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Ohne Know-how geht nichts

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Algerien feierte im vergangenen Jahr den zehnten Jahrestag seiner Revolution. 1965 kam nach einem unblutigen Militärputsch Oberst Boumedienne an die Macht, der ein Regime volksdemokratischer Art einführte. Heute, elf Jahre später, ist Algerien für den politischen Beobachter aus zwei Gründen von Interesse: Außenpolitisch ist das Land eine führende Nation der Länder der Dritten Welt, innenpolitisch wird in dem Land seit nunmehr zehn Jahren der Kurs einer Volksdemokratie arabischer Prägung verfolgt. Diese beiden innen- und außenpolitischen Tatsachen machen das Land und seine Politik beachtenswert.

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Algerien feierte im vergangenen Jahr den zehnten Jahrestag seiner Revolution. 1965 kam nach einem unblutigen Militärputsch Oberst Boumedienne an die Macht, der ein Regime volksdemokratischer Art einführte. Heute, elf Jahre später, ist Algerien für den politischen Beobachter aus zwei Gründen von Interesse: Außenpolitisch ist das Land eine führende Nation der Länder der Dritten Welt, innenpolitisch wird in dem Land seit nunmehr zehn Jahren der Kurs einer Volksdemokratie arabischer Prägung verfolgt. Diese beiden innen- und außenpolitischen Tatsachen machen das Land und seine Politik beachtenswert.

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Die Dritte Welt, in den sechziger Jahren von Jugoslawien, Ägypten und Indien angeführt, wird heute am lautstärksten von Algerien vertreten. Innenpolitische Schwierigkeiten wie in Jugoslawien und Indien, außenpolitische Entwicklungen wie in Ägypten und das starke persönliche Engagement des algerischen Außenministers Bouteflika haben die algerische Führungsrolle ermöglicht. Algerien trug maßgeblich dazu bei, daß die Dritte Welt zu einer Welt der Entwicklungsländer wurde und daß aus dem Gegensatz der Dritten Welt zu Ost und West ein Gegensatz zwischen Nord und Süd wurde, also der Konflikt zwischen den Industrieländern und den Entwicklungsländern. Algerien hat es als Wortführer der Entwicklungsländer verstanden, die Wünsche dieser Länder zumindest auf einen kleinsten gemeinsamen Nenner zu bringen und zu vertreten. So bei den Vorgesprächen zu der gescheiterten Pariser Energie-Gipfelkonferenz, als Algerien darauf bestand, als Gesprächsthemen nicht nur Energie, also insbesondere Erdöl, sondern den gesamten Komplex der von den Entwicklungsländern angebotenen Naturprodukte zu behandeln, — der von Kakao bis zu Uran reicht. Diese Haltung Algeriens wurde in den westlichen Massenmedien vielfach als pure Halsstarrigkeit abgetan, an der die Energiekonferenz scheiterte. Algerien gelang es damit jedoch, seine Führungsrolle in den Entwicklungsländern auszubauen und einen Bruch zwischen den reichen und den armen Entwicklungsländern zu verhindern.

Algerien ist nicht nur historisch eine junge Nation, sondern auch demographisch. Nahezu 60 Prozent aller Algerier sind jünger als 19 Jahre. Größte Erfolge wurden im Erzie-hungs- und Bildungswesen bereits erreicht. Innerhalb von zehn Jahren gelang es, die Rate der Analphabeten von nahezu 80 Prozent auf zirka 20 Prozent zu senken. Trotzdem macht sich der Mangel an gebildeten Fachkräften, insbesondere auch an Ingenieuren mit Mittelschulausfoil-dumg, bemerkbar. Anderseits' steht ein großes Reservoir von ungelernten Arbeitskräften zur Verfügung. Nach zuverlässigen Schätzungen sind mehr als eine Million Algerier arbeitslos und weitere 1,5 Millionen der arbeitsfähigen Bevölkerung kraß unterbe-schäftigt. Das Land benötigt daher vor allem die Hilfe von technischen Know-How-Personal. So beschäftigt das modernste und größte Stahlwerk in der Nähe von Annaba Fachkräfte aus 46 Nationen!!

Durch den Mangel an Fachkräften ist die Führung auch dazu übergegangen, vom Ausland nicht nur fertige Industrie-Anlagen zu kaufen, sondern vom jeweiligen Geschäftspartner auch zu verlangen, daß die Funktionsfähigkeit der Industrieanlage während einer bestimmten Anfangszeit garantiert werde. Damit wird der ausländische Geschäftspartner direkt verpflichtet, auch die Schulung des Personals zu übernehmen.

Über Produktivität und Effektivität der algerischen Wirtschaft liegen keine zuverlässigen Zahlen vor. Vom ausländischen Beobachter sei jedoch festgestellt, daß man bei einer Fahrt über Land gefühlsmäßig den Eindruck bekommt, daß zu der dem arabischen Menschen angeborenen Beschaulichkeit und Fatalität die beim Menschen in kommunistischen Wirtschaftssystemen zutage tretende Passivität und fehlende Eigeninitiative dazukommt. Solchermaßen tritt geradezu eine Verdoppelung von „Leistungshemmnissen“ beziehungsweise „Leistungsschranken“ auf.

Der hier auch angesprochene und überall anzutreffende Dualismus zwischen arabischer Mentalität und sozialistischer Ideologie läßt sich mit den Begriffen Islam und Kommunismus etikettieren. Beide Blickrichtungen sind in Algerien parallel anzutreffen. Islamische Tradition ist im Land tief verwurzelt. Und die Führung Algeriens kommt aus der Tradition des nationalen Unabhängigkeitskampfes, war also primär national, auf die eigenen, bodenständigen Werte ausgerichtet und erst in zweiter Linie ideologisch Sozialrevolutionär orientiert. Zum nationalen Gedankengut -gehört auch der Islam. Nichtsdestotrotz zählen auch ultrakonservative islamische Kreise zu zu den Gegnern des Regimes. Daneben stehen noch liberal-konservative Kreise dem Regime ablehnend gegenüber. Sie sahen sich durch die gemeinwirtschaftlichen Zielvorstellungen um ihre wirtschaftlichen Entfaltungsmöglichkeiten geprellt. Im Ausland gibt es eine ganze Reihe von politischen Organisationen, die in mehr oder weniger scharfem Gegensatz zu Oberst Boumedienne stehen. Auf Grund persönlicher Rivalitäten und ideologischer Meinungsverschiedenheiten konnten sie sich bisher aber noch nicht zu einer gemeinsamen Front zusammenschließen.

In der Information von außen ist jedoch eine gewisse Pluralität feststellbar. So liegen westliche Zeitungen und Zeitschriften frei zum Verkauf auf. Der freie Kommunikationsfluß, besonders zwischen Frankreich und Algerien, nimmt dem Regime des weiteren etwas von seiner totalitären Art.

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