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Der zürnende Alte gegen alle

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• Claus von Arnsberg, Diplomat in Bonn und Sachverständiger in afrikanischen Fragen, aus jüngerem Landadel stammend, Sohn eines Landwirtes und späteren Farmers in Rhodesien und Enkel eines Oberforstmeisters in Mecklenburg, war in seiner Jugend Pimpf bei der „Hitlerjugend“ gewesen. Konnte aber der 38jährige reife Mann zur Rechenschaft gezogen werden für die Torheiten des kleinen Cläus-leins? Es sollte ihm verziehen sein.

• Claus von Arnsberg hatte während des Krieges in Hitlers Wehrmacht gedient. Man ließ auch hier mildernde Umstände walten.

Auf Herz und Nieren geprüft

Die Regierung gab sich mit den Auskünften zufrieden, nachdem noch, um späteren Unannehmlichkeiten vorzubeugen und alles mögliche getan zu haben, das Haupt des Institutes für Kriegsdokumentation in Mailand und Bologna, wo Claus von Arnsberg einige Monate Dienst versah, in elfter Stunde um Informationen eingekommen war. Die Untersuchungen ergaben nichts Belastendes. Somit stand der Verlobung und Hochzeit nichts mehr im Wege. Regierung und Parlament genehmigten in einer Regierungserklärung die Ehe der Thronfolgerin. Mittels Rundfunk- und Fernsehsendungen und einer Pressekonferenz erfuhr das Volk offenherzig und eingehend alle Einzelheiten, die die Informationen ergeben hatten, „das Nette und das weniger Nette“, wie der Regierungspräsident sich ausdrückte.

Noch vor wenigen Jahren schien die Dynastie der Oranier in keiner Weise gefährdet. Vier blühende Töchter aus königlichem Geblüt stellten die Erbfolge sicher. Heute sind die Aussichten wesentlich anders. „Wir haben allen Grund, mit unseren Königskindern sparsam zu sein“, schreibt Dr. v. Banning in seiner neuen Geschichte der Oranier. Nach dem Verzicht der Prinzessin Irene und der Verlobung der Prinzessin Margriet mit dem holländischen Bürger Pieter van Vollenhoven, der nach den traditionellen Ansichten als Prinzgemahl nicht in Betracht kommt, während der jüngsten, Christine, wohl die Veranlagung für das hohe 'Amt fehlt, steht der Thron praktisch wie man' sagt „auf zwei Augen“.

Das allerdings sind klare, gute Augen, in die das niederländische Volk mit Zutrauen und großen Hoffnungen blicken darf. Beatrix ist eine vielseitig interessierte und glücklich veranlagte, intelligente Persönlichkeit, für das Schöne in der Welt und alle hohen Ideale begeistert. Noch in guter Erinnerung ist die begeisterte Rede, die sie 1961 in der Versammlung der Fondation Europeenne de la Culture in Toulouse vor 400 Studenten aus ganz Europa hielt, die sie zu einer idealistischen und verantwortungsfreudigen Lebenshaltung aufforderte. Ihre Schlagfertigkeit in der anschließenden Debatte und ihr positives Reagieren auf die Kritik mit der man sie nicht verschonte, hoben ihre Bereitschaft hervor, sich den Aufgaben und Pflichten einer modernen Prinzessin und künftigen Königin bei allen Gelegenheiten zu stellen.

Der widerlegte Dichter

„Schlimm ist es, trägt ein Weib die Herrscherkrone.“ Es war wohl keine Sternstunde, die einem Dichter zu diesem Stoßseufzer veranlaßte. Wenige Niederländer werden sich nach der segensreichen Regierung ihrer Königinnen mit diesem Urteil einverstanden erklären. Diese Frauen haben das Ihrige dazu beigetragen, wenn heute die konstitutionelle Monarchie von allen Konfessionen und von allen politischen Parteien — die Kommunisten ausgenommen — anerkannt wird.

Die Frage, ob die Protestanten einen Katholiken auf dem Throne anerkennen würden, wie die Frage, ob die Katholiken einen katholischen Thronfolger bevorzugen, taucht gelegentlich in den Polemiken auf, wohl mehr aus dem Bedürfnis heraus, sich über alle Eventualitäten mal aussprechen zu können, als aus der Notwendigkeit, sich über das Problem einigen zu müssen. Ernst zu nehmender scheint, nach den Erregungen anläßlich der Verlobungen im Hause Oranien, die Frage, wie und ob überhaupt eine erbliche Monarchie auf die Dauer mit einer ausgewachsenen, modernen Demokratie in Einklang gebracht werden kann.

Ein Knalleffekt beendete die seit längerer Zeit schwelende Krise, in deren Mittelpunkt Israels großer alter Mann steht. Ben Gurion (78), der noch während der britischen Mandatszeit genau vor 35 Jahren die Mapal, nunmehr die Regierungspartei des Landes, aus der Taufe gehaben hatte, vollzog unter Applomb seinen Exodus und gab bekannt, daß er im nächsten Wahlkampf mit einer eigenen Liste kandidieren wolle.

Ben Gurions Forderungen

Seit einigen Monaten beschäftigt sich Israels Öffentlichkeit und Presse fast ausschließlich mit den Forderungen des vor etwas mehr als zwei Jahren zurückgetretenen Ministerpräsidenten und Sicherheitsminister David Ben Gurion. Er forderte die Aufstellung einer Richterkommission von mindestens drei Oberricihtern, deren Aufgabe es sein soll, die Tätigkeit einer Mini-steruntersuchungskommissdon, die im Jahre 1960 von Ben Gurion aufgestellt worden war und wegen der Zahl ihrer Mitglieder die „Siebener-Kommission“ genannt worden war, zu überprüfen.

Die Siebener-Kommissdon war bereits die dritte Kommission, die ernannt worden war, um die Tä-

tigkeit und insbesondere eine Aktion aus dem Jahre 1954 der israelischen Sicherheitsorgane zu überprüfen.

Die Lavon-Affäre

Im Jahre 1954 sah sich Ben Gurion gezwungen, sein Amt als Ministerpräsident und Sicherheitsminister zeitweilig niederzulegen und sich in seinen Kibbutz Sde Boker zurückzuziehen. Die Stelle des Sicherheitsministers erhielt der spätere Generalsekretär der Gewerkschaften Pinchas Lavon. Während der Amtszeit von Lavon war die betreffende Aktion durchgeführt worden. Sie verstieß gegen die Politik der Regierung, kostete unnötige Menschenopfer, und Lavon behauptete nach seinem Rücktritt, zu dem er nach dieser Aktion gezwungen worden war, daß der betreffende Offizier der israelischen Armee, der diese Aktion durchgeführt hatte, ihm erst nach vollzogener Aktion davon Mitteilung gemacht hatte.

Als Lavon im Jahre 1960 von Ben Gurion seine Rehabilitierung forderte, erklärte der letztere, daß er eine solche Erklärung nicht geben könne, ohne den daran beteiligten Offizier vielleicht ungerechterweise zu beschuldigen.

Die Siebener-Kommission wurde einberufen und kam zu dem Schluß, daß Lavon diesen Befehl nicht gegeben hatte.

Obwohl Lavon freigesprochen worden war, erzwang Ben Gurion dessen Rücktritt, und man hatte im allgemeinen das Gefühl, daß der starke Alte innerhalb seiner Partei keine Opponenten dulde.

Vor ungefähr zwei Jahren kam es innerhalb der israelischen Regierung zu einer heftigen Diskussion über Israels Politik gegenüber Westdeutschland. Da Ben Gurion seine Ansicht nicht durchsetzen konnte, trat er von seinen Reeierungsämtern zurück. Ministerpräsident Levi Eshkol wurde als Nachfolger ernannt.

Die Mauer der Kompromisse

Die Tätigkeit des jetzigen Ministerpräsidenten Levi Eshkol verlief im allgemeinen störungsfrei. Man hatte das Gefühl, daß Ben Gurions Erklärungen, daß. wenn das Volk ihn brauche, er bereit sei, zurückzukehren, verfrüht waren. Eshkol ist der Mann der Kompro-

misse, und es gelang ihm, die Regierungsgeschäfte ohne innere Zwistigkeiten zu führen. Vor zirka einem Jahr nahm Eshkol den Vorschlag der linkssozialistischen Arbeiterpartei „Achdut Avoda“ an. „Achdut Avoda“ propagierte für die nächsten Knesseth-Wahlen die Aufstellung eines gemeinsamen Wahlblocks mit nur einer Wahlliste. Die Verhandlungen zwischen den beiden Parteien begannen und zogen sieh in die Länge.

Man kam zu einem Kompromiß, demnach die Mapai auf ihre Forderung zur Einführung von Regionalwahlen für die kommende Dauer des Parlaments verzichtet. In Israel herrscht das direkte Wahlsystem, doch Ben Gurion, in seiner Funktion als Mapaiführer, propagierte vor zirka zehn Jahren die Änderung des Wahlsystems; doch hatte die Mapai nie genug Stimmen, um diese Forderung durchsetzen zu können. Ben Gurion sah sich verraten und verlassen. Er setzte alle Hebel in Bewegung, um die Verhandlungen zwischen Mapai und Achdut Avoda zwecks Bildung eines gemeinsamen Wahlblocks zu torpedieren. In der ausschlaggebenden Sitzung der Mapaizentrale wurde der Vorschlag Ben Gurions mit 122 gegen 8 Stimmen abgelehnt und die Bildung des gemeinsamen Wahlblocks prinzipiell bestätigt.

Zu groß für Israel?

Die Persönlichkeit Ben Gurions überragt alle anderen Führer des Staates Israel. Dank seiner Ent-

schlußkraft wurde von den jüdischen Führern im Jahre 1948 gegen den Willen der Großmächte die Gründung des Staates Israel proklamiert.

Viele, die Ben Gurion gut kennen, sind der Ansicht, daß der Staat Israel für die Energie eines solchen Mannes und Politikers zu klein Ist Ben Gurion ist heute 78 Jahre alt, und vieles ist nicht mehr so, wie er es sich einstmals vorgestellt hatte. Jahrelang lebte man in Israel mit dem Gefühl, daß dieser Staat nur mit Ben Gurion an der Spitze bestehen kann. Plötzlich stellte es sich heraus, Ben Gurion hat seine Pflicht getan; Ben Gurion kann gehen..

Und wieder: Die Affäre

David Ben Gurion stellt von neuem die Forderung zur Bildung einer Richterkommission auf, womit er wiederum die obengenannte Lavon-Affäre aufwickeln könnte. Hier muß betont werden, daß die Lavon-Affäre bereits im Jahre 1960 viel böses Blut gemacht hatte, zu einer Regierungskrise und zu verfrühten Knesseth-Wahlen geführt hatte. Niemand Ist heute noch daran interessiert, nochmals Staub aufzuwirbeln. Ben Gurion erklärte feierlich, daß es sich hierbei um . nichts anderes als das Prinzip der Gerechtigkeit handle und er nicht bereit sei, sich auf Kompromisse einzulassen, wenn es sich um Dinge wie Gerechtigkeit und Wahrheit handelt.

Weißbuch der Regierung vorgelegt

Ben Gurion verfaßte mit Hilfe eines Journalisten und zwei Advokaten ein Weißbuch, das er der Regierung zwecks Unterstützung seiner Forderung vorlegte. Dieses Weißbuch wurde von dem Justizminister Dov Joseph und dem Staatsanwalt Ben Se'sv, die beide alte Ben-Gurion-Anhänger sind, begutachtet und befürwortet.

Die gemäßigteren Kreise innerhalb der Mapai waren gegen die Forderung Ben Gurions, doch alle Kompromißvorschläge von dieser Seite, die dem zürnenden Alten unterbreitet wurden, schlugen fehl. Die Koalitionspartner der Mapai, die Achdut Avoda und die religiösnationale Partei, ließen durch-

blicken, daß das Eingehen auf die Forderung Ben Gurions einer Regierungskrise gleichkommen würde.

Die Gegensätze spitzten sich zu, die Entwicklung ließ sich nicht mehr aufhalten. Ben Gurions Entschluß, hartköpfig wie er nun einmal ist, den „Alleingang“ an der Spitze einer eigenen unabhängigen Liste zu wagen, zwingt die Mapai, die seit der Gründung des Staates Israel der ruhende Pol war, dem seit vielen Jahrzehnten erprobten Pionier der jüdischen Eigenstaatlichkeit den Fehdehandschuh hinzuwerfen. Ben Gurion selbst hatte die schweren Gewitterwolken heraufbeschworen, die seinen Stern verdunkeln.

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