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Wenig Freude mit Sandwüsten als Gebietszuwachs

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Vor dem unendlichen afrikanischen Horizont wirkt Nouakschott, die Hauptstadt Mauretaniens, so unscheinbar, daß man glauben könnte, der Pilot der „Air Mauretania“ habe sich verflogen. Im Unabhängigkeitsjahr 1960 bestand Nouakschott nur aus einigen Lehmhütten. Heute zählt dieser vom Tourismus noch unentdeckte Ort etwa 80.000 Einwohner. Auf einen Quadratkilometer der „Islamischen Republik Mauretanien“ kommt eine Menschenseele. Ohne die von Mauretanien besetzten Sahara-Gebiete ist dieser Wüstenstaat viereinhalbmal größer als die Bundesrepublik Deutschland.

Der einzige Reichtum Mauretaniens sind die Eisenerze, die im Norden des Landes abgebaut und auf einer 650 Kilometer langen Eisenbahn über den Hafen von Nouadhibou ausgeführt werden. Nouadhibou hieß in der Kolonialzeit Port Etienne und war die Verwaltungshauptstadt der Franzosen. Vorwiegend französisches Kapital war an der Erzausbeute beteiligt. Als im Jahre 1960 Nouakschott zur Hauptstadt des, unabhänigen Staates Mauretanien proklamiert wurde, wollten die Mauretanier etwas Eigenes schaffen. Doch militärisch und kulturell, vor allem wirtschaftspolitisch, wurde das Geschehen in der ehemaligen Kolonie weiterhin von Paris bestimmt. „Unser Verhältnis zu Frankreich“, so erklärte Mauretaniens Staats- und Regierungschef Ould Daddah, „war neokolonialistischer Natur. Und das wieder war unvereinbar mit unserem Unabhängigkeitsstatus“.

Frankreichs monopolartige Stellung in Mauretanien wurde erst gebrochen, als die mauretanische Regierung im Herbst 1974 die Eisenerzminen verstaatlichte. Schon ein Jahr zuvor hatte sich Mauretanien aus der Franc-Zone gelöst und eine eigene Währung, den Ouguiya, eingeführt. Stärker als je zuvor wird Arabisch als National- und Amtssprache Mauretaniens gefördert. Nach dem Unabhängigkeitsmotto: „Afrika den Afrikanern“ heißt es nun: „Afrika soll durch Afrikaner entwik-kelt werden.“

Hier geraten aber nicht nur die Mauretanier an einen wunden Punkt. Niemand vermochte ihnen die Verstaatlichung der Bodenschätze zu verwehren, doch es fehlen die wesentlichen Voraussetzungen, um die Förderung, den Transport und die Vermarktung dieser Schätze in die eigene Hand nehmen zu können. Dem Entwicklungsland Mauretanien mangelt es auf allen Gebieten an qualifizierten einheimischen Fachkräften, mehr noch als die benachbarten Entwicklungsländer ist Mauretanien auf Zusammenarbeit mit dem Ausland angewiesen. Die Mehrzahl der annähernd 1,2 Millionen Mauretanier sind Nomaden und Ackerbauern, die nie Schulbildung genossen haben und ihr Leben seit jeher auf der Grundlage des Tauschhandels und der Eigenversorgung führen. Die Zahl der mauretanischen Ingenieure, Ärzte und Lehrer steht dazu in einem krassen Mißverhältnis. Ausländische Fachkräfte aber lassen sich für dieses Wüstenland nur durch hohen materiellen Anreiz gewinnen. So wird das Erzgeschäft immer noch von dem guteingespielten Apparat der Franzosen besorgt, auch wenn sie nun Gehaltsempfänger der staatlichen mauretanischen Minengesellschaft „Miferma“ sind.

Seit gut einem Jahr ist Mauretanien das Hauptangriffsziel der „Polisario“. Nach dem Abzug der Spanier aus der Westsahara, im Februar 1976, hatte Mauretanien im Einvernehmen mit Marokko den südlichen Teil der ehemaligen Kolonie, das Gebiet von Rio de Oro, besetzt. Während Marokko die reichen Phosphatminen des Nordteils Saguit el Hamra vereinnahmte, erweiterte Mauretanien sein Territorium um eine unwirtliche Sandwüste. Algerien, das seinen Nachbarn den Gebietszuwachs mißgönnt, ging leer aus; es unterstützt seither die „Polisario“.

Diese im Jahre 1973 zum Kampf gegen die spanische Kolonialmacht gegründete Befreiungsbewegung der Saharouis kämpft für eine „Demokratische Arabische Republik Sahara“, abgekürzt DARS. Die Exilregierung der DARS wurde inzwischen von mehreren afrikanischen Staaten anerkannt. Es ist Polisario-Kommandos mehrmals gelungen, tief in Mauretanien und fast bis nach Nouakschott vorzudringen. Die Angriffe und Uberfälle galten jedoch in erster Linie der Bergwerkstadt Zuerat und der Eisenerzbahn. Die kämpfenden Saharouis scheinen auf eine langfristige Zer-mürbungstaktik bedacht zu sein, angeblich werden sie von Kubanern in der Guerrilla ausgebildet

Mauretaniens Staatschef Ould Daddah solidarisierte sich mit König Hassan, doch im Erbstreit um die Westsahara ist Mauretanien zweifellos das militärisch schwächste Glied. In Nouakschott wird hinter vorgehaltener Hand geflüsteri;, Mauretanien habe bereits weite Teile des einstigen Rio de Oro wieder aufgegeben. Den Mauretanien! hat der umstrittene Gebietszuchwachs bisher nur Menschen- und Materialverluste und dazu die Mißbilligung afrikanischer Bruderländer eingebracht. In das Vakuum werden Marokkaner, Algerier oder Saharouis nachrücken.

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