Werbung
Werbung
Werbung

Trotz Waffenstillstandes herrsche Krieg, sagt Roter-Halbmond-Präsident Buhubeini:'Unser Krieg hier ist ein Krieg der Stille.'

Nach internationalem Recht gilt die Besetzung der Westsahara durch Marokko als illegal. Die UN sichern ehemaligen Kolonien seit 1963 Unabhängigkeit zu.

Die 'Frente Polisar' ruft im Februar 1976 einen neuen Staat aus. Nur 50 Länder erkennen die Republik Westsahara an.

Zwei Uhr morgens zeigt die Uhr, als das Passagierflugzeug zur Landung ansetzt. Wer in die Westsahara reisen will, ist als Nachtmensch klar im Vorteil. Nur ein-bis zweimal in der Woche landen hier in Tindouf, im unwirtlichen, westlichsten Zipfel Algeriens, wo das Thermometer tagsüber bis auf 55 Grad Celsius klettern kann, Flieger aus der Hauptstadt Algiers, und das stets mitten in der Nacht.

Beim Zu-Fuß-Überqueren des Flugfeldes dann ein erster Blick gen Himmel: "Wind, Sand und Sterne" kommt als Buchtitel unweigerlich in den Sinn. So oder so ähnlich muss der Pilot und Autor Antoine de Saint-Exupéry gefühlt haben, als er erstmals in den dunklen Wüstenhimmel schaute, den kalten Sahara-Nachtwind im Gesicht. Ein auf Arabisch, Englisch, Spanisch und Französisch gefragtes "Woher kommen Sie?" holt zurück ins laute Getümmel bunt gekleideter Bewohner aus der Westsahara und europäischen Reisenden hier am Flughafen Tindouf. "Min Nemsa", stammle ich im simplesten Arabisch, "aus Österreich". Mein Reiseziel: das Lager Bujdur, wo etwa 40.000 Flüchtlinge leben.

Staat oder nicht

Wer in die Westsahara einreist, hat nicht viele Möglichkeiten eines Grenzübertritts. Eine Einladung der "Frente Polisario", der dort agierenden linken Milizen, ist obligatorisch dafür. Auf den meisten Landkarten scheint der 540.000 Menschen zählende Wüstenstaat Demokratische Arabische Republik Westsahara (DARS) erst gar nicht auf. Marokko hält das Land bis heute militärisch besetzt und negiert sein Bestehen als autonomer Staat. Als 1956 die nationalistische Istiqlal-Partei die Idee eines Groß-Marokkos aufkommen lässt, erhebt das Königreich plötzlich Anspruch auf das Gebiet. Ungeachtet des Spruchs des Internationalen Gerichtshofes in Den Haag, der Marokko am 16. Oktober 1975 jedweden territorialen Anspruch auf die Westsahara abspricht, ruft König Hassan II. seine Untertanen noch im selben Jahr zum sogenannten "Grünen Marsch" auf.

350.000 Zivilpersonen überschreiten daraufhin unbewaffnet die Landesgrenzen in die Westsahara. Gleichzeitig besetzen die Armeen Marokkos und Mauretaniens das Land, es folgen Luftschläge gegen die saharawische Bevölkerung (siehe Kasten S. 9). Die bereits 1973 in der saharawischen Bevölkerung entstandene "Frente Popular para la Liberación de Saguia el Hamra y Rio de Oro", kurz "Frente Polisar" genannt, ruft im Februar 1976 daraufhin die Gründung eines Staates aus - mit mäßigem Erfolg. Bis heute erkennen nur etwa fünfzig Länder weltweit die DARS als Land an, und das, obwohl nach internationalem Recht die Besetzung der Westsahara durch Marokko als illegal gilt und Westsahara seit 1963, wie allen ehemaligen Kolonien, seitens der Vereinten Nationen Recht auf Unabhängigkeit zugesichert wird.

