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RANDBEMERKUNGEN ZUR WOCHE

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UNIV.-PROF. DR. SCHONBAUERS VERSUCHUNG. Es isi ein offenes Geheimnis, daß der bekannte Chirurg Univ.-Prof. Dr. Schönbauer einer Berufung in das höchste Amt der Republik nicht ablehnend gegenübergeslanddn wäre. Warum auch nicht? Und tatsächlich wurde Univ.-Prof. Dr. Schönbauers Name neben anderen ernstlich genannt, als noch die Möglichkeit eines gemeinsamen Kandidatenvorschlages der beiden großen Parteien offen war. Doch dann war im sozialistischen Lager wieder einmal das Parfeidenken stärker. So wurde Vizekanzler Dr. Schärf auf den Schild erhoben. Bei der Volkspartei hingegen entschloß man sich, das große Experiment einer unparteiischen Kandidatur zu wagen, und traf deshalb mit der Führungsgruppe der „Freiheitlichen”, die sich ihrerseits auch für die Kandidatur einer unparteiischen Persönlichkeit ausgesprochen hatte, das bekannte Abkommen. Nun lag es wohl nahe, daß der Kandidat nicht einer jener Kompromiß- kandidaten sein würde, die man für den Foil einer Einigung mit den Sozialisten ins Auge gefaxt hatte. So trat also Univ.-Prof. Dr. Denk vor die Rampe. Es ist menschlich verständlich, daß durch diese Wahl ein Stachel in Universitätsprofessor Schönbauers Seele zurückgeblieben isf. Diesen Umstand machen sich verschiedene Versucher zunutze. Sie treten an Univ.-Prof. Doktor Schönbauer heran, sie versuchen, seinen Namen für eine ominöse Wählergruppe zu gewinnen. In diesen Tagen soll die Entscheidung fallen. Man darf, nicht zuletzt ;m Interesse von Univ.-Prof. Dr. Schönbauer, nur hoffen, daß nach nüchterner Ueberlegung die Antwort nur „nein” laufen kann. Was hätte Univ.-Prof. Schönbauer schließlich von einer solchen Kandidatur im toten Rennen? Die -Erfahrungen sagen einwandfrei, dafj ernsthafte Chancen nur Kandidaten haben, die von einer Großparfei unterstützt werden. Selbst Prof. Burghardt Breifner errang, obwohl er den Parteiapparat des driften historischen Lagers und als Kandidat gegen zwei Parteimänner darüber hinaus weitere Sympathien für sich hatte, nur einen Achtungserfolg. Als Kandidat einer Splittergruppe aber bestehen auch für Univ.-Prof. Dr. Schönbauer bestenfalls Chancen für eirjige zehntausend Stimmen. Das isf zuwenig, um einen guten Namen dafür •’aufs Spiel zu setzen. Und auch jene, die Schönbauer in ein solches Abenteuer hineinhetzen wollen — sie sollen nicht weit von der Löwelstraße (Politisch zu Hause sein —, würden letzten Endes keinen Gewinn haben. Höchstens, dafj es einen zweiten Wahlgang gibt. Denn dalj die Entscheidung nur zwischen Univ.-Prof. Dr. Denk und Vizekanzler Dr. Schärf fallen kann, sfeht für jeden politisch klarsichtigen Menschen heute schon fest.

NACHZIEHVERFAHREN. Wie wenig ihnen österreichische Interessen am Herzen liegen, haben die österreichischen Kommunisten und ihre Presse während des ungarischen Aufsfandes im vergangenen Oktober aller Welt sichtbar bewiesen. Mit einem Fleifj, der einer besseren Sache wert gewesen wäre, waren sie damals bemüht, auswärtigen Mächten „Rohmaterial” gegen das eigene Land zu liefern. Den Namen einer Arbeiterpartei halten sie bereits durch ihre Sympathien für die Panzer der sowjetischen Gegenrevolution verwirkt, und auch als österreichische Partei kann man sie seither kaum ansprechen. Das muß auch den harfgesoffenen KP-Propagandisten schließlich zu denken gegeben haben und in einem Anfall von Ehrlichkeit entschlossen sie sich zu einem höchst bemerkenswerten „Nachziehverfahren’. Für die, welche es bis heute noch nicht bemerkt haben: Seit 21. Februar hat die „Volkssfimme” still und leise das seit ihrer Gründung im Titel geführte Wort „Oesterreichische” abgelegt.

DAS IMPERIUM IM UMBRUCH. Während Frankreich entgegen allen Erwartungen die Suezkrise rasch überwunden hat und zu einer erstaunlichen Einigkeit in Fragen der Außenpolitik zu kommen vermochte, ist gleiches nicht für das englische Imperium zu sagen. Wenn man nur c e Wandlungen betrachtet, die sich rein formell im englischen Imperium im Jahre 1957 vollziehen werden, kann man unter Be- dachtnahme auf die Folgen der Suezkrise davon ausgehen, daß das englische Welfreich in einer Art von Selbstauflösung ist, die nur deswegen nicht drastisch merkbar .wird, weil die Engländer weithin selbst das Tempo der Liquidation ihres Kolonialreiches bestimmen: 1. Die Goldküsfe, jetzt als selbständiger Staat Ghana genannt, wird in diesem Jahr unabhängig. 2. Nigeria wird unabhängig. 3. Zypern wird, wenn die Ereignisse es zulassen, eine Art von Selbstregierung erhalten. 4. Die malaiische Föderation sandte den Chefminister Funku Abdul Rahman nach London, um wegen der bevorstehenden Selbständigkeit seines Landes Besprechungen aufzunehmen. 5. Singaour hat durch seinen Chefminister Lim Yem Hoock ebenfalls Forde rungen nach einer Revision seiner Verfassung angemeldet. 6. Die karibischen Inseln sollon eine Föderation werden. 7. Malta macht eine Ausnahme: Es wird wahrscheinlich eigene Vertreter in das englische Parlament entsenden können und in Hinkunft (wenn queh nicht ohne eigennützige Hintergedanken), stärker an London gebunden sein als bisher. Die große Frage ist die, ob die Kolonialvölker des Imperiums die Kraft und die Intelligenz aufbringen, selbständig geworden, dem Sog des Kommunismus zu widerstehen oder ob sie, aus einem Kolonialverband entlassen, freiwillig einem anderen Kolonialverband sich eingliedern. Ohne sich in der fragwürdigen Kunst der politischen Prophetie zu üben, kann man sagen, daß die Regierung Ih-er Britischen Majestät durch eine Reihe klug dosierter Maßnahmen den Uebergang der Kölo- nialländer in Eigenverwalfung nachdrücklich gefördert und eine eingeoorene Elite heranbilden geholfen hat, die wohl !n der Läge sein müßte, der kommunistischen Bedrohung zu widerstehen. Jetzt, da das Imperium in den Herbst seines Bestandes eingetreten ist, kann man sagen, daß es eine einmalige zivilisatorische Leistung vollbracht hat, die ihren Gipfelpunkt darin erreichte, daß es bemüht war, die Bedingungen seiner Auflösung und der Errichtung eingeborener Führungssfäbe selbst zu schaffen.

NEUE TRAGIK UM ISRAEL. Die Weigerung des Staates Israel, unter Führung seines Präsidenten Ben Gurion, die von israelischen Truppen besetzten Landstreifen von Gaza und Akaba an Aegypten freizugeben, wie es ein UNO-Beschluß vorsiehf, droht wieder einmal die USA und ihre alten Alliierten England und Frankreich empfindlich zu trennen. Präsident Eisenhower ist für Sanktionen gegen Israel (erinnert man sich in Amerika nicht, wie verhängnisvoll seinerzeit die Sanktionen des Völkerbundes gegen Italien waren, die Mussolini Hitler in die Arme trieben?) —• die Bevölkerung und Regierung Englands und Frankreichs sind dagegen. Es erscheint ihnen, wie dem Großteil der Israelis, als ungeheuerlich, Nasser ohne jede Gegenleistung zwei so strategisch wichtige Punkte auszuliefern, die, in den Händen des ägyptischen Diktators, Israels Unabhängigkeit bedrohen. Von Gaza aus kann die ägyptische Floffe (verstärkt durch östliche Schiffe) Israels Schiffahrt im Mrtfelmeer, seine Haupf- lebensader, abdrosseln, und Akaba am Roten Meer sichert den Zugang Israels zu dem strategisch wichtigen arabischen Hinterland. Der Staat Israel wilfj j. was verständlich. ist ::bdiese Positronen; .dem qgyptischen Diktator erjf. nach Abschluß eines Friedensvertrages übergeben. Dieser kleine Staat traut den papierenen und mündlichen Versprechungen der Vereinten Nationen nicht. Er hat auch Gründe dafür. Schon seit Monaten sind, was seine Lage verschlimmert, stille Sanktionen gegen Israel im Gange: von den USA und der Sowjetunion. Die USA halten die Auszahlung der amerikanischen Wirtschaftshilfe für das fällige Quartal zurück, und die American Export-Imporf-Bank zahlt auf Anweisung Washingtons die versprochene 75-Millionen-Dollar-Anleihe nicht aus. Die Sowjetunion ihrerseits hat israelische Tanker, die um ein vertraglich zugesichertes Oel nach Odessa kamen, leer zurückgeschickt und auch sonst den Handelsvertrag einseitig gebrochen. Das Verhalten der beiden führenden Weltmächte, die beide um die Gunst der arabischen Staaten buhlen (anders kann man diese triste Wirklichkeit nicht bezeichnen), diesem um seine Existenz ringenden Kleinstaat gegenüber, verdient wache Aufmerksamkeit. .. Israels Engpaß wird noch mehr bedroht durch die Zunahme der Einwanderung in Israel infolge des gestiegenen Antisemitismus in den Ostländern. Statt der erwarteten 50.000 Menschen muß für dieses Jahr mit mindestens 100.000 Einwanderern gerechnet werden. Wir haben, in Oesterreich, diese und ähnliche Einwanderer- und Flüchtlingsberichte in den letzten Jahren off allzu uninteressiert gelesen — heute sollten wir sie eher verstehen, nachdem der eine große Schub aus Ungarn bereits Schwierigkeiten in Hülle und Fülle geschaffen hat. — Wer wird Israel helfen? Die USA und UdSSR werden Ihre Verbundenheit — mag sie auch in Form harter Konkurrenz, im Wettstreit um die Gunst der arabischen Könige, Scheiks und Diktatoren, bestehen, nicht aufgeben. England wird auf der kommenden Bermudakonferenz mit Washington wohl auch über Israel sprechen und dabei von Frankreich sekundiert werden. Der Nahosf- konflikf um Israel und die arabischen Staaten zeigt, wie schwer es in Wirklichkeit isf, die wahren Interessen der kleinen Völker zu befrieden, gleichzeitig Diktatoren, Demagogen und Ehrgeizlinge zu saturieren — und eine eigene Welfpolifik als Großmacht zu treiben. Vielleicht kommen einige Staatsleute zwischen Washington und Moskau an Hand dieses Beispiels im Nahen Osten eines Tages darauf, welche weltgeschichtliche Rolle einst, durch Jahrhunderte hindurch, Alfösferre’ch in Ost- und Südosteuropa erfüllt hat, wo es im Grunde auch immer galt, Komponenten und Elemente einigermaßen zusammenzusfimmen, die jetzt in Nahost so entsetzlich auseinanderklaffen.

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