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Der „dritte Mann“ tritt ab

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Sieben Tage nach dem offiziell „unaufgeklärten“ Attentat auf Ben Bellas Außenminister K h e m i s t i — dessen Körper weiter künstlich, jedoch hoffnungslos am Leben erhalten wird — legte Mohammed K h i d e r sein Amt als Chef des Politbüros und damit als Chef der im Umbau zur Senatspartei steckengebliebenen algerischen Freiheitsfront FLN, vor allem aber als „dritter Mann im Staat“ nieder. Die Gerüchte, welche die hinter Khider stehenden Kräfte schon vor seiner Demission mit dem Revolverschuß auf Ben Bellas Schützling Khemisti in Zusammenhang brachten, erhielten dadurch neue Nahrung. Ob solche Reden auf haltbarem Grund fußen oder nicht, der Bruch zwischen Ben Bella und seinem letzten Mitregenten aus der Gruppe der sogenannten historischen Revolutionschefs — die vor der algerischen Unabhängigkeit zusammen mit Ben Bella fast vollzählig in französischer Haft saßen — bahnte sich schon länger an, und die Krise zwischen den beiden Männern entzündete sich an grundsätzlicheren Fragen als am Ministermord.

Der „Rattenfänger“

Mohammed Khider war der Älteste der „historischen“ und der Gelehrteste unter den ehemaligen Häftlingen de Gaulies. Er galt unter den Führern des neuen Algerien als gereifteste Persönlichkeit und als ihr Ideologe. Während sich die übrigen „Historischen“ nach ihrer Freisetzung zwischen der an Einfluß verlierenden damaligen algerischen Exilregierung und deren Gegnern, Ben Bella und die Armeegruppe um den Obersten Boumedienne, verhedderten, zersplitterten und mangels genügender eigener Hausmacht ab- oder in den zweiten Rang traten, schloß Khider sich als einziger bedingungslos Ben Bella und dessen militärischen Verbündeten an. Im Auftrag Ben Bellas brach er als erster die anfängliche Scheinfassade der Einheit zwischen Exilregierung und „Ben-Bellaisten“, trat überhaupt als der letzteren Sprecher auf und brachte nach dem Einmarsch der sogenannten Grenzarmeen Boudemiennes in Westalgerien die „TIemcener Gruppe“ als Gegenorgan zur Exilregierung eben in Form des Politbüros auf die Beine, dessen Führung er jetzt niederlegte.

In Treue fest, half er den zur Herrschaft strebenden „Tlemcenern“, nach und nach sämtliche Gegenkräfte auszuspielen. Kenner der algerischen Führungsastrologie behaupten sogar, er sei der eigentliche geniale politische Schachmeister gewesen, der zunächst die „verbürgerlichte“ Exilregierung mit Hilfe des linksextremen Offizierklüngels aus dem Militärbereich — oder „Wilaja“ — Vier, hernach diesen selbst sowie den „rechtsabweichlerischen“ und partikularistischen kabylischen Wilaja Drei, diesmal mit Hilfe der Boumedienne-Armee von der politischen Bühne jagte, und das schließlich im September mit den Einheitslistenwahlen zur vorläufigen Nationalversammlung faktisch sanktionierte Triumvirat, bestehend aus Ben Bella als Ministerpräsident, Boumedienne als Armeechef und ihm selbst als Parteichef, an die Staatsspitze manövrierte. Noch im Jänner dieses Jahres schien Einigkeit unter den drei Regenten beziehungsweise den von ihnen verkör-

perten Kräften zu bestehen, als sie gemeinsam die algerischen Gewerkschaften gleichschalteten, hinter denen sich ein besonders hartnäckiger ihrer alten gemeinsamen Feinde, der linksextreme Boudiaf, ebenfalls ehemaliger Haftgenosse Ben Bellas und Khiders, gesteckt war. Doch schon bei diesem „Dreh“, so stellte man mißtrauisch besonders in Armeekreisen fest, ging Khider allzu eigenmächtig vor. Die rücksichtslose Absetzung des alten Gewerkschaftsvorstandes und der Einsatz des neuen im totalitären Stil wurde auf sein Missetatenkonto gebucht, ja

Khider verdächtigt, durchaus keine „ben-bellaistischen“, sondern „khide-ristische“ Gewerkschafter sorgfältig ausgesucht und an die Spitze der unterworfenen Arbeiterorganisation gestellt zu haben.

Dem gewerkschaftlichen folgten weitere innenpolitische Sportkämpfe. Khider, der bei der Ressortverteilung unter den drei Mäclitigen im September vorigen Jahres auf das künftige innenpolitische Schwergewicht der freilich zum Sammelbecken streitender und unzufriedener Elemente werdenden Partei gesetzt hatte, geriet nicht nur mehr und mehr in den Gegensatz zu der von jeher parteifeindlichen Armee, die Khider kurz als „Rattenfänger aller Deviationisten“ bezeichnete. Er

mußte zusehen, wie Ben Bella selbst seinen Rückhalt von den hadernden FLN-Funktionären weg auf eine direkte Volksführermassenbeziehung verlagerte und sich einen eigenen, meist der europäischen Linksintelligenz entstammenden Beraterkreis schuf. Sich dessen wohl bewußt, daß mit Massen schlechthin keine ernstliche Arbeit zu leisten ist, unterstellte sich der Regierungschef die zuerst provisorisch mit den jüngsten Enteignungs- und Sozialisierungsdekreten endgültig eingesetzten Landarbeiterkollektive. Ben Bella trieb offensichtlich den gemein-

sam verkündeten, jedoch noch unaus-gegorenen Algero-Sozialismus, den die Armee auf ihre Offiziers-, Khider auf seine Parteikader gebaut sehen wollte, in eine eigene Richtung, in die Entwicklung nämlich dieser Kollektive zum simultan wirtschaftlich-politischen Unterbau des künftigen Staates, um diesen dann als vollendete Tatsache der anstehenden Verfassungsdebatte und den nachfolgenden Neuwahlen voranzustellen. Weder Khiders in fruchtlosem inneren Zwist und Disput mit der Armee auf der Stelle tretende Parteifunktionäre noch seine jüngst eroberte gewerkschaftliche Gefolgschaft blieb bei dieser Konstruktion eine tonangebende und ihm selbst Einfluß sichernde Funktion.

Staatsstruktur werden sollte. Der alte Manövermeister verlor jedoch zumindest die erste Runde. Ben Bella und die Armee stellten sich gegen ihn, seine Demission kann sowohl Resignation wie Auftakt zu weiteren Kraftproben sein.

Für Ben Bella bedeutet Khiders Rücktritt einen weiteren Schritt zur absoluten Alleinherrschaft. Freilich wurde die Galerie der ganz oder halbverdrängten ehemaligen Kampfgenossen um einen weiteren vermehrt. Einige von diesen bekleiden noch parlamentarische, staatliche oder halb-

staatliche Ämter und haben „ihre Leute“ selbst in der Regierung. Krim Belkassem und Ait Ahmed sind noch Abgeordnete, Ferhat A b b a i Präsident der vorläufigen Nationalversammlung, Rabah B i t a t Mitglied des Politbüros. Khider selbst bleibt Mitglied dieses weiterbestehenden Organs, dessen Leitung Ben Bella selbst übernahm. Khider kann auch künftig auf einen großen Teil der nunmehr Ben Bella unterstellten FLN-Funktionäre rechnen, die sich der Entmachtung der Partei, bevor sie noch recht ausgebaut war, widersetzen. Der harte Kern dieses Widerstandes besteht vor allem aus jenen nach wie vor im FLN-Sammel-becken agierenden Elementen, die sich aus den ehemaligen Gefolgschaften früher ausgebooteter Konkurrenten Ben Bellas rekrutieren und hinter Khider gesteckt hatten — „Leute von ganz rechts bis ganz links“, so versichern Armeekreise, die Khider wie die Khi-der-Gefolgschaft des rein persönlichen Ehrgeizes und Machthungers bezichtigen. Außerdem steht Ben Bella noch immer nicht ganz auf eigenen Füßen. Er hat noch einen letzten, durchaus eigenwilligen Mitregenten an der Seite: eben die Armee.

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