Ortswechsel. Nahe Rabuni, dem Verwaltungsbezirk der Frente Polisario, ist der Sitz jener Organisation, die das Überleben von 175.000, auf fünf Flüchtlingslager aufgeteilte Saharawis sichert. Inmitten einer bunten Landschaft aus Übersee-Containern ist das Büro von Yahya Buhubeini, der als Präsident dem in Westsahara 1975 gegründeten "Roten Halbmond" vorsteht, einer Hilfsorganisation entsprechend dem Roten Kreuz. Gemeinsam mit der Bevölkerung verteilt der Rote Halbmond hier Wasser, Lebensmittel und führt Hygieneprogramme in den fünf Flüchtlingslagern Dakhla, El-Ayun, Smara, Aswerd und Bujdur durch. Doch so einfach ist das nicht. Die lebensnotwendigen Hilfslieferungen für die Wüstencamps würden von Jahr zu Jahr weniger, erklärt der ältere Herr in perfektem Englisch (siehe Interview Seite 9). Neue Krisenherde weltweit würden die Westsahara in den Hintergrund treten lassen, wo die humanitäre Lage seit 42 Jahren ungebrochen lebensbedrohlich für die Bevölkerung sei. "Die Welt hat diesen Konflikt vergessen, weil er still ist", sagt Buhubeini. "Die Menschen hier verüben keine Attentate", was wenig attraktiv sei für die Medien. Stattdessen fokussiere man in reichen Staaten lieber auf arme Länder mit hohem Sicherheitsrisiko und viel Gewalt. Auch nach dem Waffenstillstand von 1991 spricht Buhubeini noch von Krieg. "Unser Krieg hier ist ein anderer. Er besteht seit 42 Jahren, und er ist ein Krieg der Stille." Menschen mit einem hohen Wertekodex seien die Saharawis, Frauenförderung stehe im beinahe zu hundert Prozent muslimischen Land ganz oben, und die Analphabetismusrate sei mit vier Prozent die zweitniedrigste in ganz Afrika.

Hochschulaustausch

Wieder zurück im Lager Bujdur, wo in einem Kindergarten eine kleine Freudenfeier abgehalten wird. Ein nagelneuer Wassertank blitzt im gellenden Sahara-Licht, ringsum jubeln lautstark Frauen.

Dass der Kindergarten seinen eigenen Wasserzugang hat, ist vier jungen Österreicherinnen der Fachhochschule Kärnten in Feldkirchen zu verdanken, die über einen Studierendenaustausch erstmals in die Westsahara gekommen sind. "Unser Aufenthalt hier ist bald zu Ende, und weil wir unser Auslands-Stipendium nicht ganz aufgebraucht haben, hat jede von uns ihre restlichen 150 Euro in diesen Wasserspender investiert", erzählt Franziska. Erst vergangenes Jahr unterschrieb der FH-Vizerektor mit dem Rektor der Universität Tifariti einen Kooperationsvertrag, der acht fachverwandte Studierende ins jeweils andere Land geholt hat. Dass Entwicklungszusammenarbeit mehr sein muss als Lebensmittellieferungen, liegt für Hubert Höllmüller auf der Hand. Seit Jahren ist der Soziologe und FH-Professor für Soziale Arbeit mit dem Westsahara-Konflikt betraut und forscht vor Ort, was Soziale Arbeit in einer Flüchtlingsgesellschaft heißt. Im Jahr 2009 schlug er im Wahlpflichtfach Interkulturalität einer seiner Projektgruppen vor, sich mit dem Westsahara-Konflikt eingehender zu beschäftigen.

Bildungsaustausch

Als drei saharawische Kindergärtnerinnen im Burgenland zeitgleich eine Fortbildung besuchten und die Studierenden diese interviewten, kam es zu einer ersten Einladung in die Flüchtlingslager bei Tindouf. Seitdem fanden drei Forschungsaufenthalte in den Lagern statt, Hilfstransporte wurden organisiert und Studierende absolvierten ihr Berufspraktikum bei den Saharawis. Gemeinsam mit den Universitäten Köln und Ljubljana wurde der EU-geförderte Studierendenaustausch organisiert.

Der Tag des Abschieds ist gekommen. Wer im Besitz eines EU-Reisepasses ist, verlässt die Westsahara auf demselben Weg, wie er gekommen ist: in Militärbegleitung und bei Nacht. Polisario-Mitglieder bringen die Fremden bis zum Stützpunkt der Algerischen Gendarmerie. Die führt in Form zweier Einsatzfahrzeuge die Kolonne unaufgeregt mit Blaulicht an und geleitet die Wüstenjeeps bis zum Inlandsflughafen in Tindouf. Um 02:40 schließlich hebt der Flieger pünktlich nach Algier ab, in einen Himmel voller Sterne, den Wüsten-Erprobte seit jeher lieben.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung