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Raketen und Wahlen

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Wenn man die sensationellen Ereignisse in Israel in diesen Monaten, Eichmann-Prozeß, Spionageaffäre Baer, Rakete und Wahlen, auf Grund ihres Echos in der Öffentlichkeit in eine Rangordnung bringen wollte, würden die für Mitte August angesetzten Wahlen unzweifelhaft die letzte Stelle einnehmen. Die Ursache ist aber keineswegs die tropische Hitze dieses Sommers oder eine sich allmählich breitmachende Sensationsmüdigkeit, sondern die Tatsache, daß selbst die erbittertsten Gegner der Mapai Ben-Gurions nicht ernstlich daran glauben, daß die Wahlen eine nennenswerte Veränderung in der Verteilung der Mandate bringen werden. Trotzdem sich die Propaganda aller Parteien in erster Linie gegen die Mapai richtet und auch innerhalb dieser Partei der „Flügel der Jungen” immer heftiger aufbegehrt, ist die „Legende Ben-Gurion nicht zu erschüttern. Das heißt, solange der „ewige Ministerpräsident” lebt, wird er an der Spitze der Mapai stehen und solange er an ihrer Spitze steht, wird die große Masse Israels für die Mapai stimmen. Nicht das Parteiprogramm, nicht das von ihr Erreichte, und nicht ihre Wahl Versprechungen sind ausschlaggebend, sondern einzig der wie ein iWahrzeichen am Himmel Israels schwebende Name des „gütigen Diktators B.-G.” Daß seine politischen Handlungen immer wieder an eine Art patriarchalische Diktatur grenzen, nimmt die große Masse der vor allem aus orientalischen Ländern stammenden Wähler nicht zur Kenntnis; entweder weil sie nichts anderes gewohnt ist, oder weil sie es für die richtige Form des Regierens hält. Die sich ziemlich eindeutig manifestierende Lustlosigkeit der Wahlpropaganda — sich in überaus gesitteten Grenzen haltende Affichen und nicht allzu stark besuchte Versammlungen an Sabbatvormittagen — ist ein eindeutiges Zeichen dafür.

Legende B.-G.?

Die Zeitungspropaganda der Parteien und ihre Versammlungsreden drehen sich in letzter Zeit vornehmlich um zwei Dinge: um die Rakete, die Israel abschoß und um die „Affäre”, worunter der Kampf Ben-Gurions gegen seinen Parteigenossen, den Generalsekretär der Gewerkschaftsunion, Lavon, zu verstehen ist. Wie erinnerlich zwang die Legende B.-G. die Partei, Lavon aller Funktionen zu entkleiden, obwohl er innerhalb der Partei einen starken Anhang hat und alle anderen sozialistischen Parteien — schon aus Feindschaft zu Ben-Gurion — auf seiner Seite stehen.

Die meisten Parteien, vor allem die rechtsradikale, von Ben-Gurion wiederholt als faschistisch bezeichnete Heruth, werfen der Mapai vor, die gewiß notwendige und großartige Rakete zu einer Zeit abgeschossen zu haben, die es erlaubte, sie zur Wahlpropaganda zu benützen. Sie hätte Geheimnis bleiben sollen, wurde aber, was ein außenpolitischer Fehler ersten Ranges sei, zur Stärkung der Legende B.-G. verwendet.

Die Liberalen wieder fragen, ob die Rakete, das heißt, die Tatsache, daß nur eine kleine Gruppe von Mapaifüh- rern, aber keineswegs die Mehrzahl der Minister in das Raketengeheimnis ein- geweiht war, nicht eine Gefährdung der parlamentarischen Demokratie darstelle, da „diese kleine Gruppe ohne Kabinettsbeschluß mithin auch über Krieg und Frieden beschließen könne.” Alle Parteien, von der äußersten Linken, über die bürgerlichen und religiösen bis zur Heruth, sind sich über die Wichtigkeit der Rakete einig, lehnen aber den Zeitpunkt des Abfeuerns und die Tatsache ab, daß sie, eine rein wissenschaftliche Rakete, in dem von Ben-Gurion beherrschten Verteidigungsministerium entwickelt wurde.

Mapai im Gegenangriff

Die MapaL des absoluten Effektes der Rakete sicher, bemüht ! sich nur wenig, auf diese Vorwürfe zu antworten. Wenn ihre Presse es tut, ist besonders die radikal linke Mapam das Ziel ihres Gegenangriffes, der sie vor allem Inkonsequenz vorwirft. Sie, die beinahe kommunistische Partei, die programmatisch gegen Amerika und England auftritt, machte sich die Argumente einer gewissen anglosächsi- schen Presse zu eigen, die sich gegen den Zeitpunkt des Abschusses, zum Teil sogar gegen die Rakete wendet. Außenminister Frau Meir, eine der Hauptstützen der Mapai, griff in Wahlversammlungen diesen Faden der Inkonsequenz auf und kam sehr pointiert auf die Unmöglichkeit Israels zu sprechen, im West-Ost-Konflikt neutral zu bleiben. „Als man kürzlich einen unserer Diplomaten aus Moskau auswies, schwiegen unsere linken Parteien, wiewohl Rußland unseren Todfeind Ägypten mit Waffen gegen uns versorgt, während ebendiese Parteien den Westen, der uns hilft, konsequent und programmatisch angreifen.” Daß sie dies aber unterlassen, wenn der Westen mit Ben-Gurion unzufrieden ist, wurde als eine selbst dem politisch primitivsten Wähler einleuchtende Inkonsequenz höchst unpatriotischer Art unterstrichen.

Lavon auf dem Mond?

Alles in allem ist, wie angedeutet, das Interesse an den Wahlen einstweilen überaus begrenzt. Selbst der Volkswitz, der sonst in solchen Zeiten sich in erhöhtem Maße äußert, bleibt ziemlich stumm. Nur die Frage, warum die Rakete Shavith 2 und nicht Sha- vith 1 genannt wurde, findet eine Art witziger Propagandaantwort: „Weil”, heißt es, „Ben-Gurion mit einem geheimgehaltenen Shavith 1 den Lavon zum Mond feuerte.” Daß dem aber nicht so ist, zeigt eine . soeben veröffentlichte Erklärung der Freunde Lavons an, wonach er in den nächsten Tagen aus der Schweiz zurückkehren werde. Und zwar noch zeitgerecht, um eventuell, wenn auch nicht als Kandidat, so doch zumindest als im Land lebend anwesendes „Mahnmal” im Wahlkampf indirekt einzugreifen. Dies könnte die Campagne, wie manche voraussagen, ein wenig beleben.

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