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Wer ist Oberstleutnant Baer

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In den letzten Tagen ist der Prozeß Eichmann aus den Schlagzeilen der israelischen Zeitungen verschwunden. An die Stelle der Photos des Judenmörders sind die eines großen, kahlköpfigen Mannes von intelligentem Aussehen getreten. Es handelt sich um den Oberstleutnant Baer aus dem israelischen Verteidigungsministerium, Historiker des Unabhängigkeitskrieges, Dekan der Fakultät für Militärgeschichte der Universität Tel Aviv, militärischer Berater des Premierministers Ben Gurion, regelmäßiger, hochgeschätzter Mitarbeiter dreier Zeitungen des Landes (darunter einer Wochenschrift der israelischen Armee). Seit dem 31. März befindet er sich in Haft und unter Anklage der Spionage für eine ausländische Macht.

Zum erstenmal in der Geschichte Israels wurde eine so sehr im Lichte der Öffentlichkeit stehende Persönlichkeit der Spionage angeklagt.

Eine geheimnisvolle Persönlichkeit

Baer ist eine geheimnisvolle Persönlichkeit, und nur über eine Sache ist man sicher, nämlich über seine außerordentlichen persönlichen Fähigkeiten. Seinen eigenen Aussagen nach wurde er im Jahre 1912 in Wien geboren, war dort Mitglied der Sozialdemokratischen Partei und deren militärischer Nebenorganisation, dem „S c h u t z b u n d“, Dort hat er auch seine ersten militärischen Erfahrungen gesammelt. Dann besuchte er Kurse der österreichischen Militärakademie (?) und nahm gleichzeitig bei Max Reinhardt Stunden in dramatischer Kunst. Auch erlangte er den philosophischen Doktorgrad. Anschließend ließ er sich in Spanien in die internationalen Brigaden aufnehmen und stieg in ihren Reihen zum Oberstleutnant auf. Auf diese Weise näherte er sich dem Kommunismus. Nach Beendigung des spanischen Bürgerkrieges kehrte er nach Österreich zurück und bereitete seinen Umzug in die Sowjetunion vor, um dort Kurse an einer Militärakademie zu absolvieren. Aber durch den Anschluß Österreichs an das Deutsche Reich und die Lektüre des „Jüdischen Staates“ von Theodor Herzl, dem Gründer des Zionismus, wurden seine Pläne geändert, und anstatt nach Rußland zu gehen, emigrierte er im Jahre 1938 heimlich nach Palästina. Dort stand ihm eine brillante Karriere in der Armee bevor.

Über diese Karriere besteht keinerlei Zweifel. Aber sind die Angaben, die Baer über sein Vorleben machte, wirklich richtig? Hohe israelische Persönlichkeiten zweifeln daran, daß er jemals „Kurse an der Militärakademie" besucht habe und Mitglied des Schutzbundes war. Außerdem behauptet Baer, nichts von seinen Eltern zu wissen.

Ein interessantes und vielleicht sehr wichtiges Detail: Baer ist nicht beschnitten. Und da die Beschneidung ganz allgemein auch von nicht praktizierenden Juden vorgenommen wird, ist es sehr gut möglich, daß Baer überhaupt nicht Jude ist, entgegen seinen eigenen Behauptungen, und daß er seine Identität verleugnet. Natürlich darf nicht außer acht gelassen werden, daß Baer, wie er sagt, aus einer dem traditionellen Judentum sehr weit entfernten Familie stammt und daß es durchaus nicht unmöglich ist, daß seine Eltern aus diesem Grunde die Zeremonie der Beschneidung vernachlässigt haben. Baer hat nie seine Sympathien für die Linke verborgen, aber er galt als treues Mitglied der Mapai- Partei und als ein Bewunderer Ben Gurions.

Ideologische oder finanzielle Motive?

Die ersten Informationen, die über die Affäre erhalten werden konnten, sind unklar und widersprechend. Nach einigen Quellen soll Baer gestanden haben, daß er Spionage für eine fremde Macht aus ideologischen Gründen getrieben habe. Andere Informationen behaupten, daß er strikt leugne, Informationen irgendwelcher Art an eine fremde Macht gegeben zu haben und die fremden Agenten lediglich mit Meinungen und Situationsanalysen versorgt habe. Aber es besteht kein Zweifel darüber, daß seine Stellung es ihm erlaubte, wichtige Informationen weiterzugeben, wenn er es wollte.

Seine ideologische Rechtfertigung scheint auf den ersten Blick nicht ganz unwahrscheinlich, denn, wie gesagt, waren seine Sympathien für die Linke bekannt und war er vor einigen Jahren Mitglied einer Linkspartei. Anderseits nimmt man an, daß er sich in einer schwierigen finanziellen Lage befand, obwohl sein Einkommen aus den verschiedenen Tätigkeiten, die er ausübte, recht erheblich war. Sein Lebensstil war recht einfach. Er ist verheiratet, lebt aber von seiner Frau getrennt. Er hat eine Freundin, für die er ein Appartement in Ramat-Gan unterhält. Diese Frau war auch vor wenigen Monaten Anlaß einer Auseinandersetzung zwischen ihm und einer anderen Freundin. Muß man also nach „der Frau“ suchen?

Hinzuzufügen ist, daß Ben Gurion seit einem Jahr mehrmals von gut unterrichteten Beamten des Verteidigungsministeriums auf Baer aufmerksam gemacht worden war. Sie wiesen darauf hin, daß Baer eine Bedrohung der Sicherheit des Landes darstelle. Aber man hörte nicht auf ihren Rat.

Man berichtet von der tiefen Erschütterung des Premierministers über den Vorfall. Er soll mit den Worten des Propheten gesagt haben: „Ich war von Lügen umgeben.“

Nach Gerüchten soll die Verhaftung und die Durchsuchung der Wohnung Baers auf Veranlassung westlicher Abwehrdienste erfolgt sein. Diese Gerüchte wurden von Kreisen, die dem Verteidigungsministerium nahestehen, dementiert, und man sagt, daß die Informationen, die schließlich zum Platzen der Affäre geführt haben, aus lokaler Quelle stammten. Sie seien außerdem zufällig zutage getreten und nicht etwa das Ergebnis einer Untersuchung.

Ein Schlag für Israel und die Mapai

Wie dem auch sei, die Angelegenheit ist ein schrecklicher Schlag für Israel, insbesondere, da sie während des Verlaufs des Eichmann-Prozesses und wenige Monate vor den Wahlen zur Sprache kommt.

Die Vorverlegung der Wahlen war durch die Lavon-Affäre notwendig geworden, und auch in diesem Falle handelte es sich um die Sicherheit des Landes.

Die Mapai ist schon durch die Lavon-Affäre in ihrer Stellung gefährdet, die neuen Ereignisse sind sicher nicht dazu angetan, ihr Stimmen zuzutragen. Sogar ein so gemäßigtes Blatt wie die H a ‘ A r e t z, die unabhängig ist und über eine respektable Leserschaft verfügt und sich außerdem in der Lavon-Affäre als eine der wenigen auf die Seite Ben Gurions gestellt hatte, schreibt, daß es gefährlich sei, einem Mitglied der Mapai in Fragen der Sicherheit des Landes a priori zu vertrauen.

Schließen wir mit der Stimme eines Bürgers des Staates Israel, dessen Zeugnis, wenn auch nicht offiziell, die Lage beurteilt: „Diese Angelegenheit beweist, daß Sicherheitsfragen nur praktizierenden und gutgläubigen Juden anvertraut werden sollten. Nur ein Jude, der täglich sein Traditionsgebet spricht, wird Israel nicht verraten.“

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