6689557-1962_32_04.jpg
Digital In Arbeit

ACHMED BEN BELLA / DER GRIFF NACH DER MACHT

Werbung
Werbung
Werbung

Ben Bella hat es geschafft! Ef ist ah Sieger in der Hauptstadt des nach dem siebenjährigen Bürgerkrieg zerklüftet, gelähmt darniederliegenden Landes eingezogen, während in der selben Stunde Schiffe und Flugzeuge mit europäischen Siedlern an Bord, deren Väter einst dieses Land kolonisiert (und das heißt urbar gemacht) haben, auf die südfranzösische Küste Richtung nehmen. Ben Bella ist ein Sieger auf Abruf: denn nach den Wahlen am 27. August wird eine Heugewählte konstituierende National Versammlung erst die neue Regierung wählen.

Die .Chancen Ben Bellas stehen keinesfalls schlecht. Er hat in den 23 Tagenseif seiner Rückkehr nach Algerien äußerst vorsichtig operiert. Als Basis seiner Machtentfaltung wählte er tnit kluger Überlegung nicht die provisorische Regierung (GPRA), sondern die im ganzen Land zerstreuten Kader der Befreiungsarmee (ALN). Auf diese realen, wenn auch nicht sehr starken Machtfaktoren der lokalen Kommandos stützt sich sein „Politisches Büro“.

Der heute 44jährige, aus der Stadt Oran stammende Ben Bella ist einer der sechs Überlebenden von den ursprünglich neun legcn-denumwobenen Führern der Revolution des 1. November 1954. Zum crstet\mal kam der Name Ben Bella in die Zeitungen, als ihn gegen Ende des zweiten Weltkriegs General de Gaulle persönlich mit einer hohen Auszeichnung, der „Medaille Mllitaire“, dekorierte. Er wurde viermal hintereinander in Heeresberichten genannt. Trotzdem konnte dieser. Algerier nie Offizier werden. Als Unteroffizier, mit dem Komplex des zu Unrecht Benachteiligten, rüstete er, am Kriegsende ab. Und ging schnurstracks in die Politik.

Nach einem kurzen Zwischenspiel in der Algerischen.Volkspartei überschritt er 1947. den Rubikon: er wählte die Freiheit im Untergrund. Zuerst ging es recht konventionell zu. Er organisierte bewaffnete Überfälle, erbeutete Geld. In Abwesenheit wurde er zum Tode verurteilt, dann verhaftet, er konnte aber entfliehen, in den darauffolgenden Jahren organisierte jedoch Ben Bella und niemand anderer die Revolution.

Ben Bella bereiste also die Länder Nötdafrikas, glättete die Wögen der Gegensätze, die sich da und dort in der Beurteilung des Aufstandes euf'w.M-Wfi, zog Kaderorganisationen auf, errichtete Ausbildungslager für die zu bildende Armee, sorgte für deren Ausrüstung und Verpflegung ebenso wie für die Schulung und sammelte vor allem viel Geld. Es war zum Großteil sein Werk, wenn die Kraftreserven des Aufstandes so tief reichten, daß die überlegene, militärische Kraft Frankreichs sie nie ganz ausmerzen konnte.

Seinen Ruhm verdankt Ben Bella jedoch seltsamerweise nicht seinen wirklichen Leistungen, sondern einem Fehler der französischen Heeresleitung. Als er an einem Oktobertag des Jahres 1956 wi't vier anderen Führern des Aufstandes, von einer Konferenz mit dem König von Marokko kommend, im Flugzeug saß, das in Tunis landen sollte, erschienen plötzlich französische Düsenjäger am Horizon'. Mit der erzwungenen Landung auf französischem Territorium begann die mehr als fünfjährige Haftzeit, die Ben Bella das Prestige eines „Märtyrers der Nation“ einbrachte. In Wirklichkeit sah das freilich etwas anders aus. Für Paris waren diese Staatsgefangenen von Anfang an eher eine Verlegenheit. Und mit jedem kleinen Richtungswechsel der französischen Algerienpolitik änderte sich der Ort, wo die Revolutionäre hinter Schloß und Riegel saßen: Sante-Gefängnis, Insel Aix — bereits ein komfortables Schlößchen —, schließlich das prächtige Loire-Schloß La Fessardiere.

Inzwischen — 1958 — wurde Ben Bella zum stellvertretenden Ministerpräsidenten ernannt. Wird er nach dem 27. August endgültig die Regierung übernehmen? Wird er als Nationalist, als Sozialist oder gar -r- wie manche meinen — als heimlicher Kommunist seine weiteren Maßnahmen setzen? Soviel steht fest, daß sich Ben Bella deutlich für Verstaatlichungen, Bodenreformen und ein Einparteiensystem ausgesprochen hat. Und das Volk jubelt ihm zu. Aber das ist nur natürlich, weil ein Volk, das die Befreiung bis ans Ende durchexerziert haben will, wohl kaum die unsichtbare Schwelle merken wird, von der an die Freiheit in eine neue, noch nicht gekannte Unfreiheit umschlägt.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung