6694997-1963_03_07.jpg
Digital In Arbeit

Ben Bella zwischen zwei Fronten

Werbung
Werbung
Werbung

Der neue algerische Staat ist noch weit davon entfernt, feste Konturen zu zeigen, und die starken Männer von Algier — Ben Bella, der Volksarmee-Oberst Boumedienne und der Chef des sogenannten Politbüros, Khider, wie deren junge Regierungsmannschaft — haben noch nicht die rechten Ansatzpunkte gefunden, das aus der Kriegszeit und der innenpolitischen Sommerkrise überkommene Chaos nach ihrem Konzept zu ordnen. Sie stehen noch gleichsam neben der widerspruchlichen und wenig ermunternden algerischen Wirklichkeit, und nicht in ihr. Wirtschaft und Verwaltung entfalten mangels Personal, Direktiven und Mittel ein Minimum an Aktivität. Das fieberhafte Pendeln tausender von Algerienfranzosen zwischen Marseille und Algier ist nur Ausdruck der Unent-schiedenheit, sich mit Ben Bellas Regime zu arrangieren oder das Land nach Liquidierung ihrer Stellungen, Geschäfte, Farmen oder sonstigen Besitzes definitiv zu verlassen. Ben Bellas Sicherheitserklärungen für dieses aus der Bahn geworfene europäische Element, welches das gesamte algerische Wirtschafts- und Sozialleben bisher allein steuerte, widersprechen seiner im gleichen Atemzug angekündigten Ausrichtung der Innenpolitik auf eine ausschließlich algerisch betriebene kollektivistische Staatswirtschaft wie den fortgesetzten faktischen Übergriffen lokaler algerischer Revolutions- und ähnlich genannter Komitees auf französisches Eigentum. Das für Algeriens künftige Entwicklung entscheidende

Verhältnis zwischen der neuen Staatsmacht und dem mannigfaltig mit dem Lande — sei es in Form technischer, administrativer und wirtschaftlicher Führungspositionen, in Form von Rechten, Handelsverflechtungen oder Kapital- und Bodenbesitz — verwurzelten französischen Element ist noch keineswegs abgeklärt.

Die Beziehungen Ben Bellas zu Paris spielen bei diesem Abklärungsprozeß eine bestimmende Rolle, wie umgekehrt die verschiedenen Stadien des Prozesses das Verhältnis zwischen algerischer und französischer Regierung beeinflussen. Man konnte bisher nicht sagen, daß das offizielle Verhältnis zwischen Algier und Paris schlecht war, sondern eher, daß seit dem ersten Juli, Algeriens Unabhängigkeitstag, ein algerisch-französisches Verhältnis überhaupt nicht mehr existierte. Algier und Paris redeten vielmehr aneinander vorbei oder warfen sich gegenseitig die Ignorierung der Tatsache vor, daß algerisch-französische Gespräche seit langem dringend nötig sind.

Das Verhältnis zu den Algierfranzosen

Zum schwebenden Verhältnis zwischen Ben Bella und französischem Element beziehungsweise zu Paris trat das zwischen Ben Bella und seinen eigentlichen inneren Feinden. Noch sind die in verschiedener Form auftretenden Widerstände nicht gebrochen, welche Ben Bellas politischer und des Obersten Boumediennes militärischer Führerschaft von Seiten algerischer Gruppen, Organisationen, ja ganzer Provinzen entgegengesetzt werden. Um und östlich Algier stehen noch weite Landesteile unter der Kontrolle Ben-Bella- oder Boumedienne-feindlicher

Offiziersklüngel sowie deren anarchistischer Soldateska. Dem Ben-Bella-Regime feindlich gesinnte ehemalige Führer der algerischen Freiheitsbewegung agitieren nach wie vor in den Reihen nationaler Organisationen, vor allem in der mächtigen algerischen Großgewerkschaft UGTA gegen Ben Bellas innenpolitisches Konzept einer um ihn und seine Verbündeten gruppierten Einheitsfront von Staat, Partei, Verwaltung, Armee und Arbeiterschaft. Dieses Ben-Bella-Konzept bedient sich wohl östlicher Einheitsmethoden, nicht aber der östlich-kommunistischen Ideologie.

