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Israels „Rassenwahlen“

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Die Wahlresultate der Wahlen zu den Gewerkschaftsorganen — die Histadruth —, die dieser Tage bekanntgegeben wurden, sind nur das Vorspiel zu den Knessethwahlen — Israels Parlament —, die am 2. November dieses Jahres stattfinden werden.

Es stellte sich heraus, daß der Durchschnittsisraeli bei seiner Wahl sehr konservativ ist und nur etwa 20%> der Wählerschaft von der Wahlpropaganda beeinflußt werden können. Es wurde bewiesen, daß eine Persönlichkeit allein, so stark und populär sie auch seinerzeit gewesen sein möge, keine durchschlagende Wahlattraktion darstellen kann. David Ben Gurion, der frühere Ministerpräsident und das Symbol für Israels Staatsgründung, spaltete vor einigen Monaten Israels größte Partei, die sozialdemokratische Mapai. Er gründete eine eigene Wahlliste, die bei diesen Wahlen etwa 12%> der Wählerschaft auf sich vereinigen konnte. Die Mutterpartei, an deren Spitze der jetzige Ministerpräsident Lewi Eshkol steht, erhielt trotz starker Propaganda aller anderen Parteien gegen sie 51°/o der Stimmen, wobei zu betonen ist, daß sich dieser Partei die kleine Achdut Ha'Avoda angeschlossen hatte. Bei den vorherigen Histadruthwahlen im Jahre 1959 erhielten die Mapai (einschlief lieh Ben Gurions Gruppe) und die Achduth Ha'Avoda 74°/o, diesesmal nur 63%.

Etwa 60 bis 70% der Berechtigten zur Knessethwahl sind Mitglieder der Histadruth, was bereits die Schwierigkeiten einer Koalition nach der Knessethwahl andeutet.

Die Mapai, die größte Partei, die zusammen mit der Achduth Ha'Avoda „Ma'arach“ heißt, steht vor der Gefahr, den Monopolplatz einer absoluten Mehrheitspartei zu verlieren, denn ein rechtsradikaler Wahlblock unter dem Namen „Gachal“ macht ihr diesen Platz streitig. Ben Gurions Wahlliste könnte eventuell das Zünglein an der Waage sein; aber bisher versteifte sich Ben Gurion darauf, nur einer Koalition beizutreten, die seinen Forderungen nachkommen wird, so daß es heute noch sehr schwer ist, Prophezeiungen zu machen.

Entgleisungen im Wahlkampf

Der scharfe Wahlkampf hatte zur Folge, daß einzelne Staatsoberhäupter und “ehemalige Staatsoberhäupter begannen, ihre Archive auszugraben und ihre Wahlpropaganda mit persönlichen Angriffen auszufüllen. Diese Art von Propaganda wurde von Ben Gurion als erstem begonnen. Er begann nicht nur mit persönlichen Angriffen auf Eshkol und auf andere frühere Kollegen seiner eigenen Partei, sondern veröffentlichte auch eine große Anzahl von bisher gehüteten politischen und militärischen Geheimnissen, wobei immer wieder betont wurde, daß alle Mißerfolge nur durch die heutigen Widersacher Ben Gurions verschuldet worden waren. Ben Gurions Gegner wollten keine Antwort schuldig bleiben, und es regnete Anwürfe schlimmster Art von allen Seiten. Das unschuldige Publikum wußte oft nicht mehr, worum es sich hierbei handelte.

Aber gerade die weniger Kundigen und Desdnteressierten sind fast die einzigen Wähler, die eventuell durch die Wahlpropaganda ihre Meinung ändern könnten, und bald besann man sich auf neue Wahlslogans. Ungefähr 50°/o der jüdischen Bevölkerung Israels sind aus dem Orient eingewandert: ägyptische, nordafrikanische, syrische, yemeni-tische, irakische, türkische und persische Immigranten. Ihre Einwanderung erfolgte zum größten Teil erst nach der Staatsgründung, zu einer Zeit in der die meisten Ministerposten und Schlüsselpositionen in den großen Institutionen sowie in den verschiedenen Parteien bereits besetzt waren. Auch in den neuerrichteten Fabriken und Betrieben konnten dank der besonderen Zusammensetzung der orientalischen Bevölkerung die rührenden Positionen fast ausschließlich von europäischen Juden besetzt werden.

Vom Mittelalter ins 20. Jahrmindert

Die orientalischen Bevölkerungsteile Israels kamen im allgemeinen mit derselben primitiven Lebensauffassung, wie sie in deren Herkunftsländern üblich ist nach Israel. Für viele bedeutete die Einwanderung nach Israel ein fast direkter Sprung vom Mittelalter in das 20. Jahrhundert. Errungenschaften, wie körperliche Hygiene, geordnetes Arbeiten acht Stunden täglich, und dies sechs Tage in der Woche, sowie sogar Lesen und Schreiben waren für eine große Anzahl ein fremder Begriff. Trotzdem fühlten sich gerade diese Bevölkerungsteile berechtigt, und zumeist sogar ungerechtfertigt, zurückgesetzt

Die orientalischen Familien sind meist kinderreich, und ein Arbeiter aus diesen Kreisen, der denselben Lohn wie sein Kollege aus Westeuropa verdient, muß trotzdem auf viel niedrigerem Standard leben, da er statt zwei Kindern — die Durchschnittszahl in europäischen Familien — sieben bis neun Kinder hat Da seiner Ansicht nach seine Kinder das Potential Israels stärken, sieht er nicht ein, warum seine wirtschaftliche Lage eine schlechtere sein soll. Eine minimale Kinderzulage auf seinen regulären Lohn kann diesem Dilemma nicht abhelfen.

Hiezu kommt noch, daß auch die zweite Generation der orientalischen Juden hier im Lande nur zu einem verhältnismäßig kleinen Prozentsatz akademisch gebildet ist, da diese Jugend nicht die erforderliche Vorbildung hat. Es wird bestimmt noch ein bis zwei Generationen dauern, bis diese Gegensätze überbrückt sind.

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