenliebe fehlen lassen. Ihr starkes Echo in Frankreich ist allein mit der Tatsache zu erklären, daß sich viele vom Innern der Kirche ausgeschlossen fühlen und sich den neuen Konzeptionen, neuen Formen, einer veränderten Sprache nicht anzupassen vermögen. Diese Unruhe teilen sie jedoch auch Katholiken anderer Länder mit, die sich nur schwer von liebgewordenen Gewohnheiten zu trennen vermögen. Papst Paul VI. hat erst kürzlich in einer Ansprache festgestellt, daß es vielleicht noch Jahre dauern werde, bis die neue Form des Gebets von den Gläubigen verstanden werde. Vielleicht ist es schließlich noch zweckvoll, den „neuen Inquisitoren“, die gegen das Eindringen der Kirche in die Welt Sturm laufen, vorzuhalten, daß die große Sorge des christlichen Gewissens — die Ent-spiritualisierung der modernen Gesellschaft — ursprünglich ihre Wurzeln nicht zuletzt im bürgerlichen Materialismus hatte. Pierre-Henri Simon erinnert daran, daß eine gewisse Form der an die bürgerliche Pfarre angelehnten Devotion diese bedauerliche Entwicklung nicht zu verhindern vermochte.

Allen „Inquisitoren“ ist die Tendenzabsicht gemein, an einer Fülle von Beispielen die kritische Lage eines von der Kirche verratenen und verlassenen Christentums zu demonstrieren. Aber da ihre Voreingenommenheit — wie dies vor allem bei dem bekanntesten unter den polemischen Bucherscheinungen, dem Roman von Michel de Saint Pierre „Les Nouveaux Pretres“ („Die neuen Priester“) der Fall ist — an kalten Haß grenzt, erweisen sie sich natürlich einer ernsthaften

Auseinandersetzung nicht fähig. Sie ironisieren und karikieren, sie gefallen sich in der Verallgemeinerung von Einzelfällen, die den Anspruch schlüssiger Beweise erheben, und scheinen gar nicht zu spüren, daß das Pamphlet über sie Gewalt gewonnen hat.

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