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Trotzki in Algier

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„Ein Gespenst geht um in Algerien — das Gespenst Trotzkis.“ Mit dieser Abwandlung des berühmten Eingangssatzes zum kommunistischen Manifest von 1848 ist man versucht, das politische Gesellschaftsspiel zu überschreiben, welches sich in Algier letzthin zwischen den verschiedenen innenpolitischen Gruppen einerseits und jenen verlorenen Internationalisten abspielte, die seit Trotzkis Auszug aus der Sowjetunion nach- oder nebeneinander als Vierte Internationale, heimatlose, beziehungsweise neue Linke, KP-Opposition oder schlicht und einfach „Linksintellektuelle“ firmieren. Das meist vereinfachend und nicht ganz zutreffend als „Trotzkisten“ zusammengefaßte politische Treibholz zwischen den ideologischen Blöcken suchte in Neu-AIgerien seit langem verzweifelt einen Ansatzpunkt zu konkreter Wirksamkeit.

In der Tat schien ihnen das zerrissene Land die Chance zu bieten, sich ein exklusives Experimentierfeld zu schaffen. Der profilierteste Gegenspieler Benbellas in der letzten Sommerkrise, Boudiaf, bekennt sich zu trotzki-stischen Ideen; der Stab seiner damaligen „Hausmacht“, der algerischen Gewerkschaften, war in Pariser Linksemigrantenkreisen geschult und ausgerichtet worden. Nachdem Boudiaf die letzte Schlacht durch Gleichschaltung der Gewerkschaften im Jänner verloren hatte, schienen die neuen Gegensätze zwischen den drei übriggebliebenen Mächtigen von Algier, Benbella selbst, dem Parteichef Khider und dem Armeeblock um den Obersten Boumedienne, neue Möglichkeiten zur „Infiltration“ oder wenigstens zum Mitspielen zu geben. Benbellas ureigenes Amt, die „Presidence de Conseil“, verfügt nämlich über einen eigenen „sozialistischen Direktionssektor“ mit einer reichhaltigen europäisch-linksintellektuellen Beraterschaft, angeführt vom ehemaligen Generalsekretär der Vierten Internationale, dem Griechen Raptis. Die Unterwanderung des Ben-

Benbella...

bella-Amtes durch Westeuropas heimatlose Linke veranlaßte zunächst den bürgerlichen Restflügel in der algerischen Regierung, die vorgesetzte Dienststelle zu sabotieren. Fast gleichzeitig entdeckte Khider in Raptis & Co. eine ideologische Konkurrenz zu seinem als „permanente Revolution“ umschriebenen Versuch, die Partei und damit sich zum Steuermann des jungen Staates zu machen.

Als Benbella im vergangenen März zeitweise zur Taktik der Massenagitation überging, um sich gegen die mit ihm wie untereinander verfehdeten inneralgerischen Gruppen abzudecken, hatte Berater Raptis höchstpersönlich versucht, den geräuschvollen Mob-Aufzügen in Algier — so wenigstens nach armee-offiziöser Auslegung — weltrevolutionäre Aspekte zu verleihen. Was die Armee tatsächlich befürchtete, nämlich daß Benbella sich in einer Art weltrevolutionärem Rausch zur sofortigen Ausrufung des Kommunismus trotzkistischer Version in Algerien treiben lassen würde, trat freilich nicht ein. Indessen gingen sowohl die mitregierenden Konservativen in Benbellas Regierung, wie die Armee, deren Chef, Boumedienne, inzwischen zum Stellvertreter des Regierungschefs aufstieg, erneut in vorsorg-

liche Alarmbereitschaft, als Raptis Mitte Juni einen sogenannten Kongreß für nichtstaatliche Auslandshilfe mit dem vorgegebenen Zweck nach Algier einberief, „die nicht regierenden Linksorganisationen Westeuropas zur Mitarbeit beim Aufbau Algeriens zu mobilisieren“.

Ein verunglückter Kongreß

Der Kongreß, welcher durchaus nicht nur Westeuropas Heimatlose,

sondern eine bunte Gesellschaft von italienischen Nenni-Sozialisten, britischen Kriegsdienstverweigerern, spanischen Anti-Francoisten, französischen moskauhörigen Syndikalisten, hdländi-scheR,. belgischen und österreichischen Gewerkschaftern sowie einige bundesdeutsche Vertreter von DGB- und SPD-eigenen Organisatio-

nen vereinte, begann denn auch mit bösem Omen. Am Begrüßungsmorgen erschien weder der angekündigte Regierungschef Benbella noch — von Organisator Raptis abgesehen — ein sonstiger Vertreter der algerischen Regierung. Offensichtlich wollte niemand sich der Konspiration mit den „Vaterlandslosen“ schuldig machen. Bundesdeutschlands Gewerkschafter und SPD-Vertreter erwogen bereits — auf diese Weise zusammen mit Trotz-

kis Jüngern als eine Art von politisch „Aussätzigen“ behandelt — die sofortige Abreise. Einen ganzen Tag dämmerte das Kongreßvolk, von Benbellas Algerien schnöde mißachtet, in Nordafrikas heißer Junisonne vor dem Kongreßgebäude dahin. Schließlich fand sich ein untergeordneter Funktionär der einflußlos gewordenen

Partei der FLN zu einem offensichtlich in langer nachmittäglicher Formulierungsarbeit sorgfältig abgewogenen, vom frischen Konzept abgelesenen, mehr feindlichen als erfreuten „Willkommen“ bereit. Ihm folgte der Industrieminister, der rundweg erklärte, Algerien solle sich möglichst lieber selber helfen.

Est am Folgetag hatte Benbella seinen eigenen Plan gemacht, nämlich aus dem bunten ideologischen Konglomerat das Brauchbare zu sondieren und seinem persönlichen Weg zum algerischen Sozialismus dienstbar werden zu lassen. Während er die übrigen Kongreßteilnehmer mit einer verspäteten Dankansprache für historische Verdienste im algerischen Krieg mehr oder weniger abschob, nahm er sich die „Brauebbaren“ einzeln vor. Zu den Brauchbaren gehörten auch die Abgesandten des westdeutschen gewerkschaftlich-sozialdemokratischen Blocks. „Schließlich sind wir kein Klüngelverein“, meinten diese mit Hinweis auf die abgeblitzten Internationalisten von der „Vierten“; „schließlich sind wir jemand, und hinter uns steht was.“ Benbella sah in den bundesdeutschen Linken nicht nur „jemand“ mit „was“ im Hintergrund, sondern auch die möglichen Erben der weichenden Adenauer-Epoche und bestellte sie zu einem „ganz privaten“ Gespräch in seine spartanischen Privatgemächer der Villa Joly. Aus dem verunglückten trotzkistisch-algerischen Flirt wurde eine deutsch-algerische Erwärmung. Diese stand freilich seit langem aus. Das offizielle Deutschland ist noch immer mit dem Makel der „übertriebenen Bonner Loyalität“ gegenüber Paris während des algerischen Krieges gebrandmarkt, und Deutschlands zwar anerkannt algerienfreundliche Gewerkschafter und Sozialdemokraten waren wiederum mit der „unglücklichen“ Parteinahme für den im JäinfeP^gl^ setzten antibenbellisrischen algerischen Gewerkschaftskongreß belastet.

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