Welches Konzept?

Das ideologische Konzept der algerischen Machthaber ist überhaupt noch wenig umrissen. Wenn auch der Oberst Boumedienne und seine mitregierenden Anhänger gewisse Vorstellungen einer von der Armee zu tragenden sozialistischen Gesellschaftsordnung mitbrachten, so stellen die bisherigen Maßnahmen der Regierung eher eine Art kollektivistischen Pragmatismus dar und sind kaum aufeinander abgestimmt. Während nun die Mißachtung extrem links-marxistischen Ideenguts durch die algerischen Machthaber kommunistische wie linkssozialistische Elemente innerhalb der algerischen Freiheitsbewegung gegen Ben Bella aufbrachte, machte dieser sich mit seinem Prinzip des Einheitsstaates wiederum die auf ihre eigenen Interessen bedachten Gewerkschafter und zu Feinden. Paris und das Franzosenelement in Algerien dagegen verstimmte Ben Bellas sozialistische Praxis überhaupt. Der Regierung von Algier stehen also verschiedene lähmende und widersetzliche Fremdkörper im eigenen Land gegenüber. Ben Bellas begabtester Gegner Krimbelkassem hat es verstanden, die dem Regime widerstehenden heterogenen Kräfte zu einer Oppositionsfront zusammenzufügen, ja eine gewisse Interessengemeinschaft der algerischen Linksextremisten mit Paris zu erzeugen. Während die Blätter der algerischen Kommunisten und Linkssozialisten Ben Bella täglich wegen ungenügenden Vorgehens gegen Kolonialisten und Neo-Kolonialisten — sprich: Frankreich — anklagen- begann man in Paris offen und nicht ohne Schadenfreude — hier allerdings wegen zu unfreundlicher Haltung des Ben-Bella-Regimes gegenüber Frankreich — von dessen gezählten Tagen zu sprechen.

Verbot der KP

Ben Bella war sich dieser problematischen Lage, welche ihn zu entschlossenem Handeln zwang, freilich schon länger bewußt. Daß er nicht früher handelte, erklärt sich — so wenigstens versichern seine Anhänger — aus dem Versuch, sich durch einen Kompromiß mit den Linkskräften und Zugeständnissen Frankreichs hinsichtlich eines entsprechend schärferen sozialistischen Programms aus dem Zweifrontenkrieg zu lösen. Da weder Paris noch Ben Bellas algerische Widersacher zu diesem Kompromiß Anstalten machten, mußte die algerische Staatsführung nunmehr das Gegenteil von dem tun, was Ben Bella vorhatte: nämlich sich grundsätzlich zur Abstimmung ihres

Sozialrevolutionären Programms mit Frankreich bereit erklären und gleichzeitig zum Schlag gegen die algerischen Linksabweichler ausholen. Nach wochenlanger Debatte der innen- und außenpolitischen Lage in der von Ben Bellas Anhängern beherrschten algerischen Nationalversammlung begann die Regierung mit der Liquidierung ihrer sehen kommunistischen Partei, welche zwar an sich nur eine unbedeutende Sekte darstellt, jedoch dem anti-Ben-Bellistischen Flügel in der algerischen Freiheitsbewegung mit ideologischen Argumenten den Rücken stärkte. Die Volksarmee des Obersten Boumedienne ging im sogenannten Raum von Großalgier wie in verschiedenen Provinzgegenden zu Säuberungsaktionen gegen anarchistische Elemente über, die den Feinden Ben Bellas in mannigfacher Weise dienstbar waren und besonders unter den arbeitslosen und kriegsgeschädigten Massen agitatorischen Anklang fanden.